Johannes 14, 15-19
K.-G. Poehls
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen.
Liebe Gemeinde!
Sie hatten den Abschied in allen seinen Formen durchleben müssen. Sie mussten Abschied nehmen von den Hoffnungen, von den Phantasien, die sie auf ihn projiziert hatten, sie hatten ihre Liebe, ihre Freundschaft zu ihm verraten und verleugnet; sie mussten sein Sterben erleben und konnten es nicht aushalten, sie redeten mit ihm, lebten mit ihm, als ob er noch da sei, und dann nahmen sie auch noch Abschied von jedem Bild des Lebenden, das sie sich von ihm gemacht hatten, und er verschwand, entzog sich ihnen.
Gründonnerstag, Karfreitag, Ostern und Himmelfahrt hatten sie durchleben müssen, immer ein Abschied mehr, und nun waren sie Gemeinschaft ohne Mitte, waren Kirche ohne Gott, waren Verlassene ohne Beistand. Abschied in seiner letzten Konsequenz: allein, verwaist - ohne ihre Mitte und ohne Beistand, ohne Trost und ohne Hilfe. Mitten im Leben hatte der Tod sie erreicht und alles durchschnitten, was sie leben ließ.
Denn sie hatten sich an Gott gebunden mit ihrem Leben, und der hatte sich an Jesus gebunden ihrem Glauben nach. Und nun war Gott überall und nirgends, mit ihrem Jesus verschwunden in einem Himmel, der nur noch groß war und leer.
Es gehört wohl zur Jüngerschaft Jesu, es gehört wohl zum christlichen Glauben, diese Erfahrung des Alleinseins nicht nur zu machen, wenn ein lieber Mensch gegangen ist, sondern auch, wenn auch von Gott kein Trost im Alleinsein erwartet wird. Es gehört die Erfahrung des Beters aus Psalm 27 dazu:
„Herr, höre meine Stimme, wenn ich rufe!
Mein Herz hält dir vor dein Wort: Ihr sollt mein Antlitz suchen. Darum suche ich auch; Herr, dein Antlitz. Verbirg dein Antlitz nicht vor mir und tu die Hand nicht von mir ab, Gott, mein Heil. Denn mein Vater und meine Mutter verlassen mich, aber...
Aber was ist denn, wenn keiner mehr da ist, der mir Sinn und Freude am Leben schenkt? Dann bleibt einem oft nur die Erinnerung an vergangene Tage, an Zeiten, wo das Leben leicht war und schön. Dann will man Kraft ziehen aus dem, was war. Doch im Erinnerten muss etwas liegen, das nach vorne weist. Im Rückblick muss Zukunft durchscheinen, sonst nimmt Vergangenheit mich gefangen, sonst bleibe ich ein rückwärts gewandter Mensch.
Vergegenwärtige ich mir aber Momente des Segens, Zeiten, die voller Verheißung waren, und bringe sie vor Gott, dann bricht sich Trost die Bahn. Das taten Jesu Jünger nach der Himmelfahrt, und erinnerten sich an Abschiedsworte Jesu. Der Evangelist Johannes hat sie aufgeschrieben:
„Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten. Und ich will den Vater bitten, und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch. Es ist noch eine kleine Zeit, dann wird mich die Welt nicht mehr sehen. Ihr aber sollt mich sehen, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben.“
Wie ein Vater von seinen Kindern nimmt Jesus Abschied von seinen Jüngern. Noch einmal zeigt sich seine ganze Liebe, seine Fürsorge. Er kennt ihre Angst, ihre Not. „Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch.“
Wie aber ist Jesus bei ihnen, wie sollen sie Jesu Wirken erfahren? Wie ist Jesus bei uns, wie erfahren wir von seinem Wirken?
„Und ich will den Vater bitten, und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein.“
Auch das gehört wohl zum Abschiedsschmerz: das Absondern von den anderen, von „der Welt“ nach dem Motto „Ihr versteht ja sowieso nichts, Ihr, die Glücklichen, die Ahnungslosen…“. Das mag für eine Zeit psychologisch verständlich sein, aber als eine grundsätzliche Trennung, wie sie im Johannesevangelium vorliegt, ist sie mir nicht geheuer. Da die Welt mit Lug und Trug und Gottlosigkeit und hier die Wahrheit, da Blindheit und Unwissen und Unfähigkeit, von Gott etwas z verstehen und hier die Erleuchteten – das ist mir nicht geheuer. Als Worte des johanneischen Jesus widersprechen sie zudem der Haltung des Mannes aus Nazareth, wie sie sich bei den anderen Evangelisten den Menschen und ihrer Welt gegenüber zeigt. Und wie ichmich letztlich in dieser Welt sehe, so habe ich immr noch nicht entdecken können, welch höhere Geistempfangsbereitschaft und welch höheres oder tieferes Wissen ich den anderen gegenüber wohl haben sollte.
Aber de Zusage ist da, und ein wenig „verweltlicht“ lautet sie: „Ihr, wie alle, könnt den Tröster, den Geist der Wahrheit empfangen“.
Und nach dem Motto „Bleiben Sie dran“ könnte ich jetzt auf Pfingstsonntag verweisen und erklären, dass uns dann, am Fest des Heiligen Geists, von den höchsten Instanzen unserer Kirche und unserer neuen Nordkirche auch der Heilige Geist erklärt wird.
Für heute aber weist der Text schon selbst auf etwas, das in einem Menschen ist und bei ihm bleibt, etwas, das aber nicht aus der Welt ist, nicht von Menschen machbar und nicht in der Natur vorhanden. Und schließlich etwas, das die Welt nicht ändert, die Umgebung und das Schicksal eines Menschen auch nicht, wohl aber ihn selbst. Der Geist in mir und mit mir wird mein Empfinden, meine Wahrnehmung ändern, wird mich lehren, neu zu sehen, zu hören.
Mich hat in den letzten Wochen Psalm 27 begleitet. Er zählt für mich zu den wertvollsten und schönsten Texten unserer Bibel. Man liegt unter grellem Neonlicht auf irgendeinem Behandlungstisch in einem albernen Hemd, das einem umgebunden wurde – und dass diese Dinger auch noch so gemustert sein müssen und man aussieht wie sein eigenes Kind im Frotteeschlafanzug vor zig Jahren, das, naja, ist ein zwar weltliches, aber großes Ärgernis – also man liegt da, unsicher und diese Worte kommen:
„Der HERR ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten? Der HERR ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen?“
Ein Glaubensbekenntnis zunächst. Gott als Licht und Heil – für mich. Gott nicht als meine Lebenskraft, so dass ich mich an meiner Stärke als Gottesstärke erfreuen würde oder in meiner Schwäche Gott verloren hätte, sondern Gott als meines Lebens Kraft – als jene Kraft oder Macht, die mein Leben hält und umfasst.
Licht, Heil und Kraft als Gottesumschreibungen – sie beschreiben eine göttliche Wirklichkeit, die spürbar ist, die mich angeht. Da ist kein alter Mann mit Bart im Himmel; da ist eine göttliche Wirklichkeit, die mich ergreift, die mich persönlich angeht und so auch personhaft wird. Aus dem Bekenntnis wird ein Gebet; das Herz will reden:
„Mein Herz hält dir vor dein Wort: Ihr sollt mein Antlitz suchen. Darum suche ich auch; Herr, dein Antlitz“.
Wenn Beten nicht mehr Reden und nicht mehr Schweigen ist, dann kann es zum Hören werden. Nicht sich selbst reden hören, sondern Gott hören. Ich höre ihn, wenn die Hoffnung sich vergewissert hat, wenn Gottes Geist, Jesu Geist oder Heiliger Geist, alles eins, alle Umschreibung dafür, dass Gott selbst sich meinem Geist mitteilt.
In jedem Psalm kommt diese Wende, daher sind die Psalmen das Trostbuch des Glaubens:
„Herr, höre meine Stimme, wenn ich rufe! … Verbirg dein Antlitz nicht vor mir und tu die Hand nicht von mir ab, Gott, mein Heil. Denn mein Vater und meine Mutter verlassen mich, aber...
...aber der Herr nimmt mich auf. Ich glaube aber doch, dass ich sehen werde die Güte des Herrn im Lande der Lebendigen. Harre des Herrn, sei getrost und unverzagt und harre des Herrn!“
Von einem solchen Gebet her ändert der Geist weiter die Wahrnehmung. Ein albernes Hemd nimmt mir nicht die Würde; ich bin nicht ausgeliefert, sondern vertraue mich an. Und plötzlich lassen sich Zeichen finden dafür, dass Gott hört und Antwort gibt. Sie finden sich in der Gemeinschaft unserer Kirche, sie finden sich an Menschen, die mir wohl tun, an ihrem Lächeln, ihren Worten, ihrer Freundschaft und Liebe. Sie finden sich in der Stille einer Kirche und dann auch eines Waldes, im Gesang der Vögel, im Licht der Schöpfung – die Güte des Herrn im Lande der Lebendigen ist da. Und als solche Zeichen führen sie mich zurück zu dem, der seinen Jüngern sagte: „Ich lebe und ihr sollt auch leben!“.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.