Galater 4, 4-7
K.-G. Poehls
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen! Amen.
Liebe Gemeinde!
Mit Paulus kommen geraten wir an einen Christen, der die Geburtsgeschichte nach Lukas entweder nicht kannte, oder der sie zwar als mündliche Tradition kannte, sie vielleicht aber nicht schätzte oder als ungeeignet für seine Gemeinden einschätzte.
Gut vierzig Jahre vor der Niederschrift des Lukasevangeliums versucht er ohne Lieder, ohne Geschichte, sondern nur mit Worten, auch in seinen Augen dürftigen Worten, weihnachtliches Geschehen zu umschreiben.
Dabei ist es kein Weihnachtsbrief, den er an die Galater schreibt. Weihnachten wurde um das Jahr 55 nach Christus noch nicht gefeiert. Und der Ton, den Paulus anschlägt, hat wenig Fröhliches und Friedliches in sich. Er ist entsetzt darüber, wie die Menschen, die sich in der Landschaft Galatien zu Hausgemeinden zusammenfinden, sofort alles wieder hin zu schmeißen drohen, was sie an froher Botschaft gerade erst erfahren haben.
Sie ließen sich begeistern von der Nähe und Güte Gottes, von der Freiheit, die im Glauben liegt, von der Liebe und Hoffnung dieses Glaubens, und nur wenig später, so als ob sie gerade den Gottesdienst verlassen oder gestern noch Weihnachten gefeiert hätten, geben sie alles wieder auf, versklaven sich erneut, lassen sich knechten von Regeln und Gesetzen, die sie gerade noch verworfen hatten, fallen zurück in alle möglichen Formen von Götzendienst.
Aber was er den Gemeinden in Galatien schrieb, das hat mit der Geburtsgeschichte des Lukas gleichwohl ein gemeinsames Fundament: hier wie dort geht es um ein Geist-Geschehen. Geist teilt sich dem Geiste mit, Gott teilt sich dem Gemüt, dem Herzen, der Seele, aber auch dem Verstand, dem Wissen mit – und lässt sich doch nicht davon einfangen, davon begrenzen und erst recht nicht bestimmen.
Denn Maria wusste vom Engel, dass ihr Sohn ein Kind des Geistes Gottes sein würde, und sie gebar Jesus natürlich natürlich aber Jesus als den Sohn Gottes gebar sie im Geist.
Und wenn wir Engel verstehen als Seelenbilder von Gottes Geist, dann teilt sich der Geist Gottes auch den Hirten mit und setzt sie in Bewegung. Und dann ist er allein es, der die himmlische Welt singen lässt, und wir heute haben durch den Geist Gottes eine Vorstellung davon, was das bedeutet und wie prächtig und erhaben das klingt. Und weiter ist es der Geist Gottes, der die Hirten vom Kind erzählen und sie Gott preisen und loben lässt – und wir haben durch den Geist Gottes Anteil an der Freude der Hirten. Und schließlich ist es der Geist Gottes, der die Worte über ihren Sohn Maria ins Herz träufeln lässt.
Und wer sich nun fragt "Wer oder was ist denn nun der Geist Gottes, oder der Heilige Geist?", dem möchte ich mit Hans Küng antworten: "niemand anderer als... Gott selbst, sofern er der Welt und dem Menschen nahe ist, ja, innerlich wird als die ergreifende, aber nicht greifbare Macht, als die lebensschaffende, aber auch richtende Kraft, als die schenkende, aber nicht verfügbare Gnade" (H. Küng, Der Anfang aller Dinge, 176).
Gott ist in dieser Welt und er teilt sich mit. Deshalb hat Paulus ganz Recht, wenn er das weihnachtliche Geschehen loslöst von konkreter Zeit und bestimmten Raum und uns heute mit hinein nimmt ins Geschehen, und deutlich macht: die Ankunft des Sohnes Gottes meint uns.
"Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen. Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater! So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott."
Vorweg eine wichtige Sache: was Paulus als knechtendes Gegenüber des befreienden Gottes ansieht, nämlich das Gesetz, genauer: die Tora, das ist seine Wahrnehmung des damaligen jüdischen Lebens unter der Tora. Es darf nicht übersehen werden, dass es damals wie auch heute eine ganz andere Wahrnehmung der Tora gab und gibt: als Weisung zum gelingenden Leben mit Gott und Mensch und deshalb nicht als Gesetz sondern als Freude.
Es kann ja nicht angehen, dass ein Glaube dem anderen seine Freude nimmt, um die eigene Freude noch größer werden zu lassen …
Liebe Gemeinde, das Gegenüber von Freiheit und Gesetz im Predigttext darf nicht getrennt werden vom Gegenüber von Knecht und Kind – eigentlich heißt es sogar Sklave und nicht Knecht.
Denn es geht nicht, so sehr das zu Weihnachten nahe liegt, darum, wieder wie die Kinder zu werden und deshalb noch frei zu sein von allen Bindungen und Regeln, die das Zusammenleben der Menschen fordert. Das Gegenüber von Sklave und Kind zeigt vielmehr: es geht um mündige Kinder, die Verantwortung übernehmen können und nur einem Rechenschaft schulden: ihrem Vater. Der hat sie für mündig erklärt und zu Erben eingesetzt.
So ist die Freiheit eine, die in der Bindung an Gott liegt, und das Gesetz, das nun nicht mehr gilt, ist nicht die Regelung des menschlichen Zusammenlebens über die Zehn Gebote etwa oder die derzeit geltenden Gesetze, sondern es ist alles, was zwischen die Beziehung von Vater und Kind treten, was dem Vater seine Autorität und dem Kind seine Freiheit und Verantwortung nehmen will.
Wieder und wieder bin ich aufgerufen, meine Prioritäten zu überprüfen. Das ständige "Du musst" lässt sich nicht ablegen, es hat ja seine Berechtigung. Nur zeigen mir oft genug meine Ungeduld, meine Angst, meine Unruhe und meine Beklemmungen, dass ich nicht als mündiges Kind Gottes agiere und lebe, sondern als Knecht all der Erwartungshaltungen und so genannten Sachzwänge, die mich umzingeln.
Dieses Weihnachtsfest schafft mir eine Ahnung, schafft mir Freiraum, als Kind Gottes zu leben und zu atmen.
Im Kind in der Krippe, oder paulinisch gesagt: im Sohn Gottes wendet Gott selbst sich ganz und unmittelbar dem Menschen zu. Eine neue Zeit hat begonnen, Altes ist vergangen.
Gott hat sich in Jesus uns verwandt gemacht, gradlinig und erstgradig verwandt.
Das Mensch-Sein, das Geschöpf-Gottes-Sein, erlaubt den Zugang zum Glauben, zur Gotteskindschaft; weitere Auswahlkriterien soll es nicht geben. Das müssen wir uns auch als Kirche immer wieder vorbuchstabieren: Kirchenmitgliedschaft, Taufe, biblisches Wissen, ehrenamtliche Tätigkeiten, treuer Gottesdienstbesuch sind keine Voraussetzungen, sondern immer nur Konsequenzen der Gottesbeziehung.
Diese ist gleichsam eine Herzenssache. Diese Herzenssache weiß die Weihnachtsgeschichte allerdings unmittelbarer und zu Herzen gehender zu vermitteln als die Worte des Paulus. Aber beide sagen:
Gott will den Geist seines Sohnes – also wieder: seinen Geist – immer wieder in die Herzen der Gläubigen senden, will sich also in unser Herz legen, wie das Kind von Bethlehem in die Krippe gelegt wurde. Denn mein Herz ist als Stätte für Gott nicht unbedingt besser geeignet als ein Futtertrog für ein Kind. Und doch will Gott gerade da hinein.
Und es ist dieser Geist, der ein kindliches Vertrauen – auch mündige Menschen können kindlich vertrauen – und ein kindliches Zutrauen schafft. So wie Gott sich zuerst ganz den Menschen ausgeliefert hat und immer noch ausliefert – dafür stehen Krippe und Kreuz Jesu – so können wir uns ihm ganz ausliefern, oder besser: anvertrauen.
Ausdruck dafür ist die neue Gottesanrede. Abba – dieses aramäische Wort entspricht unserem doch sehr familiären und exklusiven Papa oder Pa oder Paps. Eine ziemlich unbekümmerte und im Vergleich zum "Vater im Himmel" auch unerhörte Gottesanrede. In ihr drückt sich ein Gottesbild aus, das von Fürsorge, Nähe und Treue, vom Verzicht auf Macht, von Liebe und Vertrauenswürdigkeit spricht.
So ist Gott. Wann ich ihn ganz werde gelten lassen können für mich und diese Welt, das kann ich nicht sagen. Aber soviel Weihnachten war schon, dass ich sagen kann: ich möchte nicht mehr von ihm lassen. Er bleibt die Freude, die einem jeden von uns gilt. Amen.