Lukas 14, 25-33
Klaus-Georg Poehls
Gnade und Friede von Gott unserem Vater durch unseren Bruder Jesus seinen mit Euch!
Liebe Gemeinde,
fromme Wünsche sind das – im besten Sinne. Gnade möge doch mein Denken, Fühlen und Handeln durchdringen, diese tiefe und schöne Zusage Gottes, dass alles da ist und ich alles bekommen soll, wovon ich eigentlich lebe, uns was ich nicht herstellen kann: "nicht die Liebe, nicht die Freundschaft, nicht die Vergebung, nicht die eigene Ganzheit und Unversehrtheit", so beschriebt es Fulbert Steffensky (ders., Mut zur Endlichkeit, 14). "Gnade sei mit Euch und Friede!". Möge er unser Miteinander bestimmen als Gelassenheit und Großzügigkeit und mich selbst, als ein dankbares Sich-Zufriedengeben. Und die vor uns liegende Zeit als Ferien- oder Urlaubszeit will Raum geben für diese frommen Wünsche.
Sie haben guten biblischen Grund. Es ist dies der Segen, den Abraham, der Vater aller Völker, empfing: "Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und du sollst ein Segen sein." Und so zog der Urvater unseres Glaubens aus in dem Vertrauen, dass der Segen Gottes schon da sein würde, wo er noch hin musste. Von vorne her, aus der unverfügbaren Zukunft oder aus dem alles überspannenden Himmel sollte Segen auf ihn zukommen: "Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein".
Das ist die Wirklichkeit Gottes, die diese Welt umfängt und umfasst, hält und trägt, die diese Welt durchwirkt und segnet. und dann kann da ein Mensch nur noch mit Franziskas Taufspruch antworten und bekennen: "HERR, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen."
So habe ich auch Jesus verstanden, wenn er den Menschen von der Freundlichkeit Gottes erzählte, die allen Menschen gilt, wenn Gnade und Friede an ihm erlebbar und spürbar wurden.
Und sein Glaube hat Hoffnung geweckt, hat Menschen bewegt, sie kamen zu ihm, ahnten neue Lebensmöglichkeiten, ahnten eine Freiheit der Kinder Gottes. Da war Aufbruchstimmung. Solche, wie ich sie erhoffe von einem jeden Gottesdienst: raus aus der Enge, hinein ins Weite, nicht mehr gebunden und bedrückt, sondern ein Stück gehimmelt. Vielleicht folgten sie ihm so, diesem Jesus. Und dann berichtete Lukas Verstörendes:
Es ging aber eine große Menge mit ihm; und er wandte sich um und sprach zu ihnen: Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein. Und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein. Denn wer ist unter euch, der einen Turm bauen will und setzt sich nicht zuvor hin und überschlägt die Kosten, ob er genug habe, um es auszuführen, - damit nicht, wenn er den Grund gelegt hat und kann's nicht ausführen, alle, die es sehen, anfangen, über ihn zu spotten, und sagen: Dieser Mensch hat angefangen zu bauen und kann's nicht ausführen? Oder welcher König will sich auf einen Krieg einlassen gegen einen andern König und setzt sich nicht zuvor hin und hält Rat, ob er mit Zehntausend dem begegnen kann, der über ihn kommt mit Zwanzigtausend? Wenn nicht, so schickt er eine Gesandtschaft, solange jener noch fern ist, und bittet um Frieden. So auch jeder unter euch, der sich nicht lossagt von allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein.
So als ob der Segen über Abraham nicht mehr gilt für alle Menschen, so als ob Gottes Güte nicht mehr reicht für alle, und Wahrheit nur noch etwas ist für einen sehr ausgesonderten und elitären Kreis und natürlich für den Herrn und Meister selbst. Eben waren da noch einladende Weite und grenzenlose Güte und nun scheint es mir sehr eng und abweisend zu werden.
Und gerade, wer in seiner Familie um Zusammenhalt und Gemeinschaft kämpft, wer sich einsetzt für seine Freunde, wer auch beseelt ist von der Liebe zu den Nächsten, Kraft schöpft aus Ehe, Familie und Freundschaft und sich dadurch wie gesegnet fühlt, der mag sich wie vor den Kopf gestoßen fühlen. Fremd ist mir dieser Jesus - wie Lukas ihn beschreibt.
Denn vergessen wir bitte nicht: es ist nicht der authentische Jesus, der hier spricht, es ist jener Jesus, wie ein Anhänger oder Jünger zweiter Generation ihn wahrgenommen hat, und mit diesem wahr-genommenen Bild seine Leser konfrontiert. Das tut er allerdings sehr provokativ und schärfer als sein Schriftstellerkollege Matthäus. Das Wort vom Hassen seiner Eltern und Geschwister und vom Selbsthass lässt sich nicht einfach abmildern. Und wenn in den Evangelien steht, wie Jesu Familie den Sohn und Bruder für verrückt hält (Mk 3, 21), wie die Menschen denken, er habe einen bösen Geist (Joh 8, 48) und wie viele Jünger ihn wegen seiner harten Rede verließen (Joh 6, 60.66), dann ist das wie eine literarische Spur eines die Menschen auch verstörenden Mannes.
Wer so hart abweist, der will etwas ganz entschieden nicht. Und wer vorrangig als ein Liebender dargestellt wird, der will etwas in seiner Liebe ganz entschieden nicht.
Und so hält er die Menge derer, die ihm nachfolgen oder nachrennen an, konfrontiert sie, zwingt sie innezuhalten. Er zwingt jeden einzelnen, sich hinzusetzen wie einer, der bauen will und vorher die Kosten überschlagen muss, wie einer, der kämpfen will und vorher die Kräfte überprüfen muss. Denn wer das nicht tut, macht sich lächerlich, macht sich zum Gespött der Leute.
Jesus nachzufolgen ist mehr als nur einer Stimmung zu folgen, mehr, als der eigenen Sehnsucht Recht zu geben, ist mehr, als die eigene Enge verlassen und ins unbestimmte Weite zu wollen.
Der Glaube, den Jesus lebte, bedeutet anscheinend kein einfaches Mitgehen, bedeutet kein Bad in der Menge, ist kein Wohlfühl-Spaziergang. Er bedeutet auch Arbeit und Kampf, und die kosten Mühe und Kraft, die fordern Einsatz, die fordern mich heraus, auch "heraus" aus meinen ganz persönlichen und engsten Bindungen.
Und so braucht es Zeit und Innehalten für die Entscheidung zu diesem Glauben. Deshalb liegt zwischen der Taufe der kleinen Franziska und ihrer Konfirmation eine lange Zeit, deshalb steht Ihr Konfirmanden vor einer richtigen Gewissensentscheidung, deshalb wird in unserer Gemeinde nicht nur gefeiert, sondern von vielen Ehrenamtlichen richtig gearbeitet, deshalb gibt es eine Glaubensmüdigkeit und eine Mattheit, so dass ich nicht mehr will und nicht mehr kann.
Einer der Konfirmanden hat mir mal gesagt, wir würden immer nur von Liebe reden. Ich tue das auch und ich tue das gern. Und vielleicht klingt das irgendwann nur noch ganz nett. Und "nett" ist wirklich ein schlimmes Etikett für den Glauben. Und wenn Jesus eines nicht war, dann nett – das spüren wir dem heutigen Predigttext auch ab.
Er war entschieden – zur Liebe entschieden. Und deshalb wird es uns heute, wie damals der Gemeinde des Lukas untersagt, einfach durch die Gegend zu rennen und zu behaupten, eine Jüngerin oder ein Jünger Jesu zu sein. Seine schlichte Lehre von der Liebe Gottes darf ich nicht einfach benutzen, um meine Lebensverhältnisse zu rechtfertigen, um sie als christlich zu etikettieren. Ich soll nicht einfach mit seinem Namen schmücken, was mir das Liebste ist, woher ich Sinn beziehe. Denn dann würde ich ja behaupten, dass Gottes Wille darin aufginge, dann wäre ich ja so anmaßend zu meinen, es gäbe von Gott her nichts mehr, was gegen mich und meine Werte stehe.
Es steht mir nicht zu, mich und mein Leben hinter Jesu Namen zu verstecken und zu rechtfertigen. Ich bin nicht sein Jünger und kann es nicht sein. Ich komme Jesus nicht hinterher. Ich liebe meine Familie und meine Freunde und komme Jesus nicht hinterher. Ich kann nicht lassen von vielem, was mir lieb und wert ist, und komme Jesus nicht hinterher. Ich freue mich an Besitz, blicke manchmal ein wenig neidisch auf den Besitz anderer und komme Jesus nicht hinterher. Ich urteile über das Leben anderer, meine zu wissen, was christlich ist und was nicht, ich benutze Gott zur Rechtfertigung meiner Ansichten, meiner Lebensverhältnisse, meiner Religion, und komme Jesus nicht hinterher.
Vielmehr erkenne ich mit ihm, wie fragwürdig vieles in meinem Leben ist, wie viel ich noch loslassen könnte, um näher bei Gott und näher bei den Menschen zu sein. Ich erkenne, wie schwer es ist, die Liebe Jesu anzuwenden in meinem Alltag, sie herunterzudeklinieren in meinen Beruf, meine Eigeninteressen, mein Familienleben, meine Freundschaften. Meine Fähigkeiten und Kräfte, meine Schwächen und dunklen Seiten sollen von Liebe durchdrungen werden – wie soll das gehen, wie soll ich das schaffen, selbst wenn ich es so sehr wünsche?
"HERR, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen."
Die Güte Gottes und seine Wahrheit sind größer, größer als meine Zweifel, größer als meine Kraft und größer als mein Scheitern. Wenn ich nicht Jesu Jünger sein kann, weil ich so hoch meine Glaubenskraft und Liebeskraft nicht sehe, dann möchte ich doch, mit Martin Luther, ein "frommer Sünder bleiben": möchte mich und mein Leben, möchte das Leben meiner Gemeinde befragen lassen gerade auch von dem Jesus, wie er mir bei Lukas begegnet, möchte mich einladen lassen in seine Freiheit, in seinen Jubel über Gott, möchte mir Gottes Liebe einfach gefallen lassen. Und ich glaube, es kann Segen daraus werden.