Johannes 15, 9-17 | Konfirmationspredigten
Klaus-Georg Poehls
Meine lieben Konfis, liebe Eltern, Paten, Familien, liebe Gemeinde!
Die Haltbarkeit von Predigten scheint mir oft genug nicht länger als der letzte Orgelton im Gottesdienst, oder, um eine Erfahrung aus unserer gemeinsamen Geschichte zu nehmen, als meine Bitte zu mitternächtlicher Stunde im Freizeitheim Bosau, nicht die Türen zu knallen, und die Antwort, ganz lieb: Ja, Herr Poehls – knall…
Das alles hat nicht nur Nachteile. Denn schon wieder habt Ihr Euch für einen Text entschieden, über den ich in den letzten sieben Jahren fünfmal zu predigen hatte – heute das sechste Mal. Und nun könnte man ja meinen, das merkt sowieso keiner, wenn ich einen "alten Hirschen" nehme. Jedoch: es mag ja hier ein paar Leute geben, die gleichsam Profi-Hörer zumindest von Konfirmationspredigten sind, und denen dann doch einiges bekannt vorkommt. Geht natürlich nicht. Und mehr noch: Ihr seid mir zu lieb und zu teuer, als dass ich Euch jenen "alten aufgewärmten Hirschen" auftischen könnte. Und damit sind wir beim Predigttext und beim Evangelium, dass wir von Katharina und Paul
Alissia und Felicitas
Nora und Alexander
hörten.
Ich unterstelle einmal, sicher nicht ganz fair, dass Ihr den nur deshalb ausgewählt habt, weil die Wörter "Liebe" und "lieben" so oft darin vorkommen. Und mit diesen Wörtern lässt sich herrlich vom Text abschweifen und hinwandern zu den so ganz persönlichen Gedanken von Liebe und Verliebtsein, da kann einem schnell – mit einem kleinen gedanklichen Seitensprung – lieb und sogar allerliebst ums Herz werden.
Der größte Konkurrent dieses Eures Textes waren die Seligpreisungen aus der Bergpredigt: "Selig sind die Sanftmütigen, selig die Barmherzigen, selig die Frieden stiften", um nur einige zu nennen. Aber wer weiß schon, was "selig" bedeutet? Da ist es doch mit der Aufforderung einander zu lieben, viel leichter! Ist es das?
Was würdet Ihr, was würden Sie denn denken, wenn ich sagte: "Ich liebe Euch"? Was würden Eure Eltern von einer Freizeit in Bosau halten, auf der wir gleichsam in einem Liebesnest dem Liebesgebot folgen wollen? Klingt schräg, oder? Als Worte eines alten Mannes klingt es sogar schwer verdächtig.
Liebe und Liebe sind offensichtlich verschieden, und die Liebe, von der wir reden, halte ich für eine Herausforderung, für ein Wagnis, aber auch für lebens-wichtig.
Beeindruckend haben wir eben von Kira und Leonie – Felicitas – Constantin und Finn hören können, was der Glaube, in dem sich diese Liebe vermittelt, für Euer Leben bedeuten kann. Gott will ganz in Euer Leben, ihn in eine Nische zu setzen und nur dann hervorzuholen, wenn es um Fragen geht, auf die wir sonst keine Antwort mehr wissen, macht ihn zum Lückenbüßer.
Der Theologe und Widerstandskämpfer gegen Adolf Hitler Dietrich Bonhoeffer hat geschrieben:
Nicht erst an den Grenzen unserer Möglichkeiten, sondern mitten im Leben muss Gott erkannt werden; im Leben und nicht erst im Sterben, in Gesundheit und Kraft und nicht erst im Leiden, im Handeln und nicht erst in der Sünde will Gott erkannt werden (D. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung).
Und Gott zu erkennen, das heißt für unsereinen: In und durch Jesus von Nazareth Gottes Liebe zu erkennen. Das, was Liebe ist, steht damit nicht in unserer Definitionsgewalt, sondern ist von dem Mann aus Nazareth her bestimmt.
Mit seinem Vertrauen zu beten, mit seiner Liebe zu lieben, mit seiner Sanftmut zu streiten, mit seiner Barmherzigkeit zu helfen, mit seinem Vertrauen Mut zu fassen.
Das so leicht daher gesagte Wort von der Liebe wird nun zu einem ganz kritischen und herausfordernden Wort.
Euer Alltag ist anders als eine Konferstunde oder eine Freizeit in Bosau. Wenn ich etwas davon mitbekomme, dann spüre ich auch Härte, viel Druck, Gemeinheit und Unsicherheit, die Ihr erleidet und weitergebt. Nicht weit von hier, nur paar Minuten mit der S-Bahn, ist Gewalt ein Riesenthema und eine Gefahr. Die Zeitungen waren in den letzten Tagen voll davon. Aber da geht auch die Liebe hin, wenn sie nicht stehenbleiben will – und Liebe, die stehenbleibt, die verkümmert irgendwann. Liebe geht weiter.
Vielleicht kennt Ihr, kennen Sie, diese Idee von der Welt als einem Dorf. Sie besteht darin, die ganze Menschheit auf ein Dorf von 100 Einwohnern zu reduzieren und dabei auf die Proportionen aller bestehenden Völker und ihre Lebenssituationen zu achten. Ich weiß nicht, ob die Zahlen so stimmen, aber sicher weisen die die Richtung. So sähe dieses Dorf aus:
80 hätten keine ausreichenden Wohnverhältnisse
70 wären Analphabeten
50 wären unterernährt
1 hätte einen PC
1 hätte einen akademischen Abschluss
Und es wird gesagt: "Wenn du heute morgen aufgestanden bist und eher gesund als krank warst, hast du ein besseres Los gezogen als die Millionen Menschen, die die nächste Woche nicht mehr erleben werden. Wenn du noch nie in der Gefahr einer Schlacht, in der Einsamkeit der Gefangenschaft, im Todeskampf der Folterung oder im Schraubstock des Hungers warst, geht es dir besser als 500 Millionen Menschen. Wenn du zur Kirche gehen kannst, ohne Angst haben zu müssen, bedroht, gefoltert oder getötet zu werden, hast du mehr Glück als 3 Milliarden Menschen.
Wenn du Essen im Kühlschrank, Kleider am Leib, ein Dach über dem Kopf und einen Platz zum schlafen hast, bist du reicher als 75% der Menschen dieser Erde. Wenn du Geld auf der Bank, in deinem Portemonnaie und im Sparschwein hast, gehörst du zu den privilegiertesten 8% dieser Welt."
Diesen Herausforderungen im Großen und im Kleinen, in Eurem Alltag und weltweit, hat sich die Liebe zu stellen. Ihr bekennt:
"Wir glauben an Gott und gehören zu ihm. Alles hat er ins Leben gerufen, die sichtbare und die unsichtbare Welt. Er gibt denen, die im Dunklen leben das Licht.
Stets ist er nah, um uns zu helfen.
Auch in der Einsamkeit glauben wir an ihn, auf ihn können wir vertrauen. Wir glauben, dass Gott aus Allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will."
Liebe von Gott her braucht Mut; und ich wünsche Euch diesen Mut zur Liebe. Ich setze darauf, dass sie der Weg für Euch und für diese Welt ist.
Wir haben in Bosau lange gerungen um unser Bekenntnis und lange um diesen Satz: "Wir glauben, dass die Erde so angelegt ist, dass sie zum Himmel für alle werden kann."
Und angesichts des Wirbelsturms in Birma und der von ihrer Regierung allein gelassenen Menschen dort, angesichts auch des Erdbebens in China müssten wir erneut stundenlang ringen. Natürlich kann Liebe ein Erdbeben nicht verhindern. Aber bei diesem Satz geht es immer wieder um die Fragen "Was trauen wir Gott und was trauen wir uns noch zu für diese Erde und zwar an Gutem und Himmlischen? Wie weit reicht unsere Hoffnung? Welche Träume träumen wir, welche haben wir aufgegeben? Manchmal gibt ein aufgegebener Traum ja auch Menschen auf. Wie groß ist das Maß meiner Hoffnung, meiner Liebe und meines Glaubens? Wie viel Recht gebe ich den Dreien noch? Ich selbst muss mir oft genug eingestehen, dass ich den Dreien nicht Recht gebe, eher vertraue auf Wissen statt auf Glauben, eher auf Erfahrung, dann auch noch meist schlechte Erfahrung, statt auf Hoffnung, eher auf Nutzen statt auf Liebe.
Und dann sahen wir in Bosau, dass wir ja nicht allein sind mit unserem Glauben, dass wir in einer Gemeinschaft stehen, deren Glaube, Liebe und Hoffnung die eigenen Grenzen übersteigt. Wir haben den Satz genommen, gut so, er folgt den Worten Jesu: "Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe."
Und so glauben wir, dass die Erde so angelegt ist, dass sie zum Himmel für alle werden kann.
Deshalb sagt der Kirchenvater Augustin: "Liebe und tue, was du willst!" – Der professionelle Konfirmationspredigthörer notiert für sich: diesen Satz hat er 2004 schon einmal zitiert! – "Liebe und tue, was du willst!"
Wenn Denken, Fühlen und Handeln geleitet sind von dieser Liebe Gottes, dann ist der Mensch frei und wirkt Befreiung. Wenn ich den Satz des Augustin umkehre, wird dies deutlich: "Liebe nicht, und du tust, was andere wollen".
Aber, dass Ihr tut, was andere wollen, das ist nur sehr begrenzt vorstellbar.
Ich habe die Zeit mit Euch genossen – nicht immer, aber immer wieder. Und dies nicht nur, weil Ihr wunderbare einzigartige Menschen seid, sondern auch, weil wir gemeinsam spüren konnten, wie Jesus in uns ankam.
Ich wünsche Euch allen, dass er in Euch bleibt und mit ihm Gottes Liebe. Also, Ihr Lieben, liebt und lebt in dieser Liebe – und tut, was ihr wollt.
Amen.
Und man könnte hinzufügen: in der Freude und nicht erst im Leid, in der Fröhlichkeit und Schönheit und nicht erst in der Trauer, in der Gemeinschaft und nicht erst in der Trennung, im Nächsten und nicht erst im Fernsten, auf der Erde und nicht erst im Himmel.