Jesaja 42, 1-4 | Gerechtigkeit und Globalisierung

08.03.2009 | 21:53

Dr. Klaus Schäfer, Nordelbisches Missionszentrum (NMZ)

Predigt im Rahmen einer Predigtreihe zum Thema Gerechtigkeit

Liebe Gemeinde,
Ich freue mich, heute mit Ihnen Gottesdienst feiern zu können und in Ihrer Predigtreihe zum Thema Gerechtigkeit mitzuwirken. Der Begriff und Gedanke der Gerechtigkeit ist wichtiges biblisches Wort, sowohl im Alten als auch im Neuen Testament. In Ihrer Predigtreihe suchen Sie dieses Stichwort in unterschiedlichen Perspektiven zu entfalten. Heute soll es um den Zusammenhang von Gerechtigkeit und Globalisierung gehen.

Globalisierung ist ein Modewort geworden, das seit den 1990er Jahren eine unerhörte Karriere gemacht hat. Wenn man später, vielleicht in 100 Jahren, einmal die Geschichte unserer Zeit am Übergang ins 21. Jahrhundert nachlesen wird, wird man wahrscheinlich das Wort Globalisierung als den charakteristischen Begriff wieder finden, mit dem man unsern Epochenwandel beschreibt.

Aber was ist mit Globalisierung gemeint? – Der Münchener Soziologe Ulrich Beck hat einmal geschrieben, dass der Versuch, diesen Begriff zu definieren dem Versuch gleicht, einen Pudding an die Wand nageln zu wollen. Diese etwas saloppe Beschreibung hat ihn dann doch nicht davon abgehalten, selbst dicke Bücher – und außerordentlich interessante – Bücher über das Phänomen der Globalisierung zu schreiben
 
Ich möchte auch mit einer saloppen Beschreibung der Globalisierung beginnen. Schon vor einigen Jahren habe ich einmal ein Email von einem Freund aus Indien weitergeleitet bekommen. Er stellt darin die Frage, wie eine gute Definition von „Globalisierung“ lauten könne. Seine Antwort war: „Der Tod von Prinzessin Diana.“ – Und seine Erläuterung dazu: „Eine englische Prinzessin hat mit ihrem ägyptischen Freund in einem Autotunnel in Frankreich einen tödlichen Autounfall; sie fuhren in einem deutschen Wagen mit einer holländischen Maschine darin, der von einem Belgier gefahren wurde, der wiederum von schottischem Wiskey betrunken war; der Wagen wurde verfolgt von italienischen Paparazzi, die japanische Motorräder fuhren; Diana und ihr Freund wurden von einem amerikanischen Arzt behandelt, der brasilianische Medikamente benutzte. Und, so weiter: Dieses Email ist Dir aus Indien mit amerikanischer Technologie von Bill Gates gesandt, und Du liest es wahrscheinlich an einem Computer, der taiwanesische Chips enthält und einen koreanischen Monitor hat; zusammengebaut waren die einzelnen Computerteile vermutlich in Singapore von Arbeitern, die aus Bangladesh stammen; transportiert wurde dieser PC dann wahrscheinlich von pakistanischen Lastwagenfahrern, die unterwegs von indonesischen Piraten überfallen worden waren… usw. usw. – Das ist Globalisierung.

Globalisierung meint die Vernetzung der Welt, das Zusammendrängen von Raum und Zeit, das Überschreiten von Grenzen. Globalisierung ist ein vielschichtiges Phänomen, mit sehr interschiedlichen Facetten:
- Wirtschaftswissenschaftler werden auf die Integration der Märkte und die Internationalisierung der Finanzströme hinweisen; Globalisierung hat die Entstehung eines Weltmarkts im Blick, den freien Fluss von Kapital, die mögliche Verlagerung der Produktion von einem Ort an einen anderen;
- Politiker sprechen davon, dass die Nationalstaaten zunehmend an Bedeutung verlieren und transnationale Steuerungs- und Handlungskräfte immer wichtiger werden; die Finanzkrise etwa kann nicht von einem Staat allein gelöst werden;
- Globalisierung hat zu tun mit weltweiter schneller Kommunikation. Wir können in Jetztzeit mit Menschen überall auf der Welt kommunizieren, wir surfen im world-wide-web, schauen CNN usw.
- Globalisierung zeitigt auch neue kulturelle Entwicklungen: Einerseits wird die westliche – insbesondere amerikanisch geprägte - westliche Kultur universalisiert, andererseits beobachten wir auch Gegenbewegungen mit Aufmerksamkeit für das Lokale und die eigene Identität; Pluralität und auch das Verschmelzen von Kulturen und das Entstehen neuer, transnationaler Kulturen gehört zur Signatur unserer Zeit.

In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts sahen wir uns einer zweigeteilten Welt gegenüber, durch die eine scharfe Grenze lief; symbolisiert war dies am deutlichsten durch die Berliner Mauer. Die sog.  Dritte Welt stand am Rande bzw. außerhalb dieser Blöcke. Heute stehen wir in einer internationalen Vernetzung, mit dem world-wide-web als dem aussagekräftigsten Symbol. Die Welt ist ein Dorf geworden.

 

Wie sieht aber dieses Dorf aus? – Wenn die Welt, so wie wir sie heute kennen, proportional zu einem Dorf reduziert würde, in dem 100 Menschen leben, was würde man zu sehen bekommen?  Es ist zunächst eine Welt voller Vielfalt und Pluralität: 51 Menschen in diesem Dorf würden männlich sein, 49 weiblich; 60 würden Asiaten sein, 14 Afrikaner, 11 Europäer, 14 Amerikaner (aus allen Teilen Nord- und Südamerikas), 1 würde Australier oder Neuseeländer sein. Diese Menschen würden aus ganz unterschiedlichen Kulturen kommen, verschiedene Sprachen sprechen und unterschiedliche Religionen haben: 14 in diesem Dorf würden, als ihre Muttersprache, das chinesische Mandarin sprechen, 5 Englisch, 5 Spanisch, 3 Hindi, 3 Portugiesisch, 3 Bengali, 2 Russisch, 2 Japanisch, 1 Arabisch, und 1 Deutsch. Die anderen 61 würden Indonesisch, Französisch, Italienisch, Koreanisch, Thai, Vietnamesisch und viele andere Sprachen sprechen. Im Blick auf die Religion würden 33 Christen sein, 20 Muslime, 14 wäre atheistisch oder Agnostiker; 13 wären Hindus, 13 von anderen Religionen, 6 Personen wären Buddhisten und 1 würde ein Jude sein. Die Erde zu einem harmonischen und friedlichen Zuhause für alle diese verschiedenen Mitglieder der menschlichen Familie zu machen ist eine große Aufgabe, vor die wir heute gestellt sind.

In unserem globalen Dorf mit 100 Einwohnern sind die Ressourcen sehr ungleich verteilt. Die reichste Person im Dorf has so viel wie die ärmsten 57 Personen zusammen. 50 haben keine regelmäßige Mahlzeit und sind hungrig, zeitweise oder die ganze Zeit; 30 leiden an Unterernährung. 40 haben keinen Zugang zu sanitären Anlagen; 31 Menschen leben in unangemessenen Wohnungen; 31 haben keine Elektrizität zur Verfügung; 18 sind nicht in der Lage zu lesen und zu schreiben; 14 haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Lediglich 16 Personen haben Zugang zum Internet; nur 12 besitzen ein Auto; 3  sind von Migration betroffen. Nur zwei Personen haben eine Collegeausbildung. Insgesamt: 19 müssen versuchen, mit einem Dollar oder weniger am Tag zu überlegen, 48 leben von zwei Dollar oder weniger am Tag. Nach Berechnungen der Weltbank leben Zweidrittel der Weltbevölkerung in Armut.

Die Ungleichheit, die hier im Dorf herrscht, stellt uns zweifellos vor die Frage der Gerechtigkeit.

Was bedeutet diese Welt für uns als Christen? Was haben wir damit zu tun, wie fordert uns diese Welt heraus?

Wir haben in der Lesung einen Text aus dem Alten Testament gehört, der uns heute Morgen als Orientierung dienen soll, um unsere Rolle und unseren Auftrag in diesem bunten, aber auch von Ungleichheit und Ungerechtigkeit gekennzeichneten Weltdorf zu bedenken und anzunehmen.

Das ist von einem „Knecht“ die Rede, dem „Knecht Gottes“, der von Gott selbst ausgerüstet worden ist und mit einem Auftrag hinaus in die bunte Völkerwelt gesandt wird. „Siehe, das ist mein Knecht – ich halte ihn – und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben; er wird das Recht unter die Heiden bringen“; er soll, wie es später weiter heißt, „auf Erden das Recht (Gottes) aufrichten“, „und die Inseln warten auf seine Weisung“.

 

In diesem so genannten Gottesknechtslied – im Buch des Propheten Jesaja gibt es vier solcher Lieder, die vom Knecht Gottes handeln – wird ein weiter Horizont aufgerissen, der für das Alte Testament nicht gerade üblich ist. Nicht allein an das Volk Israel soll sich der Knecht Gottes senden, sondern an die Heidenvölker, die Welt. Gott ist ein Gott aller Menschen, aller Völker, der Menschheit insgesamt – keinesfalls ein Stammesgott. Hier kommt eine Vision einer globalisierten Welt, ja einer globalen Mission, einer universalen, sich auf die ganze Welt erstreckenden Sendung in den Blick. Es geht im wahrsten Sinne des Wortes um Weltmission!

Die Bibelausleger fragen immer wieder neu, wer dieser geheimnisvolle Knecht Gottes ist, von dem hier in einer Gottesrede – Gott spricht den Knecht an – gesprochen wird. Ein Name wird ja nicht genannt. Handelt es sich um den Propheten selbst oder einen anderen Propheten, eine einzelne Gestalt? Ist damit das Volk Israel selbst gemeint – dafür sprechen Hinweise in den anderen Liedern, die den Knecht direkt mit dem Volk Israel identifizieren (vgl. insbesondere Jes. 49,3). Dann hätte das Volk Israel eine Sendung an die Welt, eine Mission in der Welt.

Im Judentum spricht man heute nicht gern davon, dass Juden selbst Mission treiben, eine Sendung an die Welt haben. Und doch ist dies wohl auch mit diesem Bibelwort gemeint. Leo Baeck, einer der großen deutschen Juden hat in seinem Buch „Vom Wesen des Judentums“ deshalb auch ganz zu Recht von einer Mission des Volkes Israel gesprochen: „Das Judentum war die erste Religion, die im Dienste einer Idee Mission trieb…“; „das Bewusstsein des Missionsrechtes und der Missionspflicht“ war dem Judentum immer eigen, auch wenn es faktisch nicht immer Mission getrieben hat. Aus der „Gewissheit“, das erwählte Volk Gottes zu sein, „ist dann die Idee von dem weltgeschichtlichen Berufe, von der Mission Israels erwachsen, von der Verantwortlichkeit, die es vor Gott und den Menschen hat“. Und er fügt an einer anderen Stelle noch hinzu:
„Eben hierdurch (als Minorität eine Mission zu haben) ist das Judentum auch ein Gradmesser für die Höhe der Gesittung auf Erden geworden. Was seine Gemeinde durch die Völker erfahren hat, unter denen sie lebte, ist immer ein Maßstab dafür gewesen, wie weit Recht und Gerechtigkeit unter den Nationen Bestand hatten, denn alle Gerechtigkeit ist Gerechtigkeit für die Wenigen.“

Mir ist wichtig, heute – nachdem wir letzte Woche die Woche der Brüderlichkeit gefeiert haben – mit Respekt auch auf diese Mission Israels hinzuweisen. Auch wenn wir Christen vom Neuen Testament her in dem Knecht Gottes Jesus Christus, den Messias der Völker, erkennen, bleibt doch auch die Sendung Israels bestehen, denn Israel hat uns den Messias geschenkt.

Ist der Knecht also Jesus Christus? – Ja! Aber der Messias muss immer zugleich mit seinem Volk gedacht und gesehen werden. Der Knecht Gottes, der zu den Völkern gesandt wird, ist Jesus Christus, der Messias, aber es ist auch das messianische Volk aus Juden und Christen. Wir sind hinaus gesandt in eine globalisierte Welt, um hier das Recht Gottes zu verkündigen.

 

Das Recht Gottes soll hinausgetragen werden in die Welt, es soll hier gelehrt und verkündigt werden. Die Welt wartet darauf, so ist auch noch hinzugefügt.

 

Was aber ist mit dem Recht konkret gemeint? Worum geht es bei diesem Begriff, der in der hebräischen Bibel oft in einem Atemzug mit dem anderen Begriff der Gerechtigkeit genannt wird. Recht und Gerechtigkeit – dies ist beinahe eine Kurzformel für den Inhalt der Verkündigung der Propheten. Und in diesem Text ist er auf die Welt insgesamt bezogen.

Die hebräischen Worte für „Recht“ und „Gerechtigkeit“ (mishpat und sedakah) sind außerordentlich schillernd. Man hat sie auch zu den verschiedenen Zeiten sehr unterschiedlich verstanden. Worum geht es bei diesen Worten?

Geht es um Recht und Gerechtigkeit als eine menschliche Eigenschaft, eine Tugend, vielleicht die Kardinaltugend: Der Mensch, der gerecht ist und gerecht handelt? So hat die Antike – die Griechen und auch die Römer – über Gerechtigkeit gedacht. „In iustitia virtutis splendor est maximus, ex qua boni viri nominantur“ („In der Gerechtigkeit liegt der höchste Glanz der Tugend, nach ihr werden die guten Männer genannt“), so hat man in der römischen Popularphilosophie gesagt.

Ist mit dem Recht eine internationale Rechts- und Friedensordnung gemeint, die in der Völkerwelt durchgesetzt werden soll? Solche Vorstellungen hat es immer wieder gegeben, in der Regel verbunden mit einer hegemonialen Macht, die den Völkern eine bestimmte Ordnung auferlegt, nicht selten aufgezwungen und sie mit militärischer Macht durchzusetzen und aufrecht zu erhalten versucht hat. Nennen kann man hier die pax romana des römischen Reiches, die pax britannica der britischen Imperiums oder in jüngster Zeit das, was der amerikanische Präsident George W. Bush als „Infinite Justice“ (Operation endgültige Gerechtigkeit) – also eine Form eines „amerikanischen Friedens“ (pax americana) deklariert hat: den Krieg gegen den Terrorismus in Afghanistan und den Irak.

In unserer globalisierten Welt wird eine solche Hegemonialpolitik versucht – aber die Welt wartet nicht wirklich darauf, sondern lehnt eine solche Politik, in der der Stärkere das Recht einfach setzt, ab. Die Völker spüren auch, dass hinter solcher hehrer Rhetorik nicht wirklich die Suche nach Gerechtigkeit und Ausgleich steht, sondern die Durchsetzung von Macht und eigenen Interessen – Wirtschaftsinteressen -, die durch eine blumige, an Gerechtigkeit und Demokratie orientierten Worthülsen nur verschleiert werden.

Sind mit dem Recht vielleicht die Menschenrechte im Blick? Die Rechte, die dem einzelnen Menschen Freiheit und Würde zusprechen und gegen die Menschen gegen staatlichen Zugriff schützen, und die soziale Rechte – wie das Recht auf Arbeit und faire Entlohnung -, auch die kulturellen Menschenrechte, die Minoritäten Schutz und Sicherheit gewähren? Vielleicht kommen wir damit der Sache etwas deutlicher auf die Spur, auch wenn man nicht einfach die Menschenrechte in die Bibel hineinlesen darf. Denn der Gedanke der Menschenrechte ist erst eine moderne Idee, die zum Teil auch erst gegen die Kirchen durchgesetzt werden mussten. Und überdies gibt es von Seiten mancher Staaten auch Kritik am Gedanken der Menschenrechte, wie eine kleine Annekdote „Der Spiegel“ einmal im Zusammenhang eines Besuches des damaligen deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog 1996 in China überlieferte. Danach soll Herzog seine chinesischen Gesprächspartner darauf hingewiesen haben, dass es eine unaufgebbare, universal geltende Kerngruppe von Menschenrechten gebe, die in christlich-philosophischen Wertvorstellungen begründet sei. Der chinesische Ministerpräsident Li Peng habe darauf geantwortet: „Die Bibel gilt nicht in China.“

 

Unsere Sprache im Blick auf Recht und Gerechtigkeit ist oft schillernd, und auch die biblischen Wörter dafür sind nicht auf Anhieb klar und verständlich. Und doch lohnt es sich, genauer zu fragen, was diese biblischen Worte sagen und was sie uns an Orientierung für unsere Mission als Kirche in einer Zeit der Globalisierung geben können. Sie enthalten eine Vision, sie geben eine Richtung an, die uns Wegmarken für eine Zeit der Globalisierung anzeigen. Vier Aspekte sind es, die ich dabei jetzt positiv herausstellen möchte:

1. Die biblischen Worte für Recht und Gerechtigkeit kommen in die Nähe dessen, was man als Heil umschreiben kann. Sie stehen bei den Propheten nicht selten neben „Heil“, „schalom“, was das gute Leben, die Fülle des Lebens bezeichnen. „Recht sprechen“ oder „das Recht verkünden“ hat in der biblischen Sprache eine zweifache Nuance: Es kann durchaus kritischen, ja negativen Sinn haben und meint dann „verurteilen“. Aber im Vordergrund steht eine positive, aufbauende, aufrichtende Handlung: Zurecht bringen, das Recht wieder herstellen, einen gestörten Zustand, eine Beziehung wieder zu Recht bringen, ja sogar gerecht sprechen, also Heil schaffen, Menschen untereinander oder auch Menschen mit Gott zu versöhnen, wieder zusammen bringen. Illustriert wird dies zum Beispiel auch am Buch der Richter im Alten Testament: Wenn man dieses Buch liest, begegnen einem eigentlich nicht alttestamentliche Gestalten, die Urteile sprechen, sondern die ihr Volk retten vor den Feinden, die ihm Lebensraum, Atem, Ruhe und Heil verschaffen.

 

Ich finde diesen Aspekt gerade auch für unsere Zeit außerordentlich wichtig. Der Knecht Gottes, der Messias und wir, das messianische Volk, sind in die Welt hinaus gesandt, um den Menschen zuzusprechen, dass sich die wesentlichen Dinge des Lebens nicht selbst herstellen lassen, sondern dass sich unser Leben Gott verdankt. Gott schenkt die Fülle des Lebens, Gott schenkt Würde und Sinn des Lebens, Gott schenkt Orientierung und Halt, Geborgenheit und Zuversicht.

 

Ich habe vor einigen Jahren einmal ein Buch gelesen, das den Titel „Wieviel Globalisierung verträgt der Mensch?“ trug und von Rüdiger Safranski geschrieben war. Er stellt darin dar, dass Globalisierung, dieser Strudel von Wandel und Veränderung, die virtuellen Welten des Internets mit den zahlreichen Angeboten des schönen Lebens, die man durch die tollen Luxusartikel erwerben kann, die Menschen überfordert und sie entwurzelt. Ich denke, das ist wahr, und ich denke, dass hier die biblische Botschaft ansetzt. Wir tragen hinaus das Wort des Heils, das Wort des Lebens, das uns Würde und Identität zuspricht, das uns Mut zum Leben macht.

 

Mit anderen Worten: Auch in der Zeit der Globalisierung brauchen wir das Wort von der Rechtfertigung: Dein Leben ist angenommen von Gott, es ist etwas wert.

 

2. Die Worte Recht und Gerechtigkeit haben dann immer die Gemeinschaft im Blick. Der Mensch lebt nicht für sich allein, sondern ist ein Wesen in Gemeinschaft. Man übersetzt die biblischen Begriffe für Recht und Gerechtigkeit auch deshalb gern mit „Gemeinschaftstreue“. Ein etwas altertümliches Wort, gewiss. Aber sie deuten an, dass Gerechtigkeit nicht etwas abstraktes ist, sondern das Gemeinwohl im Blick hat. Nicht Eigennutz, sondern die Orientierung am gemeinsamen Leben, an der Harmonie, am Ausgleich, an der gleichen Teilhabe aller steht hier zur Debatte. Oft ist dabei nur an das eigene Volk gedacht oder auch die Gemeinschaft im Nahbereich, aber hier in diesem Gottesknechtslied geht es tatsächlich um das Weltdorf, die ganze bewohnte Erde, in der jeder seinen Platz und ein vernünftiges Auskommen haben soll.

Es ist ein ähnliches Gedanke wie wir ihn in Afrika finden, wo man in vielen Sprachen von ubuntu spricht, von der Gemeinschaftsfähigkeit des Menschen, dem Wissen, was der Einzelne nie für sich existiert und das das Wohlergehen des Einzelnen auch vom Wohlergehen der Gemeinschaft abhängt. Egoismus, Profitsucht, Gier nach Mehr, Leben auf Kosten der Gemeinschaft und auf Kosten anderer soll und darf es nach dem Maßstab von ubuntu oder dem Maßstab der biblischen Rede von Recht und Gerechtigkeit nicht geben.

3. Dieser Aspekt wird noch zugespitzt durch eine besondere Nuance, die sich in der Bibel findet. Recht und Gerechtigkeit werden hier oftmals gerade im Blick auf die Armen, die Witwen und Waisen genannt. Aufmerksamkeit für die Geringen, für die Benachteiligten, für die kleinen Leute, die zu kurz kommen oder unter die Räder geraten sind, ist ein wesentliches Merkmal dessen, was die Bibel mit Recht und Gerechtigkeit meint. Im Jesajabuch heißt es etwa, um nur ein Beispiel von vielen zu nennen:

„Lernt Gutes tun, trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten, schafft den Waisen Recht, führt der Witwen Sache.“ (Jes. 1,17)

Gerechtigkeit nach biblischem Verständnis fordert eine besondere Aufmerksamkeit für die Armen. Ob die Globalisierung ein menschliches Gesicht trägt, wird sich gerade an dieser Stelle entscheiden. Verhilft sie nur dazu, dass die Reichen reicher werden oder befördert sie auch die Chancen der Armen und Ausgeschlossenen, am Wirtschaftskreislauf und damit an einem guten Leben zu partizipieren?

 

Viele Menschen aus unseren Partnerkirchen aus Afrika, Asien und Lateinamerika berichten davon, dass ihnen die Globalisierung, so wie sie sie erleben, nicht Vorteile bringt, sondern ihr Leben noch tiefer in die Krise und Hoffnungslosigkeit treibt. In Lateinamerika spricht man von den Ausgeschlossenen, von Menschen, die im Zuge der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt werden, geradezu auf dem Altar des Kapitalismus geopfert werden. Man braucht sie nicht mehr: Man braucht ihre Arbeitskraft nicht, denn die Produktion ist weitgehend automatisiert; man kann sie nicht als Konsumenten gebrauchen, denn sie haben kein Geld, um sich die schönen Luxuswaren zu kaufen. Sie sind Überschuss.

Ein solches Ergebnis der Globalisierung steht nicht im Zusammenhang mit dem biblischen Verständnis von Gerechtigkeit. Es ist so zynisch wie die kleine Geschichte, die ich kürzlich in einem Buch über die Globalisierung gelesen habe
 
Ein reicher und ein armer Mann beten in einer Kirche. Der Reiche bittet Gott um eine Million Dollar, damit er einen Kredit zurückzahlen kann, der bald fällig wird. Der Arme möchte nur einen Dollar haben, um Brot kaufen zu können. Darauf zieht der Reiche einen Hundert-Dollar-Schein aus seiner Brieftasche, gibt dem Armen das Geld und sagt: „Kaufen Sie mit diesen hundert Dollar so viel Brot, wie Sie wollen, aber gehen Sie bitte. Ich brauche die ungeteilte Aufmerksamkeit des Herrn!“
Die ungeteilte Aufmerksamkeit des Herrn haben die Armen und Ausgeschlossenen. Ihnen unsere Stimme und Unterstützung zu geben ist Teil unseres missionarischen Auftrages.

4. Dazu kommt noch ein vierter Aspekt, den die Propheten immer wieder setzen: Kritik an der Gier der Reichen und an ihrem Übermaß, am Egoismus. Die Propheten klagen an, kritisieren, fordern heraus. Sie sprechen den Menschen das Heil zu, aber sie sagen ihnen auch, dass man das Heil nicht in noch mehr Geld, in noch mehr Profit, in noch mehr und mehr und mehr findet.
Lernt Recht und Gerechtigkeit, trachtet nach dem Recht! Die Botschaft von der Gerechtigkeit, dem Recht Gottes, ist Zuspruch, sie ist aber auch Anspruch – der Anspruch zu teilen!

Was bedeutet das alles für unsere Haltung zur Globalisierung? – Es ist bis heute außerordentlich umstritten, wie wir die Globalisierung zu interpretieren haben: Ist sie Segen oder Fluch, handelt es sich um einen Engel der Verheißung oder einen zerstörerischen Dämon, befördert die Globalisierung Reichtum und Wohlstand oder haben wir es hier mit dem Dienst am Mammon, dem Götzen Markt, zu tun?

Ich halte diese Alles-oder-Nichts-Fragestellungen für einigermaßen töricht, denn die Globalisierung ist ein Faktum. Wichtig ist aber, dass wir uns mit diesem Faktum auseinander setzen und uns als Christen in die Debatte über Chancen und Risiken und die Steuerung der Globalisierung einsetzen. Die Bibel kann dabei nüchterne wirtschaftliche Analyse nicht ersetzen. Aber auf der anderen Seite gibt es in der Bibel durchaus auch Standards, auf die wir hinweisen, und Fragen, die wir stellen können. Die Botschaft vom Recht und der Gerechtigkeit gibt uns dabei durchaus Anhaltspunkte.

So sollten wir etwa fragen, was die Globalisierung für Kinder, Frauen, Arme, Arbeitslose, nicht zuletzt auch für unsere Umwelt bedeutet. Wir sollten fragen, was sie für Afrika und andere Länder, die am Rande des Weltdorfes stehen, bedeutet? Wir sollten fragen, ob Manager wirklich so viel verdienen müssen? Und wir sollten – zum Beispiel fragen - warum in unserem Weltdorf keiner mehr zu sein scheint, den, den man für Versagen der Wirtschaft – Banken- und Wirtschaftskrise, Arbeitslosenzahlen und Hoffnungslosigkeit vieler Menschen - verantwortlich machen kann?

Was wir haben sind Kriterien und Maßstäbe, die wir von der Bibel her gewinnen:

- Heil und Leben ist ein Geschenk;
- als Menschen leben wir in einer Gemeinschaft, und auch Wirtschaft muss dem Gemeinwohl verpflichtet sein;
- Aufmerksamkeit für die Armen;
- Kritik des ungezügelten Kapitalismus und eine Kultur des Genug;
- Wohlstand ist für alle da, und wir sollten deshalb das, was wir haben, teilen.

In unserer Zeit eines rapiden Wandels wird uns mehr und mehr bewusst, dass wir zusammen in einem gemeinsamen Schiff durch den Weltraum fahren. Während ein paar wenige Passagiere Erste-Klasse-Kabinen auf dem Oberdeck haben, arbeitet die große Mehrheit der Bewohner des Schiffes Erde wie Sklaven im Maschinenraum, während das Schiff dahinfährt. Die Wirtschaft ist die Maschine, die das Schiff vorantreibt; Technologie ist der Treibstoff; Kommunikation steuert es. Allerdings ist nicht klar, wer der Kapitän ist, welche nautische Karten benutzt werden, oder wohin wir als menschliche Gemeinschaft unterwegs sind. Während wir einer vagen Hoffnung auf eine bessere Welt hegen, die am Horizont auftauchen mag, erkennen wir auch, dass wir an den Eisbergen menschlicher Gier Schiffbruch erleiden können, wenn wir nicht auf Kurs bleiben. Die Bewohner der Erde und das Wohlergehen der menschlichen Rasse hängen davon ab, dass wir unseren Weg durch diese gefährlichen Gewässer finden.

Die Botschaft von Gott, dem Schöpfer der Welt, der durch das Volk Israel, durch Jesus Christus und auch durch uns, das messianische Volk, in der Welt sein Recht aufrichten will, kann uns helfen, den Weg in die Zukunft zu finden.

 

Amen.

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Theologin Petra Bahr neu im Deutschen Ethikrat

21.05.2020

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Der zentrale ökumenische Gottesdienst zum 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges

08.05.2020
EKD-Newsletter: Die Aufzeichnung des Ökumenischen Gottesdienstes aus dem  Berliner Dom ist noch in der Mediathek der ARD verfügbar: Am Gottesdienst wirkten der Ratsvorsitzende der EKD, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Bischof Georg Bätzing, sowie der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK), Erzpriester Radu Constantin Miron, mit.
 
Die Predigt hielten Heinrich Bedford-Strohm und Georg Bätzing gemeinsam. Der Gottesdienst stand unter dem Leitwort „Frieden!“ und fragte nach der Verantwortung, die aus der Befreiung von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft vor 75 Jahren heute für ein friedvolles Miteinander erwächst.

Willkommen zurück: Gottesdienst in der Blankeneser Kirche!

07.05.2020

 

So 10. Mai, 10 + 11 Uhr | Kirche | Predigt: Pastor Thomas Warnke
Musik: Kantor Stefan Scharff, Karin Klose, Gesang
Die Kirchengemeinde schreibt: "Wir dürfen wieder Gottesdienst in der Kirche feiern. Und so wagen wir am kommenden Sonntag „Kantate“, dem 10. Mai, einen Neuanfang. Strenge Auflagen sind zu bedenken: Sicherheitsabstände von zwei Metern, Hygiene-Regeln, Masken-Pflicht. Singen ist noch nicht erlaubt, dafür aber Summen – und natürlich musikalische Begleitung durch Orgel und Solisten. Trotzdem wird es ein schöner, ganz besonderer Gottesdienst werden!

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