Gottesdienst am vorletzten Sonntag des Kirchenjahres - Hiob 14, 1-14

15.11.2015 | 01:00

Heute am vorletzten Sonntag des Kirchenjahres, dem Volkstrauertag, erinnern wir an die Opfer von Kriegen, von Gewalt und Terror.

Was sich am Freitag Abend in Paris ereignete, überschattet dabei alles Erinnern und Gedenken. Über 120 Menschen fielen blinder Gewalt zum Opfer.

Es erschreckt zutiefst und macht fassungslos.

Wir denken an die Menschen dort.

In den Kirchen Deutschlands begehen wir dieser Tage die ökumenische Friedensdekade. Ein ganz kleines Licht nur. Aber ein Licht das scheint, weil wir auf die Hoffnung auf Frieden nicht verzichten können und weil wir ein kraftvolles Mittun für den Frieden brauchen.

Egal, wie klein diese Schritte an welcher Stelle auch sein mögen.

„Grenzerfahrungen“ ist das diesjährige Thema. Und es hat den Eindruck, als ob Grenzen sich in alle Richtungen verschieben, auflösen, verhärten, entgrenzen…

Mit diesem Thema will die Friedensdekade vor allem das Schicksal von immer mehr Menschen, die angesichts von Krieg und Gewalt zur Flucht gezwungen sind, in den Mittelpunkt stellen.

Heute spüren wir selbst diese Gewalt ganz nahe.

Spüren die Angst und den Schrecken. Die Hilflosigkeit, die Trauer

Menschen kommen nach Deutschland, weil hier etwas wie Hoffnung für sie möglich scheint. Manchmal mit völlig falschen Informationen und Erwartungen, - aber trotzdem mit einer Hoffnung, – dass es hier die Chance gibt, ein Leben neu zu gestalten, etwas Neues zu beginnen, zu lernen, zu arbeiten, mit der eigenen Familie im Frieden zu leben...

Und wäre das nicht wunderbar, wenn auch nur ein Teil von dieser Hoffnung wahr werden würde? Hier bei uns?

Doch auf diesem Weg gibt es so unglaublich viele Grenzen.

Die Bibel kennt diese Grenzgebiete sehr genau. Das ist eine der großen Erzähllinien in der Bibel, wie es nämlich gelingen kann, Grenzen zu überwinden. Jene Grenzen zu überschreiten, die das Leben eng machen und die das Leben selbst, in seiner Weite und Freiheit verhindern.

Der Predigttext heute ist aus dem Hiobbuch.

Und das ganze Hiobbuch erzählt eigentlich von einer einzigen großen Grenzerfahrung.

Die Geschichte mag im Einzelnen nicht jedem bekannt sein, wohl bekannt ist aber das, was wir eine Hiobsbotschaft nennen und was sie bedeutet. Hiobs Name ist zu einer Chiffre geworden. Er steht für schwerste Schicksalsschläge, für unverschuldete Not und extremes Leiden.

Ihm, dem Frommen, dem Gottgetreuen, wird alles genommen, allein sein Leben bleibt verschont: Sein nicht unbescheidener Besitz und Reichtum fällt brandraubenden Dieben zum Opfer, viel schlimmer als dies aber: Auch seine Kinder und ihre Familien müssen sterben, als plötzlich das Haus einbricht, in dem sie zusammen gekommen waren, und das alles in einem Tempo, bei dem man beim Leben schon weiche Knie bekommt. Gewalt greift um sich.

Hiob selbst verflucht den Tag seiner Geburt, denn sein Leben ist zu einem Alptraum geworden. Er träumt davon, sich bei den Toten vor Gott verstecken zu können. Unwissend und nicht ahnend, dass er dies alles nur einem rätselhaften Pakt zwischen Gott und dem Teufel zu verdanken hat.

Mit dem Predigttext aus dem Hiobbuch werden wir in den Worten Hiobs noch mal von einer ganz anderen Grenzerfahrung in Anspruch genommen.

Ich lese den Text:

Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht. Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst. Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer! Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann: so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut. (…) Ach dass du mich im Totenreich verwahren und verbergen wolltest, bis dein Zorn sich legt, und mir ein Ziel setzen und dann an mich denken wolltest!  (…) Alle Tage meines Dienstes wollte ich harren, bis meine Ablösung kommt. Du würdest rufen und ich dir antworten; es würde dich verlangen nach dem Werk deiner Hände. Dann würdest du meine Schritte zählen, aber hättest doch nicht Acht auf meine Sünden. Du würdest meine Übertretung in ein Bündlein versiegeln und meine Schuld übertünchen.

Natürlich werden in der Folge manche Lösungen präsentiert. Die Freunde Hiobs überbieten sich im Nachdenken über Auswege.

Und sie wissen erstaunlich genau, warum alles so kommen musste. Sie erklären es wortreich und scheitern doch bei dem Versuch, das Unerklärliche wegzurationalisieren.

Manche Fragen haben keine Antwort.

Wir blicken auf einen Punkt, an dem alles Wissen, alle Weisheit, alle Vernunft und alle Rationalität an ihr Ende gekommen ist. Grenzgebiet.

Gewöhnlich heißt es da: Sperrzone, betreten oder befahren verboten.

Nun hängt jedes Jahr zur Friedensdekade die Weltethos-Ausstellung hier in der Kirche. Ein Beispiel dafür, Gemeinsamkeiten zu benennen zwischen unterschiedlichen Religionen. Und ein Beispiel auch für ein Durchlässiger-Werden von Grenzen, ein Beispiel auch für das Öffnen von Grenzgebieten.

Verlieren wir denn, wenn wir anderen Religionen zubilligen, auch eine Wahrheit für sich in Anspruch zu nehmen? Sind wir bereit, einen Wahrheitsanspruch zu teilen und damit ja auch einzugestehen, dass wir mit unserem Denken doch auch nur eine sehr begrenzte Sicht von Wahrheit zustande bringen.

Verlieren wir? an Identität, an Werten, an Glauben?

An welchen Stellen spüren wir die eigenen Grenzen? In uns und in unserem Leben? Wo kommen wir nicht weiter, vielleicht auch, weil es anfängt weh zu tun?

Und was schmerzt da eigentlich?

Die Angst, Wesentliches verlieren zu können? Das, was wir uns aufgebaut haben? Was uns ausmacht?

Was uns Identität, Sicherheit, Zufriedenheit und Glück gibt?

Das ist ein Gedankenspiel, liebe Gemeinde.

Durch die Geschichte von Hiob werden wir darauf gestoßen. Hineingestoßen in so ein Grenzgebiet, in seinen Schmerz nämlich, in sein Ringen mit Gott und den kläglichen Versuchen seiner Freunde, ihm sein Leben zu erklären.

Und dann – anfänglich leise und schließlich immer klarer – erkennen wir in den Worten Hiobs eine Bewegung, mit der sich seine Situation ändert. Deutlich wird diese Veränderung  daran, dass er Gott erst als Richter (9,33-35), später als Zeugen (16,19-21) und schließlich sogar als Erlöser (19,25) bezeichnen kann. Mit Blick auf ein und dieselbe Geschichte.

Eine Grenzverschiebung, für die unsere Vorstellungskraft nur im Glauben reicht.

Aus der tiefsten Gottesferne / Einsamkeit spricht Hiob:

Du – Gott - würdest rufen - und ich dir antworten; es würde dich verlangen nach dem Werk deiner Hände. 

In seiner Einsamkeit erkennt Hiob: Du, Gott, als mein Schöpfer, mein Gegenüber…, hast mich immer noch im Blick.

Es ist nicht jener Teil, der alles verlorenen hat, der aus Hiob spricht. Der Verlust bleibt, die Trauer aber darum und der Schmerz wiegen weniger. Es ist, als ob eine neue Kraft, eine neue Zuversicht, ein neues Vertrauen geboren wurden und sich ausbreiten – nicht in einen leeren Raum hinein, sondern ausgerichtet auf eine unermesslich größerer Kraft. Es ist ein heiliger Moment, weil Hiob die Sehnsucht Gottes nach dem Menschen, nach ihm und nach jedem Menschen ungetrübt in den Blick bekommt. Gottes Sehnsucht nach dem Menschen: Mit Hiobs Worten: es würde dich – Gott - verlangen nach dem Werk deiner Hände.

Gott lädt uns beständig und ohne Gegenleistung zu erwarten ein, mit ihm eins zu werden. Gott fließt über und auf uns zu. Das ist die Erfahrung, bei der einem jäh die Sehnsucht anspringt, die einem das Herz aufreißt. Das ist eine Erfahrung von Befreiung und Freude, – und niemals von Machen und Leisten.

Die Bibel führt uns in etliche solcher Grenzgebiete. Sie lädt uns ein damit, zu erkennen, das jeder Schritt über eine noch so schmerzvolle Grenze hinweg uns Gott und dem Verbundensein mit dem Göttlichen in uns näher bringt.

Am Donnerstag Abend hat Helge Burggrabe mit uns hier in der Kirche gesungen. Es waren ruhige, einfache, friedliche Lieder. Und es gelang ihm in seiner Art, eine Nähe herzustellen, in der das Göttliche fühlbar war.

Hagios – hieß der Abend – Heilig.

Kann man es wagen, dieser anderen - als der eigenen - Kraft zu vertrauen? Können wir es wagen, in dieses Niemandsland aufzubrechen?

Wir erleben soviel Erschütterndes um uns herum, so vieles, was es rechtfertigen würde, nicht aufzubrechen, nicht in ein Ungewisses zu vertrauen, bei dem Alten zu bleiben und alles, was wir haben, zu schützen.

Und doch glaube ich, ist genau das unser Weg.

Eine Grenzverschiebung, fur die unsere Vorstellungskraft nur im Glauben reicht. Und für die der Glaube uns die Kraft geben kann.

Amen

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