10. Sonntag nach Trinitatis - Römer 11, 25-32
Predigt Römer 11, 25-32
Ich will euch, liebe Brüder, dieses Geheimnis nicht verhehlen, damit ihr euch nicht selbst für klug haltet: Verstockung ist einem Teil Israels widerfahren, so lange bis die Fülle der Heiden zum Heil gelangt ist; und so wird ganz Israel gerettet werden, wie geschrieben steht (Jesaja 59,20; Jeremia 31,33): »Es wird kommen aus Zion der Erlöser, der abwenden wird alle Gottlosigkeit von Jakob. Und dies ist mein Bund mit ihnen, wenn ich ihre Sünden wegnehmen werde.« Im Blick auf das Evangelium sind sie zwar Feinde um euretwillen; aber im Blick auf die Erwählung sind sie Geliebte um der Väter willen. Denn Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen. Denn wie ihr zuvor Gott ungehorsam gewesen seid, nun aber Barmherzigkeit erlangt habt wegen ihres Ungehorsams, so sind auch jene jetzt ungehorsam geworden wegen der Barmherzigkeit, die euch widerfahren ist, damit auch sie jetzt Barmherzigkeit erlangen. Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.
Heute – das Radrennen (Cyclassics)
die Sperren überall
Menschen, die sich schwer tun zueinander zu kommen – nicht nur beim Radrennen
den Weg zueinander gar nicht finden –
oder aus Angst oder Verbitterung oder aus ideologischer Blindheit nicht finden wollen.
Unser Predigttext transportiert auch solche „Sperren“:
Es ist das Reden von der Verstockung der Juden,
die Jesus nicht glauben,
die darum nicht gerettet sein könne – so die Vorstellung.
In der Tradition dieses Verständnisses heißt es:
Die Juden haben Jesus abgelehnt
das Evangelium
Gott straft sie, in dem er ihr Herz hart macht
Diese Denken hat zu einer fast 2000Jahre andauernder christlichen Judenmission geführt
und auf der anderen Seite dieser Mission konnte sich der Antijudaismus, der Antisemitismus auch im Christentum einnisten.
Es sind gerade einmal knapp über 30 Jahre her, dass sich hier eine neue Sicht zu den Juden, zum Glauben der Juden hin entwickeln will.
2000 Jahre – gegen 30
Kein Wunder, dass der Antisemitismus noch überall Nester findet
oder immer wieder Nester baut.
Und das Schlimme:
Sogar Bibeltexte wie dieser – wenn man ihn nicht behutsam in seinem Zusammenhang sieht, richten Unheil an. Man muss ihn ernst nehmen. Pinchas Lapide – ein jüd. Theol. hat das einmal gesagt: Man kann die Bibel wörtlich nehmen, oder man nimmt sie ernst.
Die große Frage des Paulus war damals:
Wenn einer seiner Volksgenossen, ein Jude, Jesus nicht glaubt – was ist dann mit ihm?!
Was ist dann mit dem und Gott
und was ist mit dem Versprechen der Treue Gottes zu den Juden?!
Paulus ist Christ geworden
und schreibt an eine christliche Gemeinde in Rom –
In Rom | in Israel überall Juden – die Jesus nicht glauben.
Was ist mit denen, die unseren Glauben nicht teilen?! fragt Paulus.
Ich schätze, viele von uns werden sagen:
Jeder muss doch seinen eigenen Weg mit Gott finden.
Da gibt es nicht den einen für alle
Da ist doch nur der eine Gott für alle
Das kann ein schneller Satz sein
„Jeder - auf seinen Weg“
vielleicht manchmal zu schnell gesprochen
Nimmt er vielleicht doch die eigenen Gefühle und Prägungen noch mit?!
Hinter dem schnellen Satz?!
Ich will es einmal persönlich sagen
Ich komme aus einer pietistischen Gemeinde,
auch meine Ausbildung war tiefpietistisch –
Wir wussten:
Die meisten Pastoren in der Landeskirche sind nicht gläubig, nicht durchbekehrt zum Christus.
Die Arroganz in der Beurteilung ist uns nicht aufgefallen.
Man muss sich nur mit vielen einig sein oder unter Seinesgleichen bleiben
dann wird selbst der Hochmut eingemeindet,
dann ist der Hinweis auf den richtigen Glauben eher ein mutiges Bekenntnis.
Wir sind nach HH gekommen – in eine große Gemeinde
ein Gesprächskreis mit Katholiken und Orthodoxen, mit Kritikern
Und die Leute haben uns eine Weite geschenkt.
Der Glaube, das Vertrauen ist größer als unsere bisherigen Vokabeln es auszudrücken vermochten
so unser neues Verständnis
Als wir nach Hause in unsere Gemeinde kamen und davon erzählten, da wurde später – so hörten wir - in aller Stille für uns gebetet –
weil wir wohl auf schwankendem Glaubensgrund standen.
Hamburg eben.
Und eigentlich kann ich – irgendwie bis heute – beschreiben, dass die Kreise des Glaubens immer weiter werden – ohne dass ich das Gefühl habe, ich gebe etwas auf.
Eher: Ich gewinne so viel dazu.
Das Gottesbild weitet sich,
die Liebe Gottes weitet sich,
Fulbert Steffensky spricht immer von der Mundart des Glaubens, wenn er auf die Ökumene sieht
Ich möchte von der Mundart des Glaubens auch in den Religionen sprechen
Von der Treue Gottes gegenüber seiner Schöpfung
Die Weite fordert allerdings unablässig auf, genau hinzusehen
Eingefahrene Geleise zu verlassen erhält eine Dauerdringlichkeit.
Und Gleise – das merke ich – können so tief sein - lebenstief
Ich will die Schönheit meines Glaubens beschreiben
will davon sagen
ohne dem anderen, dem anders Glaubenden, sein Vertrauen zu Gott zu streichen.
Glaubensstreit – warum nicht
aber doch nie wieder Glaubenskrieg
Und die Welt – so irre es ist – ist voll von Glaubenskrieg.
Wahrscheinlich
– wir erleben das auch in der Gemeinde –
ist es richtig, gut sogar – den Weg,
den man erkannt hat,
den für mich richtigen Weg –
mit anderen zu gehen.
Das kann auch zu Trennungen führen.
Das ist leider so. Es tut weh.
Wenn ich aber anfange,
auszugrenzen,
zu urteilen,
abzuwerten
den anderen Glauben – das andere Gottvertrauen -
dann würde auch hier Paulus aufstehen, einschreiten und sagen:
Haltet euch nicht selbst für klug.
Damals in Rom – bei den Christen – wurde nach gängigen Denkmustern - geurteilt:
Und ich weiß, ich muss auch fragen
Hänge ich nicht selber in gängigen Denkmustern?
Ich will zwei Worte aus dem Text aufgreifen
Verstockung und Erwählung
Die Juden haben Christus abgelehnt
also lehnt Gott die Juden ab.
Verstockung wurde ein Wort dafür
Wie bei dem Pharao, den Gott verstockt hatte – dem er das Herz hart gemacht hatte
Man spricht es nach – und merkt die Alarmsignale nicht mehr
die sofort aufleuchten müßten
Sitzt Gott da im Himmel – und macht Herzen hart – gegen sich???!
macht das Herzen der Juden hart, damit er seine gute Nachricht den Nichtjuden überbringen kann…???
Ein jüdischer Ausleger, sagt, dass hier andere Worte genutzt sind
nicht Verstockung
sondern er übersetzt das Wort mit „Stolpern“
und meint, dieses Wort weist hin auf eine Phase, eine begrenzte Phase
Vielleicht hat Paulus ja vorsichtiger formuliert
Die Gemeinde hat es hart verstanden und so hart weitertradiert:
Verhärtung und Feindschaft – verstockt.
Und den Verstockten gilt Gottes Zorn –
und wenn Gott zornig ist – wieso sollten wir es nicht auch sein…?!
Ich weiß nicht, woher die „Isiskämpfer“ ihre Legitimation nehmen,
aber wenn ihr Gott zornig sein kann – über Gottlosigkeit
können sie dann nicht selbst Werkzeuge seines Zorns sein.
Man kann die Bibel wörtlich nehmen, oder man nimmt sie ernst.
Ich bin nicht in die Gedanken Gottes eingeweiht.
Aber ich will mir einen Gott, der Menschen stolpern läßt – extra – oder der verstockt, um anderen den Zugang zum Heil zu gewähren, gar nicht erst vorstellen.
Und ich halte mich da nicht nur an mein Gefühl – oder das, was ich mir so wünsche.
Ich beziehe mich auf Jesus.
Wir Christen tun das.
Der hat in einer radikalen Weise Abschied genommen von einem Gott, der hin- und her schwankt
der einmal annimmt und dann auch stolpern lassen kann
oder verstockt
der liebt – und ! der straft
Gott
– aus dem Leben Jesu lässt sich das ableiten
Auch wenn die Tradition das in die Bibel oft anders eingetragen haben
– Gott kann für mich nicht der Gütige und dann auch der Strafende sein.
Nicht der Barmherzige und dann auch der Richtende.
Das ist er nicht. So verstehe ich Jesus.
Mit ihm will ich die Überlieferung der Bibel ernst nehmen.
Da ist Gott, der vorbehaltlos, bedingungslos liebt.
Gott ist es, der dem Menschen alles schenkt –
aber mit dieser Liebe und dem Geschenk auch aufs äußerste herausfordert.
Z.B. die alten Geleise zu verlassen.
Heute neu
auf die Liebe zu setzen und nicht auf den Zorn
nicht von Grenzen auszugehen, sondern Brücken zu bauen
Ich weiß, Paulus schreibt keinen interreligiösen Brief.
Er hat eine für ihn unbekannte Gemeinde vor sich – die in Rom
Er will sagen, wie er, der ehemalige Jude, mit der Treue, die Gott den Juden doch versprochen hat, umgeht.
Er will sich eine Tür in der Gemeinde öffnen, bzw. keine Tür zuschlagen.
Er will sagen:
Gott bleibt treu, auch wenn die Geschichte dem jetzt noch zu widersprechen scheint.
Da müht er sich, verteidigt sich mit seinen Vorstellungen.
Und die,
die müssen nicht die unseren sein!
Ein letztes Wort noch aus den Denkmustern:
Er braucht auch das Wort Erwählung.
Und auch dieses Wort muss - für mich heute – weit werden. Diese Weite könnten wir miteinander teilen.
Im Blick auf die Erwählung – steht da - sind die Juden Geliebte um der Väter willen.
Erwählt sein – so hören wir das Wort - heißt:
Ich bin etwas Besonderes.
Die Würde der Väter färbt auf mich ab
Ich habe einen besonderen Auftrag
eine besondere Vollmacht z.B.
Gottes Vollmacht.
Ich bin besonders begabt
hervorgehoben
erwählt eben
Ich bin erwählt – andere nicht…
Zum Auserwählten muss Gott eine besondere Beziehung haben
eine größere Zuneigung als zu anderen
… und es klingt alles nur „exklusiv“
Paulus will seinen Auftrag verteidigen
will – auch durch die Ablehnung der Juden hindurch – an der Treue Gottes festhalten.
Ich kann ihm gut folgen, wenn er sagt:
Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen.
Die Erwählung wird nie zurückgenommen.
Und jetzt würde ich Paulus gerne aus seiner Verteidigungsposition herausnehmen:
Weil Gottes Zuneigung bedingungslos und vorbehaltlos ist:
Wie sollte sie nur dem einen Volk gehören.
Und wenn wir hineinhören in den Auftrag der Erwählten,
durch Jesus
dann führt das Wort uns selbst viel weiter –
weit hinein in Gottes Schöpfung.
Gott will, dass allen Menschen geholfen werde
und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen
Also :
er will, dass ihnen der Himmel aufgeht.
Allen –
allem soll der Himmel aufgehen.
Der Erwählte hat so den Auftrag, den Himmel weiter zu tragen
Gott vorzustellen
dem anderen ein Christus zu werden
den Himmel aufzuschließen
Warum?
Dass auch die anderen sich als Erwählte erkennen können.
Dass auch die Schöpfung weiß – sie ist erwählt
auch die Schöpfung seufzt doch danach
Nicht ihr habt mich erwählt
sagt Jesus im Johannesevangelium
sondern ich habe euch erwählt
und bestimmt,
dass ihr hingeht und Frucht bringt
und eure Frucht bleibt
Die Erwählung – die Frucht, die allen gilt und – bleibt.
Was zuerst nach Exklusivität aussieht,
das dient am Ende mit der Beauftragung der Inklusivität.
Allen gilt das Heil
allen gilt die Zuneigung Gottes
Und die sich erwählt wissen – teilen mit den anderen
das Erwähltsein
übersetzen es
leben es vor
geben es weiter.
Wer auf Exklusivität setzt,
isoliert sich und andere
trennt sich von der Güte des Himmels –
schreibt sie klein –
schreibt sie nur für sich –
Und er verschreibt sich
Unsere Zeitungen schreiben vieles davon auf
von Exklusivität
eine Reihe von Nachrichten – nicht in der Predigt aufgenommen – nur angedeutet
Ein Mann in Mosul – öffentlich gesteinigt, weil er sich nicht an die Ordnung Gottes hielt – er wurde – so wird berichtet - eine Viertelstunde lang mit scharfkantigen Steinen beworfen – bis er tot war – im Namen Gottes
Im Osten Iraks – eine sunnitische Moschee wird überfallen –
73 Menschen sterben.
Die Jesiden gelten den Terror-Milizen als Teufelsanbeter, müssen konvertieren oder werden getötet…
Die Nachrichten sind schrecklich
– ich möchte sie überblättern –
aber die schlimme Ahnung ist,
dass hier erst ein Anfang beschrieben wird
– nicht weit weg –
an den Grenzen des Nato-Partners Türkei.
Überall Perspektivlosigkeit
Gasa – eine Leben ohne Perspektiven
Bei der Militäroperation „Fels in der Brandung“ der Israelis sterben über 2000 Menschen
mehr als 30.000 Wohnungen sind zerstört
das einzige Kraftwerk, Wasserpumpstationen, Fabriken
die Gasa-Zukunft – wie soll sie beschrieben werden?
Und hat Gasa keine Zukunft – verliert auch Israel seine
Die Zukunft im Irak
im SüdSudan
die Ukraine
die Zukunft der Leihmütter in Indien, denen nur die gesunden Kinder „bezahlt werden“…
usw.
Ich würde sie gerne als Erwählte
als von Gott Geliebte
auffordern, etwas gegen diesen Schrecken zu tun.
Und es ist ja unser Auftrag
Aber was?!
Was heute?!
In diesem tragischen Konflikt können Waffen in den Irak geliefert werden
Es bleibt die Furcht,
dass uns die Waffen selber treffen können
Spenden können wir
darum das Spendenkonto – auf dem GD-Zettel
Was wir heute und jeden Tag tun können
ist auf die Erwählung setzen
ihr mehr zu trauen
als allem Schrecken um uns herum
auf die Güte zu setzen, die uns gilt
und dem neben uns
der Familie
der Nachbarschaft
in die Politik hinein
in den Streit, der uns begegnet
Erwählung als die Öffnung für alle proklamierte Exklusivität.
Wer auf Exklusivität setzt, isoliert
sich und andere
Wer auf die Erwählung setzt
trägt die Erwählung weiter
in alle vermeintliche Normalität
in allen Schrecken hinein
Ich kann es dem anderen zuleben
diese Erwählung Gottes – die auch ihm gilt.
Sonntags wird dieser Auftrag aktualisiert
Es gilt: Gottes Gaben und Berufung
können ihn nicht gereuen.
Sicher nicht!
AMEN