Jesaja 53, 1-12 | Karfreitag

21.03.2008 | 22:21

Klaus-Georg Poehls

Liebe Gemeinde!

Wenn wir heute Zeugen sein müssten einer Hinrichtung – in China, in den USA, im Iran, im Irak, in Saudi Arabien, wenn wir zuschauen müssten wie ein Mensch hingerichtete wird mit dem Schwert, mit der Spritze, dem Beil, dem Strang, mit Gas oder mit Steinen, wenn wir wüssten, dass alles nach Recht und Ordnung zugeht, dass es begründete Erklärungen gibt – würden wir nicht trotzdem aufschreien? Müssten wir nicht fordern aufzuhören, Schluss zu machen damit? Und dies nicht aus strafrechtlichen, moralischen, pädagogischen oder sonstigen Erwägungen, sondern aus dem Empfinden heraus, dass es nicht zum Wesen des Menschen gehören soll, andere zu töten?

Wenn wir uns vorstellten, wir gehörten zu den Menschen unter dem Kreuz Jesu, wenn wir blickten nur auf das Kreuz und den ans Kreuz Genagelten, nackt, wehrlos, geschunden und verspottet, wenn wir seine Augen sähen, ihn hörten – müssten wir nicht fernerhin nur eines ganz genau wissen – dass Schluss sein muss mit der Unmenschlichkeit, dass sich das Kreuz nicht mehr wiederholen darf?

Müsste die erste Botschaft von Karfreitag nicht sein, dass das, was hier geschieht, schlechterdings unmenschlich ist und nicht gerechtfertigt werden darf?

Geschehen ist anderes. Hinrichtungen setzten sich fort, von Christen über lange Zeit als dem Heile des Hingerichteten dienend gerechtfertigt, immer noch religiös motiviert und immer noch nicht einhellig von religiösen Menschen abgelehnt.

Geschehen ist noch etwas anderes. Die Botschaft von Karfreitag fokussierte sich ganz auf diesen Tod Jesu, rechtfertigte ihn als heilsnotwendig, als Willen und Plan Gottes und breitete sich dann aus, legte sich über das Leben und Auferstehen Jesu, legte sich über die Gottesdienste der Christen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die schnell als ketzerisch verurteilt wurden – Heil und Gewalt wurden zu einem Geschwisterpaar, das durch die Zeiten zog und Opfer schuf! – Blut und Foltertod zogen ein in die Liturgien, in die Musik, in die Kirchengemäuer und prägten wenn nicht das Glaubensleben, so das Glaubensdenken.

Es kann sich berufen auf eine Linie in der Bibel, die als Voraussetzung für Gottes Vergebung ein Opfer, Blut, und schließlich das Blut Jesu gefordert sieht. Sie sieht den Menschen dabei in so schwerer Schuld, dass "einfach so" Vergebung nicht möglich ist.

Einer der Urtexte dieser"blutigen Linie" findet sich in der Rede vom Gottesknecht aus dem Propheten Jesaja. Bei ihm heißt es im 53. Kapitel: "Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre.

Zeuge möchte ich auch hier nicht sein. Aber wir wissen auch gar nicht genau, von wem hier die Rede ist, nicht einmal, ob es Bericht oder Vision ist, was wir hörten.

In das sechste Jahrhundert vor Christus führt uns dieser Text. Immerhin ein erheblicher Zeitraum, in dem sich die Denk- und Sprechweisen der Menschen nicht nur einmal geändert haben.

Das Lied vom Gottesknecht stellt eine Gestalt vor Augen, die nicht näher identifiziert werden kann, die gerade so Raum bietet für alle möglichen Identifikationen. Diese Gestalt übernimmt die stellvertretende Funktion, die sonst Opfertiere haben. Und so wird dieser Gottesknecht verwundet, gefoltert, zerschlagen und getötet. Und in diesem blutigen Geschehen haben andere ihre Frieden.

Aber er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.

Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der Herr warf unser aller Sünde auf ihn.

Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf."

(Vgl. E. Drewermann, Eine Liebe stärker als der Tod, Düsseldorf 2006, 17) Müsste uns Jesu Kreuz nicht Anlass sein, auch alle heutigen Kreuze und alle Hinrichtungen, die gesehen, massiv in Frage zu stellen und zu beklagen?

Das musste so sein. Die da reden von ihrer Missetat, verstehen sich als Sünder, als Menschen, die mit ihren Untaten etwas über ihren Häuptern versammelt haben, was sie früher oder später unweigerlich treffen wird. Was sie getan haben, wird sich in ihrem Ergehen auswirken. Sie glauben an einen Tun-Ergehens-Zusammenhang.

Und nur durch ein Opfer kann Gott diesen Tun-Ergehens-Zusammenhang durchbrechen und so dafür sorgen, dass das Unheil, das die Menschen sich über ihren Häuptern angesammelt haben, sie nicht trifft. Das ist das Welt- und Gottesbild, auf dem ein Sühnopferdenken nur möglich ist.

Ich möchte eine Würdigung versuchen. Oft höre ich, wenn einen Menschen Schlimmes getroffen hat, das habe er oder sie doch nicht verdient. So als ob es einen Zusammenhang gäbe zwischen Lebensführung und Lebensverlauf. Und bis zu einem bestimmten Grad gehören ja auch beide zusammen. Nur richten sich mein Leben und das Leben unserer Welt eben nicht nur nach unserem Wohl- oder Fehlverhalten. Leben geht auch seine eigenen Wege. Ich habe völlig unverdient meine Frau getroffen, ich habe völlig unverdient Freunde. Ich bin unverdient krank geworden oder arbeitslos.

Und das Lied vom Gottesknecht sagt mir nun: Dein Schicksal hast Du Dir nicht verdient, die Taten, die Du getan hast, holen Dich nicht ein; Deine Zukunft ist nicht vorherbestimmt durch Deine Vergangenheit.

Das will Entlastung sein für vieles, was quälend belastet. Gott straft nicht mit Schicksalsschlägen, und das persönliche Lebensgeschick eines Menschen sagt nicht per se etwas über die Schuld, die er auf sich geladen hat.

Gleichwohl kann ein Lebensgeschick schuldhaft seinen Verlauf nehmen, und mein Tun zeitigt Konsequenzen – von den Auswirkungen, die meine Lebensführung auf meine Gesundheit hat, bis hin zu den Auswirkungen, die unsere Lebensführung auf das Klima, auf die Umwelt, auf das Ergehen von Menschen in der so genannten Dritten Welt hat.

In diesem Sinne brauchen wir Gott als den Strafenden auch gar nicht mehr, um den Folgen unseres Tuns ausgeliefert zu sein. In diesem Sinne schaffen wir oft genug Opfer, die keinerlei sühnende Wirkung haben, die schlichtweg zu ertragen haben, was wir mit Lebenswut und Lebensgestaltung an Müll, Leere, Elend und Tod produzieren. Für sie ist das Kreuz in ganz anderer Weise aufgerichtet, und die Gestalt, von der Jesaja spricht, der Gottesknecht, wird für sie eine ganz andere, elementare Bedeutung haben.

Manchmal denke ich so, dass mir die Rede vom Kreuz gar nicht zusteht, denn es geht mir zu gut, mein Leben ist zu sicher, ich jammere auf zu hohem Niveau und nehme das Ringen Gottes mit dem Leid und für die Leidenden gar nicht richtig wahr.

Ich frage mich oft, womit ich dies oder das verdient habe – vor allem, wenn es mir schlecht ergeht. Dieses Lied will ein Potential von freiem und befreitem Leben aufzeigen und will mir verbieten, bestimmte Ereignisse, die einen Menschen in all ihrer Härte treffen, als Strafe für ein Vergehen in der Vergangenheit zu sehen.

Aber nun sagt eine große Tradition, dass ein jeder Mensch das Opfer braucht, von dem im Gottesknechtslied geredet wird. Sie hat es auf Jesus bezogen und von ihm gesagt, er sei das Lamm Gottes, um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.

Die Tradition sagt, dieses Menschenopfer mit seiner Erfahrung von Verrat, Verspottung, Folter, mit dem Angstschweiß, dem Blut, dem Verlassensein bis zur Gottverlassenheit sei von Gott her notwendig gewesen. Nur durch das Opfer eines so liebenden, eines so gottnahen Menschen sei für Gott die Vergebung all der Sünden möglich, die Menschen in Gedanken, Worten und Werken auf sich gesammelt haben und noch auf sich sammeln werden. Und so musste Jesus nicht als Konsequenz seiner Liebe und seines Einsatzes für Gott am Kreuz sterben, sondern als Konsequenz unserer versammelten Sündhaftigkeit.

Was geschieht eigentlich, wenn so geredet wird? Zunächst wird damit behauptet:

Das Entscheidende an Jesus sei nicht sein Leben und seine Botschaft, sei nicht einmal er selbst. In den Seligpreisungen, in Barmherzigkeit und Frieden Stiften, in Sanftmut, in der dienenden Liebe zu anderen, in der Nachfolge Jesu und in der bedingungslosen Liebe Gottes liegt das Heil eines Menschen nicht begründet.

Auch in der Antwort Gottes auf Jesu Tod, im Ostergeschehen - auch in der Zusage neuen Lebens für uns alle - liegt das Heil nicht begründet. Das Entscheidende, das Heilsnotwendige liegt nicht einmal im Tod Jesu begründet, sondern genauer: im tödlichen Plan und in der Todesforderung Gottes, die einen Neuanfang Gottes mit seinen sündigen Menschen erst möglich macht.

Ich fand folgende Worte:

Seit er meinen Bruder

kreuzigen ließ,

um sich

mit mir zu versöhnen,

weiß ich,

was ich von meinem Vater

zu halten habe.

(Theodor Weißenborn, aus: Wege nach Golgatha, Biblische Texte verfremdet 10, 82)

Nun aber glaube ich Jesus seinen Gott und habe ich in diesem Jesus nicht einen Gott gefunden, der blutige Opfer will, der einen Handel braucht, wo ein Leben Schuld aufwiegt, und wo Vergebung Blut kostet.

Ich möchte unblutig von meinem Glauben reden, andere möchten es auch, und ich lade Sie und Euch ein, dass wir gemeinsam eine neue Sprache für unseren Glauben finden, oder die alte Sprache von den blutigen Opfervorstellungen befreien können. Und so auch in unserer Gottesdiensten und unserer Liturgie neu fassen können, was für ein großzügiger und liebevoller Gott uns in Jesus begegnet, der aus lauter Liebe verzeiht, und nicht, weil ihm ein Leben blutig geopfert wurde.

Dieser Glaube ist nicht flach und hier ist von billiger Gnade nicht zu reden. Nur legt er mir nicht zusätzlich die Last eines unschuldigen Menschenlebens auf.

Aber Jesu Leben und Tod zeigen mir sehr genau, wie sehr ich "Sünder" bin, Jesu Leben und Tod zeigen mir sehr genau, wie groß Gottes Liebe ist, und wie sie Leben und Tod eines Menschen umschließt.

In Jesu Liebe zu den Menschen und dem Leben zeigt sich meine Begrenztheit, meine Todesverfallenheit sogar, meine Missetat. In seinem Leiden unter den Anfeindungen und dem Verrat von Menschen zeigt sich meine Untreue und Lieblosigkeit, die ich bei anderen strafe und die daher strafwürdig ist. Und in seinem Blut, in seinen Wunden und in seinem Tod zeigt sich eine Hingabe an Gott, die meine Heillosigkeit vor Augen stellt und meine Angewiesenheit auf den Gott, für den Jesus lebte und starb. Ein Leben und Sterben für mich, für uns – nicht als Sühnopfer, aber als Zusage der bedingungslosen, über alle meine Grenzen hinausgehenden Liebe Gottes.

Davon weiß, ganz unblutig, der Prophet Jeremia, wenn er als Worte Gottes vernimmt und weitergibt: "Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung." (Jer 29, 11)

Eine Hoffnung über den Tod hinaus, eine Zukunft, die keinen Menschen im Tod belässt. Dafür steht mit seinem Leben und Sterben der Mann aus Nazareth, Jesus, der Christus.

Amen.

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