Johannes 9, 1-7 | 8. Sonntag nach Trinitatis

30.07.2007 | 00:08

Helmut Plank

1Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war. 2Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist? 3Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm. 4Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; des kommt die Nacht, da niemand wirken kann. 5Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt. 6Als er das gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, machte daraus einen Brei und strich den Brei auf die Augen des Blinden. 7Und er sprach zu ihm: Geh zum Teich Siloah - das heißt übersetzt: gesandt - und wasche dich! Da ging er hin und wusch sich und kam sehend wieder.

Da ist einer blind.
Alle wissen es.
Schon blind wurde er geboren.

Warum muss das so sein?
Warum Leiden?

Wer fragt sich das nicht, wenn er mit Schicksalen konfrontiert wird.
Nachrichten hören – ist mit Schicksalen konfrontiert werden

Dabei gibt es den eher philosophisch distanzierten Umgang mit dieser Frage:
„Warum gibt es überhaupt das Leid?“

Und dann die ganz persönliche Frage:
Warum muss ich leiden?!
Auf solche Frage werde ich mich nicht hinstellen können
und mit dem Brustton der Überzeugung eine Antwort formulieren.
Hier wird mir - hoffentlich - das Mitgefühl verbieten, einen schnellen Satz zu sagen
Es wird mich doch eher dazu drängen, bei diesem Menschen zu bleiben,
oder - für mich selber - zu hoffen, dass Menschen bleiben
und eben nicht mit vermeindlich klärenden Antworten das Leid nur noch größer machen.
 Die Reden der Freunde des Hiob lassen grüßen.

Aber auch bei der ersten, distanzierteren Frage gibt es keine einfache Lösung.
Die Jünger – so vermute ich – fragen eher so – sagen wir – aus religiösem Interesse.

Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist?

Das hört sich wie eine Frage aus fernen Welten an
Wie kann man so fragen?

Aber fragt man heute nicht auch so:
Ein Kind mit Down-Syndrom, ein Jugendlicher mit Bulimie
irgendeine Sucht – und die Fragen beginnen zu kreisen:
Woher kommt das?
Die Gesellschaft?
Sind die Eltern - schuld?
Ein Erziehungsfehler?
 …Selbst falsch gelebt und jetzt müssen die Kinder das ausbaden

Die Schuldfrage ist nicht ausgestorben, die gehört zu uns.
Wir sind geradezu  vorgeprägt.
Und unsere Tradition gibt ihren Teil dazu.
Der Tod ist der Sünde Sold, heißt es in der Bibel
Der Mensch, der die Gebote Gottes übertritt, klar – der wird bestraft.
Er kennt doch seine Grenzen.
Überschreitet er sie… dann folgt dem Ungehorsam der angemessene Lohn.
Die Eltern – oder die Gesellschaft – irgendwo wird die Schuld Gott gegenüber liegen.

Dieses Denken gehört ganz tief zu uns
Noch
Krankheit als Sündenstrafe ist im Judentum und dann auch im Christentum geläufig
Sie ist in unserer Geschichte – im Mittelalter – so stark geworden,
gepaart mit Angst auch:
Wenn ich die Gebote übertrete, dann straft Gott
es kann eine Verdammnis geben – eine zeitlang oder ewig
Dann muss die Frage nach der Rettung aus diesem Verhängnis gestellt werden
und sie gehört heftig zu uns
„Die Rettung des Sünders aus der Verdammnis.“
Wie ein roter Faden durchzieht dieses Thema unsere Tradition

Nicht nur die Kirchenkritiker – heute - wenden sich von diesem Verständnis ab.
Sollte Gott, der seine Kinder liebt,
sie alle erst einmal als Sünder ansehen,
um sich dann – wenn sie Buße tun – ihrer zu erbarmen?!
Beschreiben wir mit „Sünde und Strafe“ wirklich einen wesentlichen Teil unseres Glaubens?

Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist?

Es gibt sicher die Zusammenhänge von Gesellschaft, Familie und Krankheit – von meinem Tun
und dann den Folgen daraus.
Sicher.
Aber damit das Gottesbild – weiterhin - zu prägen,
Gott, der wegen der Sünde straft…?
der uns erretten muss vor der Verdammnis?

Wenn dann allerdings jemand kommt –
und bei einem Down-Syndrom
oder der Blindheit wie in unserer Geschichte
nach dem eigenen Verschulden des betroffenen Menschen fragt
dann ist das allerdings nur noch absurd.

Wann soll der Mensch denn etwas falsch gemacht haben, wenn er so zur Welt kommt?!

Glauben die Jünger an Reinkarnation,
an Fehler in einem schlecht gelebten Vorleben?

Tatsächlich gab es auch in der Zeit der ersten Christen solche Präexistenlehren
und Rabbinen konnten erklären, dass auch ein Kind schon im Mutterleib gesündigt haben könnte.

Vielleicht wurde damals solche Frage in den Gemeinden behandelt
und der Evangelist nimmt sie hier - in der Frage der Jünger - auf:

Und wie antwortet Jesus auf diese merkwürdige Frage?

3Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm.

Es hat weder dieser gesündigt  -  noch seine Eltern
Also – so Jesus:
Bindet Heil und Unheil der Leute nicht an Sünde

Tut es auch nicht in Eurem Leben.

Ich erhebe Einspruch.
Auch ich habe nicht die Antwort auf die Warum-Fragen dieser Welt
Aber:
Ich löse den Zusammenhang von Sünde – zu Krankheit und Leid und Schicksal auf

Dass mein Tun Folgen hat für mein Leben – wer wollte das bestreiten?!
Aber dass Gott mein Leben unter eine Dauerkontrolle legt
und dann - je nach Tun - Strafen zuweist: diesen Zusammenhang streiche ich.

Ich zeige euch einen neuen Zusammenhang
„zu ihm gehören die Werke Gottes“

Wenn wir den Text hören, könnt es heißen:
Dieser Mensch ist krank – Gott lässt ihn viele Jahre krank sein bis einmal Jesus kommt und ihn heilt.
Auch dieses Verständnis wäre absurd.

So nicht:
sondern es wird von Jesus festgestellt:
Gottes Werke sollen an ihm – auch an ihm - offenbar werden.

Leid, Behinderung, das Böse,
das undurchschaubare Schicksal, Wut und Aggression auf Kosten anderer
– meine Verantwortung
all das gehört zu unserem Leben dazu
will ausgehalten, getragen werden
ohne eine Antwort, die alle Fragen klärt

Aber – auch wenn keine Antwort für das Warum bereitsteht:
Das Leid – mit Strafe Gottes zusammenzubringen
die Not des Menschen – mit Gottesferne zu verbinden
das untersagt Jesus

Er löst den alten, scheinbar so nahe liegenden Zusammenhang auf
und stellt das Leben – mit allem – wie es ist – in einen neuen Zusammenhang

Das Werk Gottes
das Tun und Wirken Gottes
das gilt dem Blindgeborenen

Wo ihr dachtet
Hier hat sich Gott zurückgezogen
strafend oder ohnmächtig
wo ihr denkt, er sei nur noch fern:
Es sollen die Werke Gottes, sein Tun an ihm erkennbar werden.
Nicht vor aller Welt
 das merkt man am Fortgang der Geschichte
aber für den Betroffenen selbst.

Wie werden sie offenbar, erkennbar – die Werke Gottes?
Sie fallen jedenfalls nicht vom Himmel
Jesus sagt: Vers 4
4Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann. 5Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt.

Wir müssen die Werke dessen wirken
Werke wirken
Wir müssen das Tun Gottes tun
Wir sind nicht Gott
Aber wir müssen (dei!) – wir sind dazu gesandt, geschickt –
 wir sind dafür auch „geschickt“,
das Tun Gottes wirken, dafür arbeiten

„Wir müssen“
Dieses Müssen – ist so ganz unbedingt
also:
Nachfolgen und die Werke Gottes wirken
das gehört zu uns

Wir müssen die Werke Gottes wirken
ER wirkt – aber er will es durch uns tun.
Jesus ist das Licht der Welt – Gott will es durch ihn tun.
Mit dem Matthäus-Evangelium können wir hinzufügen
Jesus sagt: Ihr seid das Licht der Welt
Gott will es durch uns tun.
Wir müssen die Werke Gottes wirken
Sich hinstellen – zum Himmel aufschauen – bringt keine Offenbarung der Werke Gottes

Heißt:
Wenn Sie gehen
Ihren Weg gehen – nachfolgen – dann müssen sie – ganz unbedingt – die Werke Gottes wirken.

Sie können nicht nachfolgen, ohne die Werke Gottes zu tun
Das ist keine Anweisung für Pastoren oder kirchliche Mitarbeiter
sondern für Nachfolger
für den Glaubenden
für Sie!

Wir hören das Wort „Müssen“ nicht gern.
Wir lassen uns nicht unter Druck setzen.

Jesus hat seine Freunde nicht unter Druck gesetzt
sicher nicht
aber – verzeihen Sie
wenn sich jemand ins Auto setzt und aufs Gas tritt
dann muss das Auto sich in Bewegung setzen
oder es ist etwas nicht i.O.

Der Glaube setzt uns in Bewegung
Bei Stillstand stimmt etwas nicht.

Die Frage ist:
Wir wirkt man die Werke Gottes?
Was tut Jesus:
Jetzt kommt die eher unangenehme Sache mit dem Speichel.

Dem Speichel traute man besondere Heilkraft zu
 Der Mückestich und die Spucke darauf.
Hinter diesem merkwürdigen Tun steht:
Jesus hält nicht Ausschau nach den Sünden der Menschen
sondern er hat das Leid der Menschen gesehen und er reagiert darauf.

Die Geschichte fängt schon so an
1Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war.
Da fängt – mit seinem Sehen - das Heilwerden schon an.

Wie wirken wir die Werke Gottes?
Im Entdecken, im Sehen – im Ansehen - von Menschen,
öffnet sich die Spur Gottes.

Die Werke Gottes wirken -
das fängt mit offenen Augen an
mit Aufmerksamkeit
und mit Zuwendung

Warum?
Weil Gott sich von keinem abwendet
Weil er sich zuwendet
Darum ist Zuwendung der Charakterzug des Glaubens
 … ich lebe doch selber davon.

Und Zuwendung sortiert nicht
wählt nicht aus
richtet nicht den Blick auf die Sünden der Menschen
sondern auf ihre Not.
Die Zuwendung Gottes gilt allen


Die Enzyklopädie der Weltprobleme listet 12.203 Welt-Probleme auf
habe ich gelesen
Wir müssen nicht die Probleme der ganzen Welt lösen
aber wir müssen das Werk Gottes wirken,
zu allererst an dem Nächsten
an der Notlage, dem Not-Leidenden vor unsern Augen.

Und was ist zu tun – mit aller Aufmerksamkeit?
Ich glaube nicht, dass Wunderheiler gefragt sind.

Ich höre aus dem Johannesevangelium, dass Jesus auch nicht als Wundermann vorgestellt werden soll
Sondern durch Jesus wird Gott „hörbar“ – und seinem Wort gilt es zu folgen.
Glauben, Vertrauen, das ist das Thema
und Heilwerden
Wenn Sie die lange und spannende Geschichte des Blindgeborenen zu Ende lesen, dann bekommt er nicht nur das Augenlicht geschenkt, sondern – darauf zielt alles:
Er wird zu einem Glaubenden.
auch sein inneres Auge wird ihm geöffnet.


Also – was ist zu tun?
Zweierlei: offene Augen haben und sich zuwenden
und so das Werk Gottes wirken
Werkzeug Gottes sein
und das soll Heilmachen
und das darf eine Einladung zum Glauben werden
damit auch dem anderen der Blick auf das Werk Gottes offenbar wird.
und er selber Werkzeug Gottes werden kann.
vielleicht ja auch für mich

Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens,
Wie?
dass ich liebe, wo man hasst;
dass ich verzeihe, wo man beleidigt;
dass ich verbinde, wo Streit ist;
dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist;
dass ich Glauben bringe, wo Zweifel droht;
dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält;
dass ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert;
dass ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt.

AMEN

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