4. Mose 21, 4 – 9 | Judika
Pröpstin M. Lehmann-Stäcker
>Da brachen sie auf, vom Berg Hor, in Richtung auf das Schilfmeer, um das Land der Edomiter zu umgehen.<
Was hier so fern und fremd anmutet, ist – liebe Gemeinde – wie im wirklichen Leben. Da wähnen sich die Israeliten schon im >gelobten Land< und müssen umkehren, zurück in die Wüste, zurück in die Richtung, aus der sie gekommen sind. Es ist zum Verzweifeln und Enttäuschung, Unmut und Ärger machen sich Luft: >Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege und redete gegen Gott und gegen Mose.<
Wer könnte das nicht verstehen? Nach 40 Jahren in der Wüste, nach glühendheißen Tagen und bitterkalten Nächten ist die Seele müde geworden, die Luft zum Atmen knapp.
Man mag nicht mehr kämpfen und jeder Tag wird zur eigenen Plage. So sieht es manchmal ja auch bei und in uns aus, wenn immer und immer wieder Umwege, Widerstände Rückschläge uns heimsuchen und man den Eindruck gewinnt, als ob ein gelöstes Problem nur für das nächste Platz gemacht hätte. In solchen Situationen wird die Gegenwart nur noch schwarz in schwarz und die Vergangenheit verklärt sich.
>Warum hast Du uns aus Ägypten geführt, daß wir sterben in der Wüste? Hier ist kein Brot noch Wasser und es ekelt uns vor dieser mageren Speise.< So die Worte der Israeliten vor mehr als 3000 Jahren. Sie haben die Jahrtausende überdauert – bis heute sehnen sich Menschen >nach dem Fleischtöpfen Ägyptens<, wenn ihre Träume und Sehnsüchte sich nicht erfüllen, wenn das Leben ihnen Geduld und Gottvertrauen abfordert.
Wir kennen diese Einstellung in unserem Land ebenso wie in unserer Kirche und bei uns selber. Und leider suchen wir in solchen Situationen ganz schnell nach jemandem, dem man die Schuld in die Schuhe schieben kann.
Man merkt gar nicht mehr, daß man sich damit an seinem eigenen Leben und damit an Gott versündigt. Wer so denkt, dem ist der Blick auf das ganze Leben verloren gegangen und er verneint, was darin auch segensreich war und ist.
>Manna< wird zu mageren Speise, vor dem es einen ekelt.
Und Gott wird zu dem, der einen im Stich gelassen hat, ja, noch mehr, den es gar nicht gibt, denn, wenn es ihn gäbe, dann könnte er dies alles nicht zulassen. Man vergißt, daß Gott sich mit dem verheißungsvollen Namen: >Jahwe – ich werde immer für Euch da sein< vor-gestellt hat und daß er seine Verheißungen auch immer erfüllt werden. Diese innere Abkehr, dieser Widerstand, sich dem Leben auch dann zu stellen, wenn es schwer ist, diese Vorstellung von der Welt und Gott verlassen zu sein, ist wie ein schleichendes Gift, daß uns lähmt und nach und nach von innen abtötet. Leben wird nicht mehr als ein Gottesgeschenk gesehen, sondern nur noch als Zumutung. Die Bibel beschreibt diese Erfahrung so: >Da kamen feurige Schlangen, die bissen die Menschen und viele starben.<
Liebe Gemeinde, was hier wie die Strafe eines beleidigten Gottes anmutet, ist ein in Worten gemaltes Bild.
Es ist wirklich so, wer sich von Gott löst, ihn nicht mehr vertrauen kann, dem brennt die Last des Tages Wunden in die Seele.
Wer die Hoffnung, daß Gott es – trotz allem – mit ihm oder ihr gut meint, verloren hat, der kann nur noch depressiv werden. Wer Gott aufgegeben hat, gibt in vielen Fällen sich selber auf, wenn das Leben nicht so läuft, wie man es gerne hätte und flüchtet in die Angebote, die diese Erfahrung zudecken – und davon gibt`s genug.
Liebe Gemeinde – daß wir uns richtig verstehen – das ist keine Abrechnung oder Kritik an irgend jemand, auch nicht Arroganz – dafür kenne ich diese Fluchtversuche viel zu gut – sondern nur eine Beschreibung von Leben, wie es Gott für uns nicht vorgesehen hat.
In unserem Predigttext wird nämlich eine Alternative aufgezeigt zu diesem tödlichen Gift der inneren Selbstaufgabe.
Es wird nämlich erzählt, wie die Menschen erkannten, daß sie so nicht weiterleben können: >Und sie kamen zu Mose und sagten: Wir haben Unrecht getan als wir auf Gott schimpften. Setze Du Dich für uns bei ihm ein. Und Mose sprach mit Gott und Gott sagte: Mache eine eherne Schlange und hefte sie auf eine Stange und folgendes wird geschehen: Jeder gebissene, der sie anschaut wird leben. Und es geschah alles, wie Gott es gesagt hatte.<
Liebe Gemeinde, was ich an dieser Geschichte so faszinierend finde ist ihr Realismus. Es ist in der Tat – wie im wirklichen Leben. Ohne Einsicht, daß es so nicht weitergeht, verändert sich nichts. Man muß sich dem stellen >was nicht dem Leben dient<. Das ist ein ungeheuer schmerzhafter Prozeß, bei dem wir alle Hilfe brauchen, Fürsprecher und Fürbitter ebenso wie Seelsorgerinnen und Seelsorger, und letztendlich häufig genug auch Ärzte oder Theapeutinnen.
Sich einzugestehen, daß es im eigenen Leben vieles gibt, was wie ein schleichendes Gift wirkt ist mühsam und schwer, genauso mühsam und schwer, wie die Einsicht, daß Gottes Gegenwart nicht daran festzumachen ist, da es weiterhin bissige Schlangen auf dieser Welt gibt.
Wer sich dieser Wahrheit stellt, wer trotz allen Gott vertraut und sich ihm anvertraut, der wird zuvor seinem Leben nicht einen Tag hinzufügen können, aber in seinen bzw. ihren Tagen mehr Leben erfahren. Sich auch in Rückschlägen, Widerständen, Schmerz und Leid in Gottes Hand zu wissen, läßt uns dem Leben vertrauen. Wir sind bei Gott dem Leben verschrieben – daran erinnert auch das 3. Kapitel bei Johannes, wo unser Predigttext aufgegriffen wird.
Auf das Kreuz schauen, heißt auf Ostern hoffen.
Leid und Tod als Teil des Lebens zu akzeptieren heißt, dahinter das ewige Leben zu entdecken zu glauben, daß Gott Mensch wurde, um unsere Schmerzen mitzutragen heißt,
nicht zu ver-zweifeln.
Wir werden wahrscheinlich auch in Zukunft von den Schlagen des Zweifels, des Infragestellens des Aufstandes gegen Gott gebissen werden, aber – mit diesem Lebens-Zeichen, dem Kreuz werden wir lebendig sein und bleiben.
Amen