2. Korinther 1, 18-22
K.-G. Poehls
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.
Es ist nur ein Wort im griechischen Urtext, an dem unser Predigttext seine Richtung nimmt – je nachdem, wie man es übersetzt. Das Wort heißt πιστός.
In der lutherischen Variante wird es mit „Zeuge“ übersetzt: „Gott ist mein Zeuge, dass unser Wort an euch nicht ja und nein zugleich ist“.
Hier wird Gott in Anspruch genommen für eine menschliche Handlung, nämlich die Predigt von Paulus und Silvanus und Timotheus an die Gemeinde von Korinth. Gott muss herhalten für die Predigt dreier Menschen – als Zeuge und nicht nur als Grund und Thema einer Predigt.
Wahrscheinlich muss Gott immer herhalten. Wohl deshalb haben mich Worte Martin Bubers über das „Wort Gott“ so getroffen, als ich sie erstmals las:
»Ja, es ist das beladenste aller Menschenworte. Keines ist so besudelt, so zerfetzt worden. Gerade deshalb darf ich darauf nicht verzichten.
Die Geschlechter der Menschen haben die Last ihres geängstigten Lebens auf dieses Wort gewälzt und es zu Boden gedrückt; es liegt im Staub und trägt ihrer aller Last. Die Geschlechter der Menschen mit ihren Religionsparteiungen haben das Wort zerrissen; sie haben dafür getötet und sind dafür gestorben; es trägt ihrer aller Fingerspur und ihrer aller Blut.
Wo fände ich ein Wort, das ihm gliche, um das Höchste zu bezeichnen! Nähme ich den reinsten, funkelnsten Begriff aus der innersten Schatzkammer der Philosophen, ich könnte darin doch nur ein unverbindliches Gedankenbild einfangen, nicht aber die Gegenwart dessen, den ich meine, dessen, den die Geschlechter der Menschen mit ihrem ungeheuren Leben und Sterben verehrt und erniedrigt haben ...« (M. Buber, Gottesfinsternis, zitiert bei H. Küng, Der Anfang aller Dinge, 121).
Nein, ich nehme Gott nicht als Zeugen, ich kann es gar nicht, er steht nicht als Person an meiner Seite anderen gegenüber.
Deshalb schlage ich eine andere Richtung ein, die mir mit dem Wort πιστός offen steht: es bedeutet nämlich auch „treu“ und „zuverlässig“. Und dann heißt es: „Gott ist zuverlässig und treu, sodass unser Wort an euch nicht ja und nein zugleich ist“.
Wer aber von uns, liebe Gemeinde, kann diesem Satz folgen: Gott ist zuverlässig und treu?
Als allgemeingültige Behauptung in diesen Kirchenraum gestellt, ja als Kanzelwahrheit verkündet, ist sie doch bodenlos und mag Widerspruch oder Ablehnung bei manchen hervorrufen.
Sie trifft nicht überein mit persönlichen Erfahrungen, sie nimmt Menschen nicht ernst, die glauben, dass Gott ihnen etwas oder gar alles genommen habe, dass er ungerecht ist.
Nur wenn eine persönliche Erfahrung dahinter steht, macht solch ein Satz Sinn: „Für mich ist Gott zuverlässig und treu“. Deshalb singt Maria im Evangelium eben ihren Lobgesang als Antwort auf ein Ja Gottes, das sie für sich gehört hatte.
Nach dieser Predigt singen wir „Die Nacht ist vorgedrungen“. Für mich ist es untrennbar verbunden mit einem Gottesdienst vor über zwanzig Jahren in Bloemfontein, Südafrika.
Wir sangen es nach einer schlimmen Nacht. Ein junger Mann wollte durch einen See zu einem Fest auf der anderen Seite hinüberschwimmen. Er erlitt einen Anfall und war am Ertrinken, schrie um Hilfe.
Ein anderer junger Mann sprang hinterher, um zu helfen, dann auch ich. Der Ertrinkende zog den anderen hinunter, der mich. Klammern und Kämpfen unter Wasser. Zwei Menschen starben, Gaffer am Ufer, vorher war da keiner, jetzt war das Ufer voll mit Menschen.
Verhör auf der Polizeistation und die Nacht hindurch die Frage, was ich falsch gemacht habe, dass die beiden nicht überlebten – und ein Ausgeliefert- und Alleinsein. Verstehen Sie mich nicht falsch: Nie hatte ich das Gefühl, dass Gott mich retten wollte – und die anderen nicht. Ich glaube nicht, dass Gott wirkmächtig eingreift in Menschenleid und –schuld und eine gegebene Situation ändert.
Am Morgen im Gottesdienst dieses Lied: „…Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und –schuld. Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld“ und: „Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt“.
In einem dunklen Nein ein Ja. Und mit dem Lied und mit dem Gottesdienst kam die Hoffnung. Den beiden, die da gestorben waren, gilt ein Ja. Es gilt auch uns, auch mir. Ohnmächtig und hilflos und immer noch ziemlich zitterig vor der Macht, die der Tod bekommen hatte in jener Nacht, war für mich wieder etwas ganz anderes da. Eine Wirklichkeit hinter all dem, was passiert war, ein Halt im Bodenlosen. Hoffnung und Halt waren da – nicht triumphierend, nicht einfach so alles wieder gutmachend. Sondern in dem Schrecken, in den Fragen nach Verantwortung und Schuld. So kann ich lernen, damit umzugehen, so können sie von innen her aufspringen.
So kann ich den Satz hören: „Gott ist zuverlässig und treu“.
Und dann weiter:
„Der Sohn Gottes, Jesus Christus, … der war nicht ja und nein, sondern es war Ja in ihm. Denn auf alle Gottverheißungen ist in ihm das Ja.“
Jesus als leibhaftiges Ja Gottes.
Das ist stark. Das wirft ein kritisches und zugleich warmes Licht auf all meine lauen Jas, gesprochen ohne mein Einverständnis, auf die entschiedenen Jeins, die wir uns immer wieder aus der Politik anhören müssen und auf die paar wenigen großen Jas, die mein Leben ausmachen:
Das Ja meiner Eltern zu mir, das Ja zu meinen Freunden, das Ja zu meiner Frau in dieser Kirche, das Ja zu meinen Kindern. Gott hat ein Ja geschenkt und das ist ein wunderschönes Geschenk, ein richtiges Weihnachtsgeschenk.
Ein solches Ja ist das gesündeste und gütigste und barmherzigste Wort aller Wörter. Ja kommt aus der Freiheit des Gottes-Geistes, ja atmet Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut.
Dieses Ja Gottes lehrt mich Demut zu anderen Religionen hin, zunächst zur jüdischen. Alle Verheißungen Gottes an sein jüdisches Volk, wie sie im ersten oder Alten Testament zu finden sind, sind in Jesus nicht überboten und nicht erfüllt, sagt Paulus hier, sondern bejaht.
Sie gelten weiterhin, auch wenn sie unterschiedlich gelebt und gefeiert werden. Wir haben darauf Amen zu sagen, andere sagen anderes dazu. Amen heißt nach Luthers Übersetzung: „es werde wahr“ (vgl. EG 344, 9).
Glaube ist somit nicht auf Besitz und Erfülltsein ausgerichtet, sondern auf Hoffnung. Hoffnung führt uns durch Menschenleid und –schuld, Hoffnung wird gestärkt und gefeiert, wo immer sich für uns das Ja Gottes in unserem Leben spiegelt.
Sage ich nun zu Gottes Ja mein Amen - mein „ja, es werde wahr“, dann stehe ich im Wort und in der Nachfolge Jesu. So wie er es lebte und zu den anderen, vor allem zu denen, die unter dem Nein der Menschen lebten, brachte, so habe ich nun Ja zu sagen zu den Menschen und zur Welt. Und erkenne doch immer wieder mein Nein.
Deshalb muss immer wieder Weihnachten werden, deshalb muss dieses Ja immer wieder in diese Welt kommen, auch in meine Welt. Und will seinen Gang nehmen, will sich durchsetzen, will sich messen mit dem Nein von Eigennutz, Machtmissbrauch und Feindschaft – bis dahin, dass es wieder zu scheitern droht und am Kreuz Jesu zu streben scheint. Karfreitag wird werden.
Die Antwort Gottes auf das Nein der Menschen aber war und bleibt wieder und wieder ein Ja des Lebens und der Liebe. Ostern gibt Hoffnung.
Zum Schluss heißt es im Predigttext: „Gott ist's aber, der uns fest macht samt euch in Christus und uns gesalbt und versiegelt und in unsre Herzen als Unterpfand den Geist gegeben hat“.
Gott teilt sich mit, pfingstlich, und wollten wir diese Geist-Mit-teilung in Worte fassen, dann komm ich wieder nicht an Jochen Klepper vorbei. Diesmal nicht aus seinem Lied, das wir gleich singen, sondern aus einem anderen:
Ja, ich will euch tragen bis ins Alter hin. Und ihr sollt einst sagen, dass ich gnädig bin. Ist mein Wort gegeben, will ich es auch tun: will euch milde heben, ihr dürft stille ruhn. Lasst nun euer Fragen, Hilfe ist genug: ja, ich will euch tragen, wie ich immer trug (EG 380, 1.3.7).
Sprechen wir, wenn Sie einstimmen können, auf ein göttliches Ja unser Amen