Epheser 3, 14-21

16.05.2010 | 17:41

Dr. H. Gorski

Liebe Gemeinde,

nach Himmelfahrt sind wir die Alleingelassenen der Schöpfung. Mit der Himmelfahrt hat sich Jesus einstweilen von dieser Welt verabschiedet. Es wird berichtet, wie die Menschen ratlos dastanden und ihm nachsahen. Wie auch immer man sich dieses Ereignis vorstellen mag, das Resultat ist eindeutig: Wir sind jetzt allein. Natürlich kann man lange Predigten darüber halten, dass der auferstandene Christus doch trotzdem gegenwärtig ist – aber das ist eine Wirklichkeit, die nur auf Wegen des Glaubens erschlossen werden kann, die aber nicht unmittelbar zugänglich ist. Erstmal müssen wir alleine zurechtkommen.

Mich erinnert diese Situation nach Himmelfahrt an ein Gleichnis, das Platon – in anderem Zusammenhang – benutzt: Jeder Mensch war mal eine Kugel. Also etwas Rundes, in sich Ganzes, Stimmiges. Und dann ist diese Kugel auseinandergebrochen. Platon erklärt so die Anziehungskraft zwischen den Geschlechtern. Ich finde, dieses Bild passt genauso gut auf unsere Verbindung mit Gott. Wir waren mal eins. Jeder Mensch war mal eine Kugel und als solche mit Gott eins. Aber dann ist diese Kugel zerbrochen, der göttliche Teil ist weg, und der Mensch findet sich alleine vor. Was aber geblieben ist, ist eine unerklärliche und unerschöpfliche Sehnsucht nacheinander. Gott sehnt sich nach uns und wir sehnen uns nach Gott als nach unserer anderen Hälfte. Diese Sehnsucht mögen viele Menschen gar nicht bewusst spüren. Aber sie spüren doch eine innere Unruhe, dass sie irgendwie, so wie sie sind, nicht ganz sind, und auf der Suche sind nach etwas, das sie ganz machen könnte. Diese Sehnsucht kann zu beglückenden Begegnungen führen. Oft aber bleibt sie unerfüllt oder läuft scheinbar ins Leere. Das hat

Ödön von Horváth in einer wunderschönen Formulierung so ausgedrückt (in „Karoline und Kasimir“): „Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich – aber dann kehrt man zurück mit gebrochenen Flügeln, und das Leben geht weiter, als wäre man nie dabei gewesen.“

So allein gelassen mit einer unerklärlichen Sehnsucht und den vielen Herausforderungen dieser Welt, geht der Mensch ins Leben. Das kann nicht gut gehen und das geht auch nicht gut. Er gerät ins Trudeln und begeht Fehler und kämpft um die Erfüllung seiner Sehnsucht. Nicht immer mit den geeigneten Mitteln. Er zerbricht dabei seine Flügel und oft genug die der anderen.

„Wer über gewisse Dinge den Verstand nicht verliert, der hat keinen zu verlieren.“ Das schrieb Gotthold Ephraim Lessing in seiner „Emilia Galotti“ 1772. Dafür ließen sich heute nicht weniger Beispiele finden als damals. Denn nicht immer glückt der Weg zum Ziel der Sehnsucht. Die Sehnsucht kann auch weh tun, sie kann unaushaltbar werden, und man kann zerstörerische Wege gehen, um sie scheinbar zu erfüllen. So fängt der Mensch bisweilen an, um sich zu schlagen. Was wir uns gegenseitig antun, das ist schon unglaublich; nur weil jeder um seinen Platz kämpft, für seine Sehnsucht, für ein bisschen Gesehenwerden und um die Liebe. Wir zerstören die Lebensgrundlagen unserer Welt, lassen Millionen Liter Öl ins Meer fließen, weil der wirtschaftliche Druck auch noch Bohrungen in 1.500 m Tiefe lukrativ erscheinen lässt. Täglich verhungern schätzungsweise 10.000 Kinder und 25.000 Erwachsene, von dem Elend, das dem Hungertod vorangeht, gar nicht zu reden. Nach dem UN-Flüchtlingsbericht sind schätzungsweise 67 Millionen Menschen auf der Flucht. Auf der Flucht vor anderen, die bei ihrem Kampf ums Leben um sich schlagen und Flügel zerbrechen.

Und dann gibt es noch die unscheinbaren Dinge von Krankheit, zerbrochener Liebe und zerstörter Hoffnung, die uns nicht weniger um den Verstand bringen können.

Das ist, bei Licht betrachtet, die Welt nach Himmelfahrt – nachdem Gott sich verabschiedet hat. Und dann kommt der Sonntag Exaudi, auf dem Weg nach Pfingsten. Und uns wird im Evangelium ein Tröster versprochen. Und in der Lesung wird ein Lobpreis auf Gott gesungen, der alles so wunderbar eingerichtet hat: der uns Kraft gibt nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit; der uns stark macht durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen; der Christus in unseren Herzen wohnen lässt – da ist sie also, seine Gegenwart nach dem Abschied!; der uns in der Liebe eingewurzelt und gegründet sein lässt.

Was ist solcher Glaube? Wie kann man diesen Glauben predigen? Ehrlich, so dass Trost nicht zu einer Vertröstung, ja zu einer Lüge wird?

Mir scheint, dass wir zu schnell dazu neigen, zu „leidigen Tröstern“ zu werden, wie Hiob es seinen Freunden vorwirft. Zu Tröstern, die das Trostlose nicht aushalten. Zu Tröstern, die deshalb allzu schnell mit Antworten kommen und mit Lösungen, die keine sind. Bevor echter Trost seinen Platz finden kann, muss die Trostlosigkeit ausgehalten werden.

Der Glaube in unserer schönen Welt und in unseren bequemen Kirchen kommt mir manchmal so vor wie ein dünnes Wattebäuschchen, mit dem wir das kleine Restrisiko des Lebens noch abzufedern versuchen. Die großen Risiken scheinen für uns weit weg zu sein. Bei uns suchen Menschen künstlich nach Risiko und Erlebnis, die dem Leben wieder Würze geben. Aus einer Erlebnisorientierung ist neuerdings ein Phänomen geworden, das man „gewalterlebnisorientierte“ Jugendliche nennt. Unsere schöne Welt hat die Risiken so weit abgefedert, dass viele gar nicht nach Halt, sondern nach Risiko suchen. Nachdem die meisten Risiken verschwunden sind, besteht das größte Risiko für die meisten von uns darin, die Fähigkeit zu gelingender Identität verloren zu haben. Denn das braucht es heute, weil nichts Vorgegebenes mehr trägt, keine Religionen, Traditionen, Weltanschauungen mehr, weil jeder sich sein Leben und seinen Sinn selber suchen muss. So wird jeder privat und einzeln für seine gelingende Identität verantwortlich. Und da mag dann doch noch der Glaube ins Spiel kommen. Als Lebensratgeber fürs Gelingen. Die Kirche als Sonnenbank für die Seele, als seelisches Wellness-Center.

Wer ist eigentlich krank? Der, der all das sinnlos findet? Oder nicht vielmehr der, der sich all das schön redet und sich auf seiner kleinen privaten Glaubensinsel einredet, sein Leben ergäbe Sinn?

 

Wie kann man in dieser Welt glaubwürdig vom Glauben reden? Vielleicht nur so, indem man all dies zulässt und nicht beschönigt. Der Glaube ist die Kraft, genau dies auszuhalten. Und – so paradox das auf den ersten Blick klingt – vielleicht ist genau dies tröstlich und befreiend, dass wir nicht länger lügen müssen, nicht länger etwas beschönigen und verteidigen müssen. Ein Trost, der uns einredet, letztlich sei doch alles irgendwie in Ordnung, stößt uns doch im Grunde in die Trostlosigkeit zurück. Diese Erfahrung hat doch wahrscheinlich jeder schon gemacht, wenn er etwas zu bewältigen hatte in seinem Leben, und da kamen all die guten Leute mit ihren Ratschlägen und dem „Das wird schon wieder“ und „Nimm es nicht so schwer“. Ich glaube nicht, dass auch nur einer unter uns das als Trost empfunden hat. Tröstlich ist es gerade, nicht mit solchen faden Wattebäuschchen abgespeist zu werden, sondern ganz ehrlich sagen zu können: Ja, so ist es, und so ist es nicht gut, aber das muss ich nicht beschönigen oder vertuschen, es ist mein Leben, und das ist so, wie es ist, von Gott angenommen.

Wer glaubt, so heißt es in der Lesung weiter, kann die Breite und die Länge, die Höhe und die Tiefe des Lebens begreifen. Er kann die Liebe Christi erkennen, die alle Erkenntnis übertrifft. Der Glaube führt ins Erkennen, nicht ins Verschleiern. Gerade darin liegt seine Kraft. Und der Glaube erkennt nicht nur die Höhen, sondern auch die Tiefen.

Darin findet der Weg Jesu über Kreuz und Auferstehung auch nach der Himmelfahrt seinen Nachhall. Das Kreuz, der Tiefpunkt des Lebens, war eben auch da und wurde nicht weggetröstet. Jesu Weg über das Kreuz heißt für mich: tröste die Kreuze und Tiefpunkte in deinem Leben nicht weg, vertröste nichts. Aber gerade darin, sie zulassen zu können, liegt der Weg aus ihnen heraus. Wenn sie sein dürfen, dann fällt die ganze Last des Lügens und Beschönigens weg. Von da an kann es bergauf gehen. Der Glaube ist keine Beruhigung, er ist vielmehr sogar eine dauernde Beunruhigung, weil er daran erinnert, dass das Leben nicht ist, wie es sein sollte. Aber er ist gerade darin tröstlich, weil auch noch das Leben, das so anders ist, als Gott es gewollt hat, von ihm angenommen ist. Tiefer kann man nicht in der Liebe gegründet sein als mit solchem Glauben.

„Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich – aber dann kehrt man zurück mit gebrochenen Flügeln, und das Leben geht weiter...“ und es ist unser Leben und es ist gut. Amen.

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