"Liebevoll und unbedingt"
Klaus-Georg Poehls
Meine lieben Konfis, liebe Gemeinde,
unsere Konferstunden begannen immer mit einer Runde, in der einander ein Football zugeworfen wurde und wer ihn hatte, hatte zugleich das Rederecht erworben und die anderen die Schweigepflicht. Das ist eine komplizierte Regel, wahrscheinlich komplizierter als American Football selbst, und so brauchte es gut eineinhalb Jahre, bis alle sie verstanden hatten.
Wenn es Angst gab in unserer gemeinsamen Stunden, dann nur die vor diesem Football, wenn es Hoffnung gab in unseren Stunden, dann die, dass irgendwer irgendwann die Deckenlampe abwirft. Ich habe viel von Euch erfahren in diesen Footballrunden – vielfach und ungezählt durfte ich hören: „Mir geht es gut und ich freue mich aufs Wochenende“. Kreative Geister schufen Abwechslung mit der Alternative „Mir geht es gut und ich freue mich auf die Ferien“.
War da eigentlich noch mehr? War da eigentlich irgendetwas, was den riesigen Aufwand für diese Konfirmationen rechtfertigt, wo doch Konfer selbst so unwichtig war? Schicke Kleider, tolles Essen, große Gesellschaft nur deshalb, weil es endlich vorbei ist - das wäre natürlich kein so schöner Gedanke für mich.
Wozu Konfer? Wikipedia verheißt das reine Weltwissen und alle Weisheit der Menschheit! Wozu Konfer? Facebook verspricht hunderte von Freunden – you’ll never walk alone! Wozu Konfer? Alles Suchen hat bei Google sein Ende! Das sind die großen Heilsversprechen unserer Zeit.
Und Kirche bietet Euch nur eine Wochenstunde in einem engen Raum mit hässlichen Stühlen, einem abgewetzten Football und einem alten Mann.
Und Ihr habt das durchgehalten, und Ihr wart immer wieder eine große Überraschung für mich.
Bei unserer letzten Runde mit dem Football fiel ein überraschender Satz. Eine sagte: „Wir haben gemeinsam gedacht. Ich bin gespannt, was wird, wenn wir es nicht mehr tun“.
Wir haben gemeinsam gedacht – und manchmal gemeinsam gelacht, am Kerzenkreuz geschwiegen, gesungen, gebetet, einander Aufmerksamkeit geschenkt, ein Lächeln dazu – das hat seinen Wert in sich, jenseits aller Wissensvermittlung. Unser gemeinsames Denken hat zum Ende unserer Zeit hin das Glaubensbekenntnis entstehen lassen – ein kleines theologisches Denkgebäude – nur möglich als Gemeinschaftswerk, richtiggehend zusammen-gedacht. Glaube ist angewiesen auf Gemeinschaft.
Einem Denkgebäude geht es genauso wie einem richtigen Gebäude: es muss ab und an ausgebessert und erneuert werden, braucht mal einen neuen Anstrich, einen Anbau, einen Ausbau vielleicht. Ansonsten verstaubt es, wird unansehnlich und verfällt, bietet keinen Raum mehr für neue Erkenntnis, neue Hoffnung. Glaube als Denkanstrengung, mit der ich meinen Glauben vor der Vernunft zu verantworten habe, darf nicht aufhören.
Es gibt, um ein Bild aus der Computersprache zu nehmen, auch beim Glauben eine Aktualisierungstaste, und wer sie nicht ab und an drückt, der sieht Missionare noch durch den Urwald wandern und seine eigene Gemeinde immer nur mit den schreckensweiten Augen eines Kindes, das den Katechismus auswendig zu lernen hatte.
Glaube aber ist noch mehr als eine Denkbewegung und davon spricht der Text, den Ihr Euch als Evangelium ausgesucht habt. Ein besonderer Text, nicht nur, weil Liebe darin vorkommt. Liebe-voll ist er – neun Mal kommt „lieben“ oder „Liebe“ vor. Die Rede von der Liebe kann inflationär sein, auch als kirchliche Rede. Liebe sollte lieber gezeigt und geübt, denn zerredet werden. Und dennoch kommen wir ohne „Liebes-gerede“ nicht aus, weil christlicher und vorher schon jüdischer Glaube eng verwoben sind mit der Liebe. Sie ist die große Schwester der romantischen Liebe, des Verliebtseins. Sie kennt auch das, freut sich darüber, aber sie weiß von der Zumutung und Überwindung, die es braucht, Liebe zu zeigen, von dem Mut, der erforderlich ist, Hass und Gewalt entgegenzutreten, von der Zurückweisung und dem Zynismus derer, die Nächsten- und Feindesliebe für eine fixe Idee und Liebe zur Schöpfung für naiv halten. Sie scheitert und stirbt und steht wieder auf. Sie ist eine Kraft, die bleibt. Denn Gott ist die Liebe. Und so unterliegt diese Liebe keinerlei Bedingungen von Raum und Zeit, von Zustimmung oder Ablehnung, von Beweis oder Gegenbeweis – sie gilt un-bedingt, sie ist da. Ich kann sie nur glauben, kann Gott nur glauben. Und meine Vernunft und meine kritische Bildung muss ich dafür nicht an der Kirchentür abgeben: Man kann durchaus vernünftig fragen, warum es denn wohl keine unendliche unbedingte Wirklichkeit geben sollte, die alles Endliche und Bedingte umfängt, aus der alles Endliche und in die alles Endliche wird. Und lass ich mich darauf ein und fange ich an mit meinem Glauben, dann gewinne ich einen neuen Blick für diese Welt und auf mein Leben.
Der Evangelist Johannes lässt Jesus in dem heutigen Evangelium sagen: „Bleibt in meiner Liebe!“ Das ist nicht die Auforderung an die Jünger, an uns, Jesus weiter zu lieben oder im Sinne Jesu weiter zu lieben, sondern es ist die Zusage Jesu, dass seine Liebe, die keine andere als Gottes Liebe ist, in dieser Welt bleibt. Er sagt: „Gottes Liebe soll eure Bleibe sein, Euer Zuhause!“
Hier spricht ein Freund eine Einladung aus. Auch das macht das heutige Evangelium besonders, weil Freundschaft hier als eine Form christlicher Liebe, als eine Form des Glaubens vorgestellt wird.
Das Glück, einen Menschen seinen Freund nennen zu können, hat für mich zu tun mit dem Gefühl, zu Hause sein, oder im anderen - im Freund - ganz bei sich zu sein. In ihm oder in ihr begegne ich meiner eigenen Geschichte, meinen Freuden, Hoffnungen, Ängsten und Zweifeln, und weiß alles gut aufgehoben. Da ist einer an meiner Seite, egal wie nah oder fern er ist, er ist es über Jahre, über Jahrzehnte und es ist ein schönes Gefühl, ein Geschenk – liebevoll und ohne Bedingungen, unbedingt.
Jesus versteht sich als ein Freund derer, die ihm nachfolgen.
Und als solchen habe ich ihn vor Augen, wenn ich lese, wie er umging mit den Menschen, wie er ihnen die Hand reichte, sie aufrichtete und wieder gehen ließ, wie er die Kinder zu sich rief und sie in den Arm nahm, mit den Ausgegrenzten an einem Tisch saß, mit seinen Jüngern Abendmahl hielt, betete, feierte, diskutierte – so wird Freundschaft. Und er lebte diese Freundschaft, weil er Gott so glaubte. Und ich glaube Jesus seinen Gott.
Glaube und Freundschaft sind sich ganz ähnlich. Und wenn es um Jesus und seinen Glauben geht, dann sind sie eins. Vertrauen, Verlässlichkeit, Treue – Freundschaft ist der Raum, in dem ich aufatme, in dem ich frei rede, frei bin. Jeder von uns kennt diese Erfahrung, sie verbindet uns über die Generationen hinweg. Freundschaft ist Nähe, ist Dasein. Nicht anders der Glaube an Gott, wie er sich durch Jesus vermittelt. Wer Freundschaft kennt, der weiß, was Glaube bedeuten kann.
Und wer glaubt, der wird mehr und mehr zu einem Freund der Menschen, zu einer Freundin des Lebens. Als solche habe ich Euch kennen lernen dürfen – nicht unbedingt bei der Footballrunde, aber dann mit manchen Ansichten, mit manchen Gesten. Und zuletzt mit dem ganz besonderen Freundschafts-Schlusssatz Eures Glaubensbekenntnisses: „Gott, Du bist uns Kraft und Hoffnung, Liebe und Zuversicht – oder einfach nur DU!“
Danke und Amen.