Johannes 20,11-18 | Ostersonntag
Th. Warnke
Liebe Gemeinde,
eigentlich beschreibt sie ja nur eine kurze Begegnung. Die Ostergeschichte. Wenn doch nur nicht ausgerechnet ein Engel oder ein eben noch Toter einer der entscheidenden Hauptpersonen wäre…
Dadurch entgleitet die Geschichte so leicht und viel zu schnell in eine reine Gedanken- oder Zauberwelt.
Das macht sie für viele so lebensfern – dabei geht es ihr doch gerade um das Leben.
Ja, es könnte eine sanfte Frühlingsgeschichte sein, die vom neuen Leben erzählt und damit eine hübsche Illustrierung, eine Verbildlichung des Aufbrechens und des Neuwerdens der Natur abgäbe.
Aber die Ostergeschichte ist gewaltig. Sie will uns mitnehmen und hineinziehen in dieses Kraftfeld und in dieses Resonanzfeld des größeren Lebens. Sie mutet uns diese weitere Sicht auf das Leben, diesen unbegrenzten Raum, den das Leben ausfüllen kann, zu.
Da war Hoffnung gewesen, groß wie nie zuvor, Mut und Kampfgeist, Entschlossenheit, Liebe und Barmherzigkeit, - all das wurde durch einen gewaltsamen Tod erstickt.
So, als ob plötzlich keine Luft mehr zum Atmen da war…, alles nur noch eng ist.
Damit sind wir eigentlich am Anfang, am Start für den Ostermorgen. Am Tiefpunkt.
So erzählt Johannes und er nimmt uns mit hinein in das frühmorgendliche Geschehen…
Es war noch dunkel, als Maria sich allein aufmacht und zum Grabe geht. Vielleicht im Osten schon die ersten Färbungen der heraufziehenden Sonne; es riecht noch nach der Kühle und der Frische der Nacht.
Doch im Garten herrscht Trauer. Maria von Magdala steht weinend vor einem Grab. Es ist das Grab, in dem der von ihr geliebte Mensch liegt – oder liegen soll? Der Stein ist fortgerollt, der doch den Eingang verschlossen hielt. Aber es ist nicht die Zeit für klare, geordnete Gedanken; zu voll ist der Kopf von den Ereignissen der letzten Tage.
Zu frisch ist noch das Geschehene. Weinend schaut Maria in das Grab.
„Frau, warum weinst du?“ wird sie von den Engeln gefragt. Maria klagt und weint; erzählt von ihren Hoffnungen, ihren Enttäuschungen und ihrem großen Verlust. Und nun ist auch noch der Leichnam fort. Ein Grab, das gar kein Grab mehr ist? Ein Ort, an dem man trauern und zugleich nicht mehr trauern kann? Sie will den Toten zurück! Sie will den Toten noch einmal sehen, weil sie das Ende und den Abschied begreifen muss. Weil sie weiß, dass es sonst kein Loskommen gibt.
Ihre Trauer ist grenzenlos. So wendet sich Maria um. Da steht jemand im Gegenlicht – vor der aufgehenden Sonne und von ihr angestrahlt. Maria erkennt einen Mann und meint, es sei der Gärtner.
Und noch einmal wird sie nach dem Grund ihres Weinens gefragt. Und wieder erzählt sie, was ihr zugestoßen ist, spricht vom Tod des geliebten Menschen, vom dahin Rinnen aller Hoffnung, von der Müdigkeit der Enttäuschungen.
Sie erzählt vom Verschwinden des Leichnams und bittet den Gärtner: „Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen.“
Kaum zu ende gesprochen läuft Maria an dem vermeintlichen Gärtner vorbei. Dieser blickt zum Grab, sie rennt in den Garten. Gott und Menschen schauen sich nicht mehr an. Doch dieser dreht sich um und ruft: „Maria!“ – Sie wendet den Kopf und…
Da – im Lauf festgehalten entdecken wir die „Magdalenensekunde“. In diesem Augenblick bleibt die Zeit stehen. In diesem Augenblick ereignet sich Auferstehung. In diesem Augenblick ist der Eine im Auge des Anderen. Mensch und Gott werden einander wieder bewusst.
„Rabbuni!“ Maria stoppt ihren Lauf, dreht sich um und läuft Jesus in die Arme, berührt, umarmt und küsst ihn.
Erst das „Halte mich nicht auf!“ macht der Begegnung ein Ende.
Jesus schickt Maria zurück ins Leben. Die Sonne steht am Himmel, der neue Tag ist da. Der Tod ist überwunden und Maria weiß, dass Jesus bei Gott geborgen ist. Gott hat Jesus Christus von den Toten auferweckt. Und Maria Magdalena wirft die Trauer ab und geht in ein neues Leben.
Sie wird von Jesus geschickt und wird zur Apostolin der Apostel. Sie, die Jesus bei den Toten gesucht hat, ist ihm als Lebendigen auf dem Weg zum Vater begegnet und soll nun davon Zeugnis geben.
Hier begegnen sich Gott und Mensch, altes Leben und die Möglichkeit zu einem neuen Anfang. Das ist das Größere in dieser Begegnung.
Maria hat es erfahren, erlebt, gespürt, dass Jesus lebt, dass er die Diktatur von Leid und Tod zerschlagen hat, und das er als der Lebendige an allen Tagen bei ihr ist, bis zum Ende der Welt.
Ja, es stimmt: Die Ostergeschichte ist eine Feier des Lebens. Es ist die Feier des Lebens, das weiter, erfüllter und vollkommener ist, des Lebens, das uns von woandersher geschenkt wird.
Ein Leben, vor das wir Menschen – in welchen Zusammenhängen auch immer - nicht selten immer wieder Steine rollen; behalten wir es doch noch ein wenig in unserer Höhle...; wer weiß, was es noch anstellen wird mit uns? Aber jetzt sind es die Engel, die nicht müde werden und ganz wirklich uns alle Zeit und immer wieder neu auf die Vergeblichkeit dieses Tuns hinstoßen, auf das Hinderliche, auf das Zerstörerische, auf das Enge - und die schließlich immer und immer wieder die Steine beharrlich und geduldig entfernen.
Hier ist die Ostergeschichte – trotz manch so grausamer Wirklichkeit - eine ganz sanfte Geschichte. Die aber in ihrer Sanftheit die größte Kraft birgt, die ein Leben je erfahren kann. Eine Sanftheit, die die größte Veränderung mit sich bringen kann, die größte Freude, die tiefste Liebe, das verzehrendste Feuer...
Wenn wir uns einließen auf diese Begegnung...? Auf diese Geschichte, auf diese Oster-Begegnung. (Amen)