Jeremia 20, 7-11a | Bildung und Gerechtigkeit

15.03.2009 | 21:51

Dr. Heide Emse

Predigt zum Thema Gerechtigkeit und Bildung

„Liebe, die du mich zum Bilde deiner Gottheit hast gemacht“ haben wir gesungen, liebe Gemeinde. „Liebe, die du mich so milde nach dem Fall hast wiederbracht“, dichtet der Autor weiter, um jeden Vers dieses Liedes abzuschließen mit seinem „Liebe, dir ergeb ich mich, dein zu bleiben ewiglich“. Der Dichter war Johann Scheffler, besser bekannt vielleicht als Johannes Angelus Silesius. Er lebte im 17. Jahrhundert und war in seiner Zeit wohl der bedeutendste Vertreter einer christlichen Mystik, für die die liebende „Ein-Bildung“ Gottes in die Menschen höchstes Gut und wichtigstes Ziel war.
Fasziniert von der Vorstellung, dass durch Menschen Kontakt aufzunehmen sei zu der Liebe Gottes, dass sie sie in sich auf-nehmen, sie in sich „hineinbilden“ lassen könnten, besang Scheffler diese Liebe, beschrieb mit ihrer Hilfe die Schaffung des Menschen, die Überwindung des Sündenfalls, die Menschwer-dung Gottes, vor allen Dingen aber auch Kraft der Liebe für die Menschen selbst und für ihr Handeln: „Liebe, die du Kraft und Leben, Licht und Wahrheit, Geist und Wort, Liebe, die sich ganz ergeben mir zum Heil und Seelenhort.“ Dieser Liebe wollte Scheffler sich hingeben, sein Leben ein Bild dieser Liebe sein lassen, ewig mit ihr in Verbindung sein.


Als Liebesbeziehung verstanden die Mystiker ihre Beziehung zu Gott. Überall in ihrem Leben spiegelte sich für sie diese Liebe. Sie erlebten ganz direkt für sich: „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn und er schuf sie als Mann und Frau.“ Diese Vorstellung galt es, ganz in sich aufzunehmen, sie sich „ein-zu-bilden“, so dass sie ih-ren Blick auf die ganze Welt prägte.
Und wie ein Lied, das von unerschütterlicher Liebe singt, hört sich dann dieser Choral in großen Teilen auch an.
„Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde“, davon geht unser Glaube aus. „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde“, den Dichter der Mystik Johann Scheffler, Sie, mich, alle Menschen. Mit dieser Liebe erwählte und meint Gott Sie und mich und alle Menschen, längst ehe wir das Licht der Welt erblicken. Das Bild von jedem und jeder von uns ist bewahrt bei Gott – ewig und immer. So will Gott uns mit der Kraft und mit dem Geist ausstatten, die uns leben lassen. Wir sind jede und jeder für sich seine Bilder – und wo wir dies glaubend in uns aufnehmen, kann dieses Wissen, ja dieses Bild von uns unser ganzes Leben prägen.


Eine richtige Entdeckung war einmal für mich, dass der Glaubenssatz von dem Menschen als Bild Gottes etwa hundert Jahre nachdem Scheffler dieses Lied gedichtet hatte, das Wort „Bildung“ in der deutschen Sprache aufkommen ließ. Es wurde im wesentlich im deutschen Pietismus aufgenommen und sollte ver-deutlichen: „Der Mensch ist geschaffen nach dem Bilde Gottes und der Christenmensch ist neu geschaffen, um auf das Bild des Gottmenschen Christus hinzuleben.“  Diese direkte Wortverwandtschaft gibt es so in anderen Sprachen nicht. Die Begriffe dort sind eher mit unserem Wort „Erziehung“ wieder zu geben.


Aber im Deutschen heißt es „Bildung“ und hingewiesen wird darauf – das sollen wir als Christinnen und Christen auf gar keinen Fall vergessen -, dass es sich bei der Gottebenbildlichkeit des Menschen nicht um eine Art fertiger Mitgift handelt, sondern dass die Menschwerdung des Menschen einen Prozess be-schreibt: werden soll er, soll sie, was er oder sie ist, von Gott gewollt sich entwickeln zu dem, zu der, als der er oder sie gemeint ist: Bild Gottes in der Welt. Ich denke, größer kann von uns Menschen nicht gedacht werden.
Inzwischen ist die Verbindung von „Bildung“ zum Glaubenssatz von der Gottebenbildlichkeit weitgehend durchaus nicht mehr geläufig und der Begriff wird im säkularen Raum ganz selbstverständlich gebraucht. Aber deutlich verweist er darauf, dass Bildung gerade nicht einfach die Anhäufung von Wissen beschreibt und dass der Umgang mit Bildungsgütern durchaus nicht beliebig sein kann, sondern dass es letztlich um die Frage der Orientierung in der Bildung geht: da reicht es – wie gesagt – als Ziel durchaus nicht aus, möglichst viel Wissen in einer Person anzuhäufen und auch nicht mit den nötigen Ressourcen für unsere Volkswirtschaft zu argumentieren – so wichtig oder sinnvoll das im Einzelnen sein mag. Auch im säkularen Bereich muss es schon gemäß unseres Bildungsbegriffes um die Frage der ethischen Orientierung gehen, auf die hin Wissen vermittelt oder angesammelt wird. Und für uns als Christinnen und Chris-ten geht dieser Gedanke noch weiter: bei unseren Bildungsüberlegungen müssen wir uns der Frage stellen, ob wir uns und anderen die Chance eröffnen zu werden, wie Gott uns Menschen gemeint und gewollt hat. Das hat für uns die Zielorientierung bei unserem Engagement für die Bildung in unserer Gesellschaft abzugeben.


Und an dieser Stelle muss ein weiterer Gedanke ins Spiel kommen, der den Rahmen des Scheffler-Liedes doch sprengt: dort ist durch alle Strophen hindurch die Rede von „mir“, von einem Individuum und seiner „Liebes“-Beziehung zu Gott. Andere Menschen kommen nicht in den Blick. – Aber darin liegt ja gerade das große Geheimnis, wenn wir Menschen von der Gottebenbild-lichkeit reden oder eben davon, der oder die zu werden, den oder die Gott mit uns gemeint und gewollt hat: Diese Liebe Gottes gilt allen Menschen; alle Menschen sollen die Chance bekommen, die zu werden, als die sie gemeint sind, die Gaben zu entwickeln, die ihnen von Gott geschenkt sind – und das im-mer in Orientierung an der Frage: wie wird in ihnen und durch sie Gottes Liebe zu uns Menschen und unserer Welt deutlich?


Genau an dieser Stelle muss muss vor Augen kommen, wie unerträglich uns die Einsicht sein muss, dass es keine Bildungsgerechtigkeit gibt, dass es sie nie gegeben hat, nicht hier in unserer Gesellschaft und erst recht nicht weltweit. Es ist unerträglich und muss für uns unerträglich sein und bleiben, dass einschlägige Studien ganz eindeutig zeigen: es gibt – statistisch klar nachweisbar – einen Zusammenhang zwischen Sozialstatus und Bildungsniveau – auch wenn das schon immer so war. Es ist für uns unerträglich und muss unerträglich sein und bleiben, dass Kinder keine Schulkontakte haben können, weil sie mit für den Lebensunterhalt ihrer Familien zu sorgen haben – oder gar als Straßenkinder ohne familiäre Bindungen und familiären Schutz leben müssen – auch wenn das schon immer so war. Es ist ein Skandal und muss für uns ein Skandal sein und bleiben, dass wir es offensichtlich einfach nicht schaf-fen, diesem Riesenmissstand in die Speichen zu fallen.


Wir akzeptieren damit, dass es für diese Kinder und Menschen unmöglich ist, die Fülle der Gottebenbildlichkeit glauben und leben zu lernen. Wir akzeptieren damit, dass sie all ihre Energie ins Sichern ihres Überlebens stecken und sie nicht auf-wenden, um sich der Fülle des Lebens – einschließlich all der Kunst und Literatur und Musik – zu öffnen, sowie Sinn durch das Erbringen von Leistungen zu erfahren, die der Gemeinschaft aller zugute kommen und gerade darin auch für einzelne befriedigend sind.


Dass das anders wird, das kann für uns nicht einfach nur eine moralische Forderung sein und bleiben, sie folgt aus unserem Glauben.
Begonnen haben diese Überlegungen mit der Faszination eines Menschen, des Angelus Silesius, der so etwas wie ein Liebeslied singt, weil er für sich erfahren hat, dass Gott ihn zu seinem Bilde – ich möchte jetzt lediglich hinzufügen – alle Menschen zu seinem Bilde geschaffen hat. Und hier kommt für mich einer der Bibeltexte ins Spiel, die als Predigtgrundlage für diesen Sonntag Okuli vorgeschlagen sind, Jer.20,11-18a, der beginnt mit:


„Gott, du hast mich überredet und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht mich.“ Eigentlich müsste das noch stärker übersetzt werden: „Gott du hast mich betört, verzaubert, bezaubert und ich habe mich bezaubern, verzaubern, betören lassen.“


Wieder sind da Anklänge an die Sprache der Liebe, aber diesmal ist es enttäuschte, verletzte Liebe: Ich habe mich auf dich eingelassen, war fasziniert von dir und dem Glauben an dich, aber diese Faszination hat nicht durchgetragen, das Anliegen, dich und dein Wort in dieser Welt zu verkünden, die Kraft des Glaubens weiter zu geben, ist nicht zum Ziel gekommen. Im Ge-genteil, ich werde verlacht und verspottet dafür.


Und wenn ich mir heute das ansehe, was ich eben als logische Folge aus unserem Glauben an die Gottebenbildlichkeit zum Problem der Bildungsgerechtigkeit, genauer der Bildungsungerechtigkeit gesagt habe, wenn ich mir das vergegenwärtige, dann kann ich eigentlich auch nur sagen: „Gott, du hast mich bezaubert mit dieser Zusage, dass Menschen werden können, wie du sie gemeint hast, dass sie ihre Bildung, ihr Arbeiten und Leisten einsetzen werden zum Wohle deiner Welt und deiner Menschen – Gott, du hast mich bezaubert und betört damit. Und nun stehe ich da und bin mir darüber selber zum Spott geworden. Was wir dazu tun müssten, das ist doch nicht zu schaffen. Ich werde, wir paar Christinnen und Christen werden die Welt nicht so weitgehend ändern; da können wir noch so viel daran glauben, dass wir, dass alle Menschen dir zum Bilde geschaffen sind. Du hast mir einen Floh ins Ohr gesetzt mit deiner faszinierenden Idee und den werde ich nun nicht wieder los. Und auslachen will ich mich nicht lassen, und hinter mir her tuscheln lassen, dass ich eine Phantastin sei, die die Realitäten nicht wahrnehmen wolle und andere mit falschen Versprechungen hinters Licht führe, will ich auch nicht. Lass mich in Ruhe mit deiner Verheißung der Gottebenbildlichkeit, die allen gilt.“
Wie Jeremia möchte ich da klagen und schimpfen und wüten und mich abwenden. -


„Aber Gott, der Herr, ist mir ein starker Held“, zu diesem Satz ringt sich der enttäuschte, verbitterte Jeremia in all seinem Leid durch. Trotz allen Schimpfens und Klagens, trotz aller Enttäuschung und Verletzung scheint er zu wissen: er wird sich nicht auf Dauer abwenden können, dafür ist die Faszination zu stark. Er wird sich nicht abwenden, Gott wird ihn nicht wieder los lassen. Sein Leidensweg wird weitergehen. Aber den Glauben, dass irgendwann die Erlösung kommen wird, dass Gott, wie er es ausdrückt, „mit dem Hause Israel und dem Hause Juda einen neuen Bund schließen“ wird und dass Gott sein Gesetz in ihr Herz geben und er ihr Gott und sie sein Volk sein werden (Jer.31,31-34), diesen Glauben wird er doch nicht aufgeben – ein Leben lang fasziniert von Wahrheit, Geist und Wort, die sich ihm eingebildet haben. Er hat die Verbindung nicht getrennt, er hat die Spannung weiter ausgehalten.
Solche Menschen sind vor uns hergegangen, schließlich gefolgt von dem Menschen Jesus, der Mensch gewordenen Liebe Gottes für uns, damit wir leben können, lieben können in allem Scheitern, bleiben können in der Liebe, sie in uns einbilden lassen und aufstehen und weitergehen mit dem Ziel und der Orientierung, die Gott selber gibt: die Menschen sind meine Ebenbilder – alle, sie sollen die Chance haben, es zu werden. Ich bin an eurer Seite, die Mensch gewordene Liebe war und bleibt an eurer Seite.


Diesen Glauben erhalte uns Gott. Er ist es, der uns immer wieder betört und bezaubert und uns zum Leben hilft. Und wir sind es, die diesem Glauben – in allem Ungenügen und aller Vorläufigkeit - seine irdische Gestalt zu geben suchen und immer wieder auch zu geben vermögen.

 

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