1. Mose 12, 1-4a

08.07.2012 | 02:00

K.-G. Poehls

Der Ewige aber hatte zu Awram gesprochen: »Zieh hinweg aus deinem Land, von deinem Geburtsort und von deines Vaters Hause in das Land, das ich dir zeigen werde. Ich will dich zu einer großen Nation machen, will dich segnen und deinen Namen groß werden lassen. Du selbst sollst ein Segen sein. Ich will nämlich segnen, die dich segnen; wer dir flucht, den will ich verfluchen, und mit dir werden sich alle Geschlechter des Erdreichs segnen.«

Awram reiste, wie der Ewige ihm gesagt hatte. (Die Tora nach der  Übersetzung von M. Mendelssohn)

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Ein fremdes Gewand für eine vertraute Geschichte, die Übersetzung Mendelssohns von der Berufung Abrams, der schon bald „Abraham“ – Vater der Völker – heißen soll.

 

Das fremde Gewand einer vertrauten Geschichte kann zu zwei Reaktionen führen: entweder sage ich: „Aber das ist doch falsch, so geht die Geschichte doch gar nicht, das ist ja gar nicht richtig übersetzt“ – damit würde ich mich dann nicht nur über Mendelssohn stellen und ihm seine Hebräischkenntnisse absprechen, damit würde ich mehr noch die Richtigkeit, ja die tiefe Wahrheit eines Inhalts an seine in meinen Augen „richtige“ Form binden.

 

Oder ich sage: „Das ist ja schön, so habe ich diese Geschichte noch nicht gehört“ – damit würde ich die tiefe Wahrheit auch in anderer Form erkennen, mich im Fremden doch vertraut fühlen und jede Form als „richtig“ ansehen, die diese tiefe Wahrheit durchscheinen lässt. Ich kann mich in der Fremde beheimaten, kann mich auch in fremden Religionen zuhause fühlen.

 

Mendelssohn hat ohne Zweifel „richtig“ übersetzt und die jüdische Tradition bietet einem Christen hier schöne Gastfreundschaft an – ebenso wie Sure 6 aus dem Koran in der Übersetzung Asads. 

 

Es ist gerade die Gestalt des Abraham, die mein christliches Bewusstsein ergänzen will mit einem interreligiösen Bewusstsein.

 

Ein solches Bewusstsein hat stets die Tatsache im Blick, dass keine Religion einfach vom Himmel gefallen ist, sondern stets in einem interreligiösem Kontext entstand – befruchtet durch und sich abgrenzend von seinen Nachbar- oder Mutterreligionen. Ägyptische, assyrische und babylonische Glaubensweisen für das Judentum, jüdische und hellenistische für das Christentum, arabisch-jüdische und christliche für den Islam, um nur die abrahamischen Religionen zu nennen.

 

Und ein solches Bewusstsein beheimatet mich zugleich in den anderen, mir doch fremden religiösen Ausdrucksformen: bei den anderen erkenne ich mein eigenes Fragen und Sehnen, sehe sie auch als Menschen, die sich mit ihrem glaubenden Vertrauen rückbinden an Gott oder das Göttliche.

 

Mein Glaubensweg führt doch, wie der Weg anderer gläubiger Menschen auch, durch Gebet, Denken und Handeln in die Tiefe meiner Religion, wo sie selbst irgendwann ihre Wichtigkeit verliert und ich das erahne und gewinne, worauf jede Religion in ihren eigenen Formen und Traditionen bruchstückhaft verweist: das Unendliche im Endlichen, das Sein im Dasein, Gott in dieser Welt. Hier erst gewinne ich die herrliche Freiheit der Kinder Gottes.

 

„Ohne Abraham – so schreibt Karl-Josef Kuschel - ist weder das Judentum zu verstehen noch sind es die Anfänge von Christentum und Islam. …

 

- Das Judentum führt sich zurück auf die in der Hebräischen Bibel bezeugte Linie Abraham – Sara – Isaak – Jakob …

 

- Das Christentum führt sich zurück auf Jesus Christus, von dem es schon im ersten Satz des Neuen Testamentes heißt: „Stammbaum Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams“ (Mt 1, 1).

 

- Der Islam – grundgelegt in der Verkündigung des Propheten Mohammed – führt sich zurück auf die Linie Abraham – Hagar – Ismael.

 

Zugespitzt gesagt: Ohne Abraham, Hagar und Sara kein Judentum, kein Christentum und kein Islam. Alle drei Religionen wollen den Glauben des Urvaters und der Urmütter immer wieder neu wach halten. Für alle drei ist Abraham und seine Form glaubenden Vertrauens auf den überraschend handelnden Gott modellhaft“ (K.-J. Kuschel, Juden Christen Muslime, 549).

 

Genau das nimmt Paulus auf, wenn er an die Galater schreibt: „Wie war es denn bei Abraham? Abraham, so heißt es in der Schrift, „glaubte Gott, und das wurde ihm als Gerechtigkeit angerechnet“ Daran müsst ihr doch erkennen, wer Abrahams Söhne und Töchter sind: Es sind die Menschen, die ihr Vertrauen auf Gott setzen“ (Gal 3, 6.7, Neue Genfer Übersetzung).

 

Wie wichtig für das Zusammenleben der Menschen eine solche Abrahamskindschaft, ein solches interreligiöses Bewusstsein ist, ergibt sich unmittelbar, wenn ich mir vorstelle, es wäre in Syrien, in Libyen vorhanden – und auch hier, wo Muslime unter dem Generalverdacht von Islamismus und Terrorismus stehen oder jüdische Gemeindehäuser und Synagogen bewacht werden müssen oder wir Christen nicht mehr als ernsthaft Glaubende angesehen werden.

 

Kann man denn unserem Täufling nicht von Herzen wünschen, dass er sich nicht nur als freier Christenmensch versteht, sondern auch als Sohn Abrahams, der aufbricht aus altem Denken, Neues wagt im Vertrauen auf Gott, der so segnet, dass der Gesegnete selbst zum Segen wird?

 

Eine Segensgeschichte besonderer Art findet sich in den Erinnerungen Helmut Schmidts. Er schreibt über den ehemaligen ägyptischen Stattspräsidenten Anwar el Sadat:

 

„Einmal führten wir in Ägypten mehrere Tage lang ein Gespräch über religiöse Fragen. Wir fuhren zu Schiff nilaufwärts, schließlich bis nach Assuan. Die Nächte waren völlig sternenklar. Wir saßen stundenlang an Deck, hatten Unendlichkeit und Ewigkeit über uns und sprachen über Gott. ... Sadat hoffte auf eine große friedliche Begegnung von Judentum, Christentum und Islam. Sie sollte symbolisch auf dem Berge Sinai stattfinden, dem Mosesberg, wie er im Arabischen genannt wird. Dort sollten nebeneinander eine Synagoge, eine Kirche und eine Moschee gebaut werden, um die Eintracht zu bezeugen. Tatsächlich hat Sadat 1979, …, dort einen Grundstein für die Gotteshäuser gelegt ... Sadats Friedenswille entsprang dem Verständnis und dem Respekt vor den Religionen der anderen. Erst von ihm habe ich gelernt, Lessings Parabel von den drei Ringen voll zu begreifen. Sadat hat Lessing wohl kaum gekannt, aber er hat Lessings Mahnung nicht bedurft. ...

 

Er war von einer für Regierungschefs ungewöhnlichen Offenheit gewesen, und niemals vorher oder nachher habe ich mit einem ausländischen Staatsmann derart ausführlich über Religion gesprochen. Ich habe ihn geliebt. Wir waren bis auf zwei Tage gleichaltrig. Unsere nächtliche Unterhaltung auf dem Nil gehört zu den glücklichsten Erinnerungen meines politischen Lebens.“ (H. Schmidt, Weggefährten, Erinnerungen und Reflexionen, Berlin 1996, 341 ff.)

 

Verständnis und Respekt vor den anderen Religionen – das hat Sadat weitergeben wollen. Beide bedingen einander: ohne Kenntnis und Verstehen einer anderen Religion kann ich ihr nicht hinreichend Respekt entgegenbringen, ohne Respekt aber vor einer anderen Religion als einem Weg zu Gott werde ich sie gar nicht erst verstehen wollen.

 

Abraham als Stammvater des Glaubens von Juden, Christen und Muslimen lehrt mich, dass keine der großen religiösen Traditionen Gott für sich allein beanspruchen kann, keine die Überlegenheit der eigenen Tradition von ihm her legitimieren darf. Gott ist größer als alle Gottesbilder und Gotteskulte von ihm.

 

Es sind die Heiligen Schriften selbst, Tora, Koran und Neues Testament, die erkennen: vor jeder gewachsenen Tradition, vor Tora und Religionsgesetzt, vor der Kirche und ihren Dogmen, vor Koran und seinen Rechtsvorschriften ist diese Urgestalt, dieser Mensch, der seinem Gewissen folgen will, der rechtschaffen sein möchte, der aus einer tiefen religiösen Intuition und aus der Überzeugung lebt, dass ihm Gottes Frieden und Segen zugesagt sind.

 

Und sich auf ihn zu berufen, ihm zu folgen als auch Gott-Suchender, als auch Gott-

 

Vertrauender, bedeutete schon Segen für unsere Welt: „…und mit dir werden sich alle

 

Geschlechter des Erdreichs segnen“.

 

 

So taugt Abraham auch nicht als Rechtfertigung für Juden, Christen und Muslime, sich nun von anderen Religionen abzusetzen. Sollten wir einst soweit sein, dass wir uns als „Kinder Abrahams“ verstehen und respektieren, dann hoffentlich mit dem noch weiteren Bewusstsein, dass sich selbstverständlich auch in den anderen Religionen jene abrahamische Grundhaltung finden lässt dem Heiligen, dem Göttlichen gegenüber: ein tiefes Vertrauen und die Kraft aufzubrechen und Neues zu wagen.

 

Denn der Segen Gottes ist schon da, wo ich noch hin will, noch hin muss. Von vorne her, aus der unverfügbaren Zukunft oder vielleicht aus dem alles überspannenden Himmel strömt Segen. „Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein“.

 

Das hat Abraham für sich als ein Wort Gottes verstanden und dieses Gotteswort war mit seinem Leben verbunden, wie ein Taufspruch. Ein Urwort des Gottvertrauens mit einer Urgestalt des Glaubens verbunden.

 

Damit fängt Glaube an, auch unserer, und will sich dann entwickeln, will seine Form finden, seine Rituale und Texte, in denen er sich beheimatet, seine Musik, in der der Glaube anfängt zu singen, seine Gedankengebäude, in denen er sich verantwortet vor dem Verstand, vor anderen Religionen und vor dem Weltgeschehen.

 

Es ist ein weiter und fröhlicher Glaube, der Segen gönnt jeder und jedem und diesen Segen weitergibt. So wird, was wir heute unserem Täufling wünschen: „Versäume keinen fröhlichen Tag und lass dir die Freuden nicht entgehen, die dir beschieden sind“

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