1. Mose 18, 20-33
Th. Warnke
Liebe Gemeinde,
ich lese den Predigttext aus dem 18. Kapitel des 1.Buch Mose:
Und der HERR sprach: Es ist ein großes Geschrei über Sodom und Gomorra, dass ihre Sünden sehr schwer sind. Darum will ich hinabfahren und sehen, ob sie alles getan haben nach dem Geschrei, das vor mich gekommen ist, oder ob's nicht so sei, damit ich's wisse. Aber Abraham blieb stehen vor dem HERRN und trat zu ihm und sprach: Willst du denn den Gerechten mit dem Gottlosen umbringen? Es könnten vielleicht fünfzig Gerechte in der Stadt sein; wolltest du die umbringen und dem Ort nicht vergeben um fünfzig Gerechter willen, die darin wären? Das sei ferne von dir, dass du das tust und tötest den Gerechten mit dem Gottlosen, sodass der Gerechte wäre gleich wie der Gottlose! Das sei ferne von dir! Sollte der Richter aller Welt nicht gerecht richten? Der HERR sprach: Finde ich fünfzig Gerechte zu Sodom in der Stadt, so will ich um ihretwillen dem ganzen Ort vergeben. Abraham antwortete und sprach: Ach siehe, ich habe mich unterwunden, zu reden mit dem Herrn, wiewohl ich Erde und Asche bin. Es könnten vielleicht fünf weniger als fünfzig Gerechte darin sein; wolltest du denn die ganze Stadt verderben um der fünf willen? Er sprach: Finde ich darin fünfundvierzig, so will ich sie nicht verderben. Und er fuhr fort mit ihm zu reden und sprach: Man könnte vielleicht vierzig darin finden. Er aber sprach: Ich will ihnen nichts tun um der vierzig willen. Abraham sprach: Zürne nicht, Herr, dass ich noch mehr rede. Man könnte vielleicht dreißig darin finden. Er aber sprach: Finde ich dreißig darin, so will ich ihnen nichts tun. Und er sprach: Ach siehe, ich habe mich unterwunden, mit dem Herrn zu reden. Man könnte vielleicht zwanzig darin finden. Er antwortete: Ich will sie nicht verderben um der zwanzig willen. Und er sprach: Ach, zürne nicht, Herr, dass ich nur noch einmal rede. Man könnte vielleicht zehn darin finden. Er aber sprach: Ich will sie nicht verderben um der zehn willen. Und der HERR ging weg, nachdem er aufgehört hatte, mit Abraham zu reden; und Abraham kehrte wieder um an seinen Ort.
Ein gewagtes Gespräch zwischen Abraham und Gott. Deswegen, weil Abraham in seinen Bitten immer unbescheidener wird, immer mehr riskiert. Weil er Gerechtigkeit fordert vom Richter aller Welt.
Bis er Gott schließlich auf die 10 letzten Gerechten heruntergehandelt hat. Und Gott lässt sich bitten, bis beide auseinandergehen, zufrieden (?) oder vielleicht doch nur, weil schlicht die Grenze erreicht war.
Abraham hätte nicht aufhören sollen. Denn schon ein Kapitel weiter lesen wir, wie Gott Schwefel und Feuer regnen lässt vom Himmel herab auf Sodom und Gomorra und dabei die Städte und die ganze Gegend und alle Einwohner der Städte und was auf dem Lande gewachsen war – vernichtete.
Allein Lot, Abrahams Neffe wird gerettet mit seinen Töchtern, wobei seine Frau, weil sie sich umdreht, entgegen der Mahnung es nicht zu tun, zu einer Salzsäule erstarrt.
Eine lang ausgedehnte Fürbitte Abrahams, mutig und engagiert - und doch endet sie auf verbrannter, salziger, toter Erde.
Ist das die Gerechtigkeit des Richters aller Welt? Aber dürfen wir denn auch, so wie Abraham, Gott Gerechtigkeit vorhalten?
Oder ist Gottes Gerechtigkeit so ganz anders als unsere? Hat Gerechtigkeit einfach überhaupt keine Chance, wenn das Unrecht wütet?
Wir verstehen diese Geschichte, wenn wir verstehen, was sie Israel bedeutete, dem jüdischen Volk der Zeit des Alten Testamentes. Es gibt ein davor, vor dieser Geschichte, dann gibt es diese Erzählung und es gibt ein danach.
Die Zeit davor mag die Zeit der Unschuld sein. Der Schuldlosigkeit, eine Unschuld im Sinne von Unbewusstheit. Ein Unbewusstsein über das eigene Tun.
Das ist die Kindheit und dann ist das vor allem die Jugendzeit. Liebe Jugendliche, versteht mich nicht falsch; es gibt sehr viel Bewusstsein unter Jugendlichen, das ist dann oft nach außen orientiert; es gibt Engagement und Aktivitäten für gute Dinge, und für Dinge, die Spaß und Freude machen, aber es gibt noch wenig Reflektion über das eigene Handeln, wenig Distanz zu sich selbst, das ist so, das muss auch so sein, weil der eigene Deutungsrahmen erst mit den eigenen Erfahrungen und dem wachsendem Wissen aufgefüllt wird. Und schließlich gilt es die Welt zu erobern, oder wenigstens Teile von ihr zu entdecken.
Genau das macht diese Lebenszeit so unbeschreiblich aufregend, - und gleichzeitig so anfällig für Versuchungen, für Grenzüberschreitungen und für Ausschweifungen. Auch das ist so und auch das gehört dazu.
Und genau diese hat die Torah, haben die ersten fünf Bücher Mose der hebräischen Bibel, zu der auch die Geschichte von Sodom und Gomorra gehört, im Blick mit ihren 613 Gebotsvorschriften und den Erzählungen von der Schöpfung bis zum Weg ins gelobte Land, bis zum Tod des Mose.
Die Torah ist das Gerüst, der Leib, die Weisung, wie sie eigentlich übersetzt heißt, für ein ganzes Leben. Die Torah baut das innere Gerüst eines Lebens, den Deutehorizont. Die Torah vermittelt Werte. Es ist ein Lehrbuch für das Leben.
Bei Jeremia sagt Gott: Ich will mein Gesetz, das ist die Torah, in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, (…) weil Gott es wie niemand weiß, dass sein Gesetz ein Gesetz zum Leben ist.
Das ist das Davor. Das ist die Situation vor der Geschichte von Sodom und Gomorra. Der Anfang, das Hineinwachsen, der hoffnungsvolle Beginn, die guten Vorsätze vielleicht, die vielen Versprechen…
Und dann plötzlich kommt das Geschrei, mal laut, mal leiser…
Und Gott sprach: Es ist ein großes Geschrei über Sodom und Gomorra, dass ihre Sünden sehr schwer sind. Darum will ich hinabfahren und sehen… Jahrhunderte später spricht Gott durch den Prophet Jesaja zu den Menschen in Jerusalem, weil das Geschrei groß war und Gott wiederum hinabfuhr um zu sehen…
Höret des HERRN Wort, ihr Herren von Sodom! Nimm zu Ohren die Weisung unsres Gottes, du Volk von Gomorra! – heißt es gleich im ersten Kapitel von Jesaja. Was soll mir die Menge eurer Opfer?, spricht der HERR. Ich bin satt (…) und habe kein Gefallen am Blut der Stiere, der Lämmer und Böcke.(…) Wascht euch, reinigt euch, tut eure bösen Taten aus meinen Augen, lasst ab vom Bösen! Lernt Gutes tun, trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten, schafft den Waisen Recht, führt der Witwen Sache! So kommt denn und lasst uns miteinander rechten, spricht der HERR. Wenn eure Sünde auch blutrot ist, soll sie doch schneeweiß werden, und wenn sie rot ist wie Scharlach, soll sie doch wie Wolle werden. Wollt ihr mir gehorchen, so sollt ihr des Landes Gut genießen. Weigert ihr euch aber und seid ungehorsam, so sollt ihr vom Schwert gefressen werden; denn der Mund des HERRN sagt es.
Das ist die Stimme des Propheten, der zu den Menschen in Jerusalem spricht. Und er nennt sie Menschen von Sodom und Gomorrah.
Aber hier geht es um mehr, hier geht es um Umkehr.
Zurzeit von Sodom und Gomorra gab es noch keine Propheten, da gab es den Urvater Abraham, der Fürbitte eingelegt hat für die Gerechten.
Die Propheten mahnen viel später erst zur Umkehr. Denn umkehren kann nur derjenige, der weiß wovon er umkehren kann, der weiß, wovon er sich abwenden soll; der sieht und erkennt, dass das, was er getan hat, nicht dem Leben dient, nicht den Menschen, nicht Gott dient, nicht gut ist – wie Gott es meint - und der hört und versteht, wie es auch anders sein kann, der selbst spürt und mit dem Herzen wahrnimmt, dass es richtig ist, auf Gottes Weisung zu vertrauen, und das Alte zurückzulassen.
Was für ein Glaube und Vertrauen gehören dazu.
Umkehr ist Ausdruck eines reifen, gereiften Lebens.
In der Zeit vor Sodom und Gomorra kann man nicht umkehren. Man weiß doch noch gar nicht wie es ist, wirklich Fehler zu machen, wirklich etwas Falsches zu tun, wirklich auf der Grenze zu stehen. Da ist man noch in jener Unschuld, von der ich sprach. Umkehr kommt später.
Man spürt die Veränderung, wenn man sein eigenes Sodom und Gomorra erlebt hat, wenn die Geschichte Teil des eigenen Lebens geworden ist.
Das Volk Israel hat sich in seiner tiefsten und erschütterndsten Krise diesem Blick auf sich selbst gestellt. Als das Land, die Hauptstadt Jerusalem und der Tempel als heiligster Ort Gottes auf der Erde zerstört waren, als der Staat nicht mehr existierte und alles, was ehedem Macht, Ruhm und Ehre, Kraft, Reichtum und Stolz bedeutete, nicht mehr da war, als viele Menschen zugrunde gegangen waren, - da gab es einige, die zusammen kamen und versuchten zu verstehen, was da geschehen war.
Da erinnerte man sich an alte Texte, an Weisungen, Gebote, Erzählungen. Und da überlegten sie, wie ihr Volk all die Jahrhunderte gelebt hatte, mit Gott und ohne Gott.
Plötzlich erschien selbst die alte Geschichte von Sodom und Gomorrah, die sich schon die Ur-,Ur-, Urvorväter, die noch als Nomaden umherzogen, abends am Lagerfeuer erzählten, in einem neuen Licht. Man hörte die Worte der Propheten ganz neu, und man begriff, worum es Gott geht. Man ahnte etwas von der Gerechtigkeit Gottes. Jetzt, wo nichts mehr war, wie es war, - jetzt, wo man das eigene Tun und Handeln, die Fehler und die Vergehen des Volkes, der Herrschenden, der Priester – eigentlich aller - erkannte.
Und diese Menschen haben uns eine erstaunliche Erfahrung überliefert: Dann, wenn es aus dem Ruder läuft, wenn es schief geht, wenn man in seinen Fehlern und Entgleisungen versinkt –,was auch immer das sein mag - dann - kommt - Gott. Dann kommt Gott, manchmal mahnend, manchmal erinnernd an den Weg und die Weisung und an das Gute. Und Gott sagt: Ja es gibt ein anders Leben, es gibt eine andere Möglichkeit, das Leben zu verstehen und sein Leben zu führen und zu füllen: Das, was Jesaja erzählte: Wenn eure Sünde auch blutrot ist, soll sie doch schneeweiß werden, und wenn sie rot ist wie Scharlach, soll sie doch wie Wolle werden.
Das ist die Gute Nachricht, das eigentlich ist das Evangelium, genau das hat Jesus getan, - Jesus kam zu den Menschen, die den Kontakt zu sich und ihrer Quelle verloren hatten, „Sünder“ hat man sie genannte, Aussätzige, Verlorene… Menschen, die sich verloren hatte… Das ist der Punkt im Leben, an dem Umkehr möglich ist.
Abraham hatte genau dies vor Gott gebracht. Aber da gab es keine Kraft und keinen Willen zur Umkehr.
Aber gut, dass es Menschen gibt, wie Abraham, die nicht müde werden in ihrem Glauben und in ihrem Vertrauen.
So steht die Geschichte vom Ende dieser Städte fast ganz am Anfang der Bibel. Als eine kollektive Erinnerung. Als eine frühe Mahnung. Eine Mahnung zur Umkehr, weil es nie zu früh ist, zu wissen, dass Umkehr irgendwann zum Leben dazugehört.