1. Mose 1 - 2, 4a
Jörg Bode
Kaum ein biblischer Text hat eine solch bedeutende Wirkungsgeschichte entfaltet wie die Schöpfungsgeschichte – nicht nur bei Theologen und in der Kirche, auch bei Musikern wie Joseph Haydn, bei Naturwissenschaftlern und Philosophen – zustimmend wie ablehnend -, und auch bei Besatzungen von Weltraumfähren, die beim Anblick der Erde dieses erste Kapitel der Bibel ergriffen lasen. Ein Text mit einer kaum zu erfassenden Wirkungsgeschichte! Und hier in Blankenese würde wohl kaum wie auch sonst auf der Welt alle sieben Tage Gottesdienst gefeiert, wenn nicht durch den Schöpfungsbericht der 7-Tage- Rhythmus fest verankert worden wäre.
Wir hören heute in diesem Gottesdienst Musik aus Josephs Haydns „Schöpfung“. Ich entsinne mich noch gut, wie ich vor einiger Zeit mit einem Feuilletonredakteur auf dieses Werk zu sprechen kam und er mich spöttisch fragte: „Die Schöpfung“ von Haydn - ist das nicht das Oratorium, wo alle Stücke in C-Dur stehen? Das war das Vernichtungsurteil. Während viele dieses Werk lieben – Chorsänger wie Hörer, ich übrigens auch -, galt ihm Haydns Oratorium offensichtlich – darauf spielte er mit dem in der Sache unzutreffenden Hinweis auf das angeblich vorherrschende C-Dur an – als blankpoliertes, idealisierendes und realitätsabgewandtes Werk, gut zu „Papa“ Haydn passend. Alles irgendwie gekonnt, aber mit ambitionierter Naivität in Töne gesetzt.
Nur: Hat Haydn denn etwas anderes gemacht, als ein Libretto, dessen Grundlage der Schöpfungsbericht ist, in Töne zu setzen? Soll das naiv sein?
„Und Gott sah, dass es gut war“. Diese Bewertung stellt das Grundmotiv von Haydns „Schöpfung“ dar. Eine Musik voller ekstatischer Begeisterung, voll von permanentem Jubel über die Schöpfung. Und so empfinden wir es ganz unmittelbar und brauchen, um dies zu empfinden, nicht vorher zu einem Konzertführer zu greifen.
Was sollte daran eigentlich verwerflich sein, was soll dieser spöttische Hinweis auf das angeblich vorherrschende C-Dur (keine Kreuze und Bs, an denen sich Chorsänger abkämpfen müssen): also einfach, um nicht zu sagen einfältig.
Aber es fällt doch etwas auf:
Haydn hatte mit diesem Werk von der Uraufführung an zwar einen großen Erfolg, aber: Die katholische Kirche hat damals die Aufführung dieses Werkes in Kirchen untersagt. Und selbst wenn wir mit protestantischem Übermut sagten, unsere katholischen Stiefbrüder neigten eben manchmal zu einer übertreibenden Rigidität in ihren Anschauungen: es bleibt doch auffällig, dass ein Werk, dass im Wesentlichen nichts anderes sein wollte als eine in Töne gesetzte Darbietung der Schöpfungsgeschichte, in Kirchen nicht aufgeführt werden durfte. Warum eigentlich?
Der Text von Haydns Oratorium wies einige Auffälligkeiten auf. Dass der 7. Schöpfungstag ausgespart wird, war da fast nebensächlich. Die wichtigste Auffälligkeit nämlich war: Die Geschichte vom sogenannten Sündenfall blieb draußen vor.
Nur: Können wir nach diesem Sündenfall wirklich noch so ungebrochen von der „guten Schöpfung“ sprechen – wir, die wir jenseits von Eden leben? Zeichnet Haydns „Schöpfung“ nicht ein sehr einseitiges Bild? In Birma hat die Schöpfung ihren Schlund aufgetan und kürzlich Zehntausende vernichtet. Kann man sich vorstellen, in den Katastrophengebieten Birmas jetzt Haydns „Schöpfung“ zu musizieren? Wäre das nicht blanker Zynismus?
Eine der anrührendsten Szenen in Haydns Werk ist die Begegnung von Mann und Frau – für unsere heutigen Vorstellungen zwar ein wenig patriarchalisch eingefärbt, aber von überwältigender Schönheit. Bestens geeignet für Jungverliebte. Aber wie hören wir diese Musik, die auf ein so hohes Ideal intoniert ist, in einer Zeit, in der jedes Jahr bei uns Zehntausende von Ehen scheitern und etliche von ihnen auch noch unter entwürdigenden Umständen. Was machen wir also mit dem Jubel Haydns in einer Welt, die sich überhaupt nicht als so ideal zu begreifen vermag – wie hört sich diese Musik jenseits von Eden an?
Und wenn es uns zu beschwerlich ist, von uns Menschen zu reden, sprechen wir doch einmal von den Tieren. Die werden von Haydn als richtig liebenswerte, in ihrer Unterschiedlichkeit beeindruckende Wesen charakterisiert. Nur: Man muss sich nicht erst nach Afrika in die freie Wildbahn begeben, um dies doch als etwas einseitig zu empfinden. Zeigt nicht schon ein Besuch bei Hagenbeck, dass Tiere eben nicht nur idyllische, niedliche Wesen sind, sondern sich auch noch ganz anders darbieten?
Haydns „Schöpfung“ – und das haben die Zensoren der katholischen Kirche wohl nicht ganz falsch gesehen – ist von einem ungebrochenen Optimismus geprägt, wie er für die Aufklärung typisch ist. Die wohl bekannteste Stelle aus seinem Stück ist diejenige, wo sich auf die Worte „und es ward Licht“ völlig überraschend ein musikalisches Wetterleuchten ereignet. Die Stelle folgt zwar dem Wortlaut nach dem biblischen Text, ist aber in ihrer Euphorie offensichtlich von der Begeisterung über jenes Licht geprägt, das in der Zeit der Aufklärung in der Vernunft gesehen wurde. Und mit zunehmendem Vernunftgebrauch würden sich die Dinge, so glaubte man, schon harmonisch entwickeln, wenn sie denn nicht schon harmonisch eingerichtet waren. Die drei Knaben in Mozarts „Zauberflöte“ singen:
„Bald prangt, den Morgen zu verkünden,
die Sonn auf goldner Bahn.
Bald soll der Aberglaube schwinden,
bald siegt der weise Mann“.
Eine optimistische Diesseitsfrömmigkeit machte sich da breit. Vielleicht passt C-Dur als Grundtonart dazu ja wirklich am besten.
Dass wir in einer zerrissen Welt leben – sagen wir es ruhig traditionell: in einer sündigen Welt –,davon war nichts übrig geblieben. Und dass das Vertrauen in die Vernunft ein überzüchtetes Unterfangen sei, dass hatte schon Luther lange vorher gesehen – ein Mann, der nun wirklich von der Vernunft Gebrauch zu machen verstand – ,wenn er drastisch davon sprach, die Vernunft sei eine Hure, im Zweifallsfall für eigene Interessen also vielfältig einsetzbar. Später hat man etwas vornehmer von der instrumentellen Vernunft gesprochen, also einer für alles und jedes nützlichen Vernunft.
Wie, liebe Gemeinde, können wir Haydns Musik hören und lieben, ohne uns als weltabständige Naivlinge, sozusagen permanent C-Dur-Süchtige, denunzieren zu lassen, wie können wir die Schöpfungserzählung der Bibel heute verstehen?
Mit der Schöpfungserzählung beginnt die Bibel. Wir lesen also auch in dieser Hinsicht eine Anfangsgeschichte. Und in dieser Anfangsgeschichte wird – wie es häufig bei solchen Geschichten von fundamentaler Bedeutung ist – zugleich das Ende intoniert. Indem gesagt wird, dass die Schöpfung gut war, wird verkündet: Sie wird wieder gut werden. Eine Geschichte mit einem utopischen Gehalt: Gott erlöst die Schöpfung.
Der Apostel Paulus schreibt in einer sehr tiefsinnigen Passage im Römerbrief:
„Auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.
Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet. Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes.
Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung.“
Was für ein kühner Text! Die Schöpfung sehnt sich nach Erlösung – wie wir selbst. Was wäre, liebe Gemeinde, wenn wir Haydns Musik so als Zukunftsmusik hörten, als Musik der Erlösung? Was, wenn wir den Gesang „Vollendet ist das große Werk“ als Gesang der Erlösten in unsere Ohren dränge? Wir bräuchten dann die dunklen Erfahrungen in und mit der Schöpfung nicht beiseite zu schieben, müssten uns nicht als Naivlinge und Realitsflüchtige denunzieren zu lassen, würden aber schon einmal hören, wie es klingt, wenn Gott alles in allem ist. Und offenbar braucht man dazu mehr Tonarten als C-Dur. Die Schöpfungsgeschichte als Anfangsgeschichte und als Vollendungsgeschichte: Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden – wir und die Schöpfung insgesamt.
In jedem Gottesdienst, liebe Gemeinde, sprechen wir das Glaubensbekenntnis, bekennen uns zu Gott, dem Schöpfer und beschreiten dann einen Weg, der in der Vollendung der Welt, ihrer Erlösung seinen Abschluss findet.
Bevor wir uns aber zu Gott als Schöpfer bekennen, sprechen wir ihn als Vater an – als Vater Jesu Christi.
Die Geschichte von der Erschaffung der Welt und von uns Menschen wird im Glaubensbekenntnis wie in der Schöpfungserzählung hineingestellt in die Heilsgeschichte: Gott ist uns in der Schöpfung zugewandt. Die Psalmen mit ihrem jubilierenden Ton antworten darauf: „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes und die Feste verkündigt seiner Hände Werk“. Und Luther schreibt in seiner Erklärung des ersten Artikels – manche von Ihnen haben das wahrscheinlich wie ich noch im Konfirmandenunterricht auswendig lernen müssen - : Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält…“ Wir und die Schöpfung, in der wir leben: von Gott gemeint, von Gott gewollt – und auf Erlösung wartend. Das ist die Sicht des Glaubens.
Auffällig, wie sich die Sichtweise des Glaubens in der Schöpfungserzählung mit einer anderen Sichtweise verbindet, die wir mit unserem heutigen Vokabular als naturwissenschaftliche bezeichnen würden. Und man möchte mit dem „wissenschaftlichen“ Wissen auf der Höhe der Zeit sein! Vor allem aus dem Zweistromland, aus Babylon, hat man viele Vorstellungen, wenn auch in abgewandelter Form übernommen. Eine Ausstellung, die in dieser Woche im Pergamon-Museum in Berlin eröffnet wird, wird daran sicher erinnern. Keine Berührungsängste aus religiöser Sicht, stattdessen ein freier Blick auf das, was das Wissen bereithält: Für uns hier in Blankenese mit der Gemeindeakademie kann das wie ein Programm sein: Der Glaube wendet sich den Naturwissenschaften zu und tritt in eine Dialogsituation ein. Das ist etwas anderes als dieser bizarre, vor allem in Amerika ausgetragene Streit, der sogar bis in die Titelgeschichte von Nachrichtenmagazinen bei uns vorgedrungen ist. Ein christlicher Fundamentalismus, der die Schöpfungsgeschichte wortwörtlich als Gottes Schöpfungsdesign ausgibt, wird hier von einer ebenso fundamentalistischen atheistischen Sicht bekämpft. Es gibt offensichtlich großen Aufklärungsbedarf - auf beiden Seiten.
So sehr wir uns auch immer wieder herausfordern lassen müssen, auf der Ebene des Gedanklichen den Schöpfungsglauben zu entfalten – ich kann diejenigen gut verstehen, die sagen, der Schöpfungsglaube werde blutleer, wenn er sich nicht auch, ja sogar vornehmlich emotional äußere – wie das etwa in den Psalmen, aber eben auch in der Musik geschieht. Die Emotionalität ist ja allem Reflektieren voraus. Darum: Wenn jetzt die Kantorei singt, hören Sie dies noch als Teil der Predigt: „Stimmt an die Saiten! Ergreift die Leier! Lasst euren Lobgesang erschallen! Frohlocket dem Herrn dem mächtigen Gott!“