Fastenpredigt am Aschermittwoch: Schöpfung und Vergebung

17.02.2010 | 16:26

Dr. H. Gorski

Liebe Gemeinde,

irgendetwas stimmt nicht mit uns. Um zu dieser Einschätzung zu kommen, muss man über keine besondere Weisheit verfügen. Wohin wir auch sehen: aufs Klima, auf die Kriege und Bürgerkriege, auf den Hunger und die Flüchtlinge oder schlicht auf unser eigenes, kleines bescheidenes Leben mit seinen Brüchen und unerfüllten Sehnsüchten – nirgendwo scheint die Welt so richtig in Ordnung zu sein, so wie Gott sie sich vorgestellt hat.

Und irgendwie scheint das etwas damit zu tun haben, was die Bibel auf ihren ersten Seiten in symbolischen Geschichten von großer Tiefe erzählt. Wir sind eben nicht mehr im Paradies. Wir haben keine „träumende Unschuld“ mehr, wir sind – wie der Philosoph Jürgen Habermas es formulierte – die „Freigelassenen der Schöpfung“. Wir sind also die Wesen mit Freiheit und Verstand. Eigentlich sollen wir Freiheit und Verstand zusammenbringen, die Freiheit mit Verstand gestalten. Aber genau das ist es, was so wenig zu gelingen scheint. Die Freiheit scheint uns eine Nummer zu groß zu sein und der Verstand eine Nummer zu klein.

Geblieben ist bei aller Unvollkommenheit eine Sehnsucht. Ich stelle mir vor, dass jeder Mensch – und sei es ein Verbrecher, ein Zyniker oder ein heruntergekommener Mensch – dass doch jeder in einer Ecke seines Herzens darum weiß, dass es so, wie es ist, nicht in Ordnung ist. Eine Sehnsucht danach, „heil und ganz“ zu sein, tragen wir in unseren Herzen; das glaube ich zumindest. Und diese Sehnsucht treibt uns an. Aber durchaus in verschiedene Richtungen. Die Sehnsucht, „heil und ganz“ zu sein, kann den einen in eine heillose Überarbeitung führen, den nächsten zu Alkohol oder Drogen und den dritten zum Anhäufen von Besitz. Sie kann aber auch zum Einsatz für den Nächsten führen oder zu einer religiösen Suche. Gemeinsam haben wir wohl, dass wir es so schwer aushalten, dass unser Leben nur ein Fragment ist. Die schmerzende Wunde der Sehnsucht in unserem Leben versuchen die einen zu heilen, die anderen zu betäuben und wieder andere zu überdecken. Wir sind alle nur Menschen. Da braucht sich keiner vorm andern schämen.

Es ist nicht leicht, jenseits von Eden zu leben. Und es ist manchmal auch nicht leicht, uns, die wir uns jenseits von Eden so schwer tun, lieb zu haben. Denn manchmal ist es doch zum Auswachsen mit uns..

Marie-Luise Kaschnitz hat eine sehr liebevolle Geschichte erzählt über Adam und Eva und wie sie jenseits von Eden versuchen, mit dem Leben zurechtzukommen:

Das Leben war für Adam und Eva nach dem Rauswurf aus dem Paradies so hart, wie angekündigt, erzählt Kaschnitz; der Nachwuchs, naja, Sie kenne ja die Geschichte von Kain und Abel, und sie wurden älter. Nur eines geschieht auf seltsame Weise: Ab und zu bringt Eva Adam Reben mit und andere schöne Früchte, die ihn erfrischen. Sie wachsen nicht in ihrem Garten. Aber Adam fragt nicht, woher sie kommen, er nimmt die Früchte und genießt.

Eines Tages trifft Adam die Erkenntnis, dass auch er eines Tages würde sterben müsse. Von dem Tag an wurde er grantelig und unleidlich. Alles und jedes schien ihn zu stören, er regte sich furchtbar über die kleinsten Nebensächlichkeiten auf, er schläft schlecht, sieht keine Perspektive mehr, achtet alles gering, was er geschafft hat in seinem Leben außerhalb des Paradieses. Er sehnt sich so nach diesem. Und sein Verhältnis zu Eva leidet darunter: er findet immer mehr Grund, mit ihr unzufrieden zu sein, er misstraut ihr, und wirft ihr schließlich Verrat vor, Verrat an dem Leben, dass sie zu führen gezwungen sind, und fühlt sich verlassen und einsam. Daraus entspringt eines Nachts der Impuls, Eva mit der grausamen Wahrheit konfrontieren zu müssen:

Er weckt Eva auf, und sie reibt sich die Augen und fragt, ob etwas mit den Kindern sei. Wir müssen sterben, sagte Adam, und es war ihm, als beginge er einen Mord. Große Neuigkeiten, sagte Eva spöttisch. Das weiß ich schon lang. - Hast du dir keine Gedanken gemacht, fragte Adam, sobald er sich von seiner Überraschung erholt hatte. Was wir hier zurücklassen, ist unfertig und keinen Pfifferling wert.

Jemand wird es schon fertig machen, sagte Eva.

Die Kinder, sagte Adam streng, sind träge und leichtsinnig. Sie wissen nicht, was arbeiten heißt, und werden elend zugrunde gehen.

Es wird schon noch etwas aus ihnen werden, sagte Eva.

Und was wird aus uns, fragte Adam und stützte seinen Kopf auf die Hand.

Wir bleiben zusammen, sagte Eva. Wir gehen zurück in den Garten. Und sie legte ihre Arme um Adams Hals und sah ihn liebevoll an.

Ist er denn noch da? fragte Adam erstaunt.

Gewiss, sagte Eva.

Wie willst du das wissen, fragte Adam mürrisch.

Woher meinst du, fragte Eva, dass ich die Reben hatte, die ich dir gegeben habe, und woher meinst du, dass ich die Zwiebeln der Feuerlilie hatte, und woher, meinst du, hatte ich den schönen funkelnden Stein

Woher hattest du das alles? fragte Adam.

Die Engel, sagte Eva, haben es mir über die Mauer geworfen. Wenn wir kommen, rufe ich die Engel, und dann öffnen sie mir das Tor.

Adam schüttelte langsam den Kopf, weil eine ferne und dunkle Erinnerung ihn überkam. Gerade dir, sagte er. Aber dann fing er an zu lachen, zum ersten Mal seit ach wie langer Zeit.

Soweit die Erzählung von Marie-Luise Kaschnitz. Adam, der Tat- und Verstandesmensch, der an seiner eigenen Unvollkommenheit verzweifelt. Der meint, das Leben hinge an ihm, an seinen Kräften, an seiner Planung, an seiner Vorsorge für die Kinder. Eva, die mit mehr Vertrauen durchs Leben geht, die loslassen kann und die sich die Verbindung zum Paradies erhalten hat. Sie geht ab und zu an die Mauer des Paradieses, und dann werfen ihr die Engel etwas von den seinen Gaben zu.

Beide, Adam und Eva, versuchen auf ihre Weise mit ihrem fragmentarischen Leben und ihren Sehnsüchten zurechtzukommen. Auch wenn man auf den ersten Blick meinen könnte, Eva käme bei der Autorin etwas besser, sympathischer weg – ich bin mir da gar nicht so sicher. Denn wir brauchen doch beide Haltungen.

Adam sieht, dass wir jenseits von Eden die Hände nicht in den Schoß legen dürfen. Diese Welt muss gestaltet werden, und dazu braucht es unsere ganze Kraft. Die rastlose Unruhe und die Sorgen des Adam sind ja richtig! Als ob es uns ruhen lassen dürfte, was alles nicht in Ordnung ist, unschuldig getötete Menschen, das Elend der Flüchtlinge, vernachlässigte Kinder, und nicht zuletzt auch die Not unserer Mitgeschöpfe, der Tiere und Pflanzen. Wer sich diesen Themen verschreibt und versucht, etwas zu tun, der tut das Richtige. Und wenn er grantelig und erschöpft wirkt, dann heißt das noch lange nicht, dass es falsch ist, was er tut.

Und Eva legt ja auch nicht die Hände in den Schoß. Auch sie packt an, leidet, sucht. Aber sie hat sich etwas bewahrt: Das Wissen darum, wo die Mauern des Paradieses sind. Ihr ist die Verbindung zu Gott – so könnte man das übersetzen – nicht ganz abgerissen. Das gibt ihr mehr Vertrauen und Hoffnung.

Irgendetwas stimmt nicht mit uns. Lassen Sie uns die Fastenzeit nutzen, dieser Einsicht Aufmerksamkeit zu widmen. Es kann nicht darum gehen, in der Fastenzeit plötzlich alles besser zu machen. Das wäre nur der nächste Irrweg. Aber es kann darum gehen, wenigstens die Fragen offenzuhalten. Die Fragen nach unserem Leben, nach seiner Unvollkommenheit, die Fragen nach der Not der anderen und nach unserer Sehnsucht, heil und ganz zu sein.

Lassen Sie uns diese Fragen eine Weile nicht zuschütten mit den Gewohnheiten, die wir haben, dem schnellen Griff zur Schokolade, zum Glas Wein oder zur betäubenden Informationsflut. Unsere Lebensfragen bewusst offen zu halten, tut weh. Aber nur wenn wir sie spüren, kann sich etwas ändern. Können neue Impulse in uns wachsen, kann sich etwas klären, können wir Altes loslassen.

Und wer davor Angst hat, der kann darauf vertrauen: Was du brauchst, wird dir im richtigen Augenblick über die Mauer des Paradieses von den Engeln zugeworfen. Ganz bestimmt. Amen.

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