Matthäus 27, 33-50

07.04.2007 | 00:14

Klaus-Georg Poehls

Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

 

Liebe Gemeinde,

 

jeden Tag neu gebe ich dem, was mir widerfährt, einen Namen und einen Sinn, nehme das, was das Leben oder die Wirklichkeit mir zuträgt an oder verwerfe es, fühle mich davon befördert und beglückt, betrogen oder beschnitten.

 

Jeden Tag neu begegne ich meinem Schicksal oder meinem Leben wie einem Partner, fühle mich mal bestätig oder mal zurückgesetzt. Oft genug geschieht es unbewusst, alltäglich eben - der Sinn, die Namen sind schon da für das, was geschieht. Manchmal aber da stehe ich ganz neu vor dem, was mir passiert, und frage auch neu. Warum? Wozu?

 

Und lauter und drängender werden diese Fragen, wenn das, was geschieht, sich nicht mehr einfangen lässt in Beschreibungen, sich nicht mehr artikulieren lässt, sich als Schrei äußern will. Wenn die Menschen schwinden und die Kräfte, wenn Gott schwindet und der Boden unter den Füßen, wenn da keine Bedeutung mehr ist und kein Glanz und keine Aussicht. Wenn Karfreitag wird, der ganz persönliche Karfreitag wird, und der Tod in mein Leben kommt.

 

Wir alle wissen – und wo wir es nicht wissen, ahnen und fürchten wir es – wie der Tod eines Menschen ein Leben verändern kann. Seien es die Bilder vor Augen, seien es die Einsamkeit, die Trauer, die Schwere, die das Leben für eine Zeit bekommt, sei es das Laute oder die Stille des Todes, das Kämpfen, das Ringen, die Angst und auch der Friede – sie prägen uns, sie lassen uns neu fragen, sie ändern uns und unser Leben.

 

Hat Jesu Tod die Welt verändert? Verändert er mich? Wie?

 

Das Kreuz Jesu, genauer: seine systematische Folter und Hinrichtung, sind Ansichtssache. Und Matthäus sieht in seinem Bericht ganz genau hin, verschärft die körperliche Pein noch um den Hohn und Spott, denen Jesus ausgesetzt ist. Die Lieblosigkeit und Gemeinheit, der Hass und die Brutalität, zu denen Menschen fähig sind, toben sich an Jesus aus. Ein gottloses Geschehen stellt Matthäus vor Augen, in dem sich biblische und aktuelle Bilder treffen können. Das Kreuz, das Matthäus aufgerichtet sieht, ist wie ein Anwalt jener ganzen Wirklichkeit, die in unserer Wohlfühlwelt so gern ausgeklammert wird.

 

Nach Golgatha wird Jesus geführt, an die Schädelstätte, auf den Todesgipfel. Ausgestoßen ist er aus allen Schutzräumen, die die Zivilisation gewährt. Und immer noch kommt vor dem Töten das Ausgrenzen und vor dem Ausgrenzen das Verhöhnen der Opfer.

 

Immer noch laufen Karfreitagsspaziergänger durch die reale oder virtuelle Welt, gehen vorüber und lästern und spotten, oder sie bleiben kurz stehen und warten, ob noch etwas Spektakuläres geschieht.

 

Sie verhöhnen und verspotten einen, der um Hilfe schreit - das wissen sie, auch wenn sie ihn falsch verstehen und denken, er riefe nach Elia, dem Nothelfer des damaligen Volksglaubens.

 

Sie verhöhnen ihn in seinem Glauben an Gott, lassen nicht locker, ihn auch noch in seinem tiefsten Vertrauen zu entwürdigen:

 

"Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn."

 

Und, liebe Gemeinde, wenn Jesus selbst sich je als Sohn Gottes verstanden haben sollte, dann im Sinne seiner Bergpredigt, wo er die Töchter und Söhne Gottes nennt, die Frieden schaffen.

 

So ist nun Gott selbst und so sind nun die Kinder seines Wohlgefallens auch noch dem Spott ausgesetzt. Es scheint, als würde es nun für Matthäus unerträglich. Er schreibt:

 

"Und von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde."

 

Jetzt, wo die Sonne am höchsten steht, verliert sie ihren Glanz. Für drei Stunden wird es dunkel. Es scheint, als wolle Gott seine Schöpfung zurücknehmen, oder als sei die Schöpfung mit diesem Leid selbst er-schöpft, und könne nicht mehr weiter. Die ganze Welt ist betroffen vom Sterben dieses einen. Und seitdem geht das Sterben eines jeden einzelnen Menschen die ganze Welt an.

 

In diese dunkle Welt hinein schrie Jesus um die neunte Stunde: "Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?"

 

Vielleicht benutzt er vertraute Gebetssprache des 22. Psalms, um Worte für sein Leid zu finden, für den Schmerz, für die offenen Fragen nach dem Warum oder Wozu.

 

Vielleicht wird Jesus nun als frommer Jude den ganzen 22. Psalm beten, denn die ersten frommen Leser des Matthäus wissen, dass mit den Anfangsversen eines Psalms sein Sprechen eingeleitet wird.

 

Vielleicht stirbt Jesus wie er gelebt hat: als einer, der sich Gott mit seiner Klage und Anklage ganz anvertraut, sich hinüberbetet durch die Klage hindurch in eine neue Gottesgemeinschaft; vielleicht stirbt er in seiner von ihm erlebten Gottverlassenheit.

 

Auch wenn wir es Matthäus nicht mehr abspüren können, oder er es absichtlich offen lässt: Im Hintergrund der Schilderung des Matthäus klingt die Melodie des ganzen Psalms 22, den wir eingangs beteten. Im Hintergrund geht es wie im Psalm 22 auf ein Gotteslob zu, im Hintergrund ist das Vertrauen, dass Gott da ist.

 

"Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne. … Sei nicht ferne von mir, denn Angst ist nahe; denn es ist hier kein Helfer.

 

… Unsere Väter hofften auf dich; und da sie hofften, halfst du ihnen heraus. Zu dir schrien sie und wurden errettet, sie hofften auf dich und wurden nicht zuschanden. … Dich will ich preisen in der großen Gemeinde, ich will mein Gelübde erfüllen vor denen, die ihn fürchten. Die Elenden sollen essen, dass sie satt werden; und die nach dem HERRN fragen, werden ihn preisen; euer Herz soll ewiglich leben."

 

Wie will das zusammenpassen? Hier die Hintergrundmusik des Psalms, dort die Grausamkeit des Sterbens?

 

Wie will das zusammenpassen, wenn der Tod Jesu schon diese Frage unterbricht? "Aber Jesus schrie abermals laut und verschied."

 

Das war zur neunten Stunde, gegen 15.00 Uhr unserer Zeit. Wurde es dann wieder hell für Matthäus? Ging die Welt ihren Gang weiter? Sind mit Jesus seine Wahrheit, seine Liebe und sein Gott gestorben?

 

Oder muss jetzt dieser Gott herhalten für den Tod seines Sohnes?

 

Es fällt schwer, Sinnlosigkeit auszuhalten.

 

Und ganz schnell wurde dem Tod Jesu ein göttlicher Sinn gegeben. Er passte nicht in Jesu Leben, dort war eine ungeteilte Freiheit der Kinder Gottes und eine Freiheit Gottes für seine Kinder; dort freuten sich alle an einem Gott der unbedingten Liebe oder ärgerten sich daran.

 

Nun muss Jesu Tod herhalten als Bedingung der Möglichkeit dieser Liebe, nun soll die Vergebung unserer Sünden, die Aufhebung aller Trennung und Entfremdung von Gott nicht erfolgen können ohne ein Menschenopfer. Das passt nicht und wird niemals passen.

 

In Jesu Leben, in seinem Glauben hat Gott der Gewalt abgeschworen. Noch in der Nacht vor seinem Tod, wir haben es gehört, sagt Jesus: "Stecke dein Schwert an seinen Ort! Denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen. Oder meinst du, ich könnte meinen Vater nicht bitten, dass er mir sogleich mehr als zwölf Legionen Engel schickte?" (Mt 26, 52.53)

 

Gott hat die Gewalt gegen Jesus nicht mit Gewalt verhindern wollen, hat keinen Krieg der Engel gegen seine Menschen führen wollen. Nun soll er die Gewalt gegen Jesus nötig haben, um seinen Zorn zu lindern, um Sünden zu vergeben?

 

Ich kann keiner solchen theologischen Rechtfertigung des Todes Jesu folgen.

 

Ich nehme den Gott Jesu so nicht wahr, möchte den Spuren des Gottes der Lilien folgen, des Gottes der Lebendigen und nicht der Toten, des treuen Gottes, der seine Menschen nicht loslässt.

 

Was mir theologisch geboten scheint, ist also, Gott in die Situation des Kreuzes an den Ort Golgatha zu holen als einen, der dieses Leid und diesen Tod nicht will und deshalb in Jesus an diesem Ort des Grauens ist, der da mitleidet, der bei seinem Kind ist.

 

Es will alles paradox werden: in der Gottverlassenheit des Geschehens ist Gott da, in der Gewalt hält die Liebe stand, in allem Haltlosen ist da der letzte Halt.

 

Die Gewalt, der Jesus ausgeliefert war, die ihn verhöhnte, verspottete, folterte und ans Kreuz nagelte, die ihn zerbrach, sie wird von Gott selbst am Kreuz gebrochen. Wer Gewalt tut, der lästert Gott, wer Gott glaubt und ihn lobt, der sagt der Gewalt ab. Das Leiden Jesu will dem Leiden der Welt ein Ende setzen… Das Leiden Jesu will dem Leiden der Welt ein Ende setzen?

 

Und Gott selbst wird sich nicht dazu bewegen lassen, das Ende der Gewalt mit Gewalt durchzusetzen. Denn gewinnen will er seine Menschen, nicht unterwerfen, will sie ihn Liebe halten und nicht mit Gewalt behalten.

 

Er zeigt seine Macht nicht in der Gegengewalt, sondern in der Auferstehung.

 

Denn wie kann Liebe sich durchsetzen, ohne sich selbst als Liebe aufzugeben? Muss sie nicht ohnmächtig der Lieblosigkeit, der Gewalt, der Heuchelei, der Feigheit, der Resignation standhalten, solange, bis all die sich ausgetobt haben? Und wenn sie stärker sind, wenn sie sich nicht erweichen, beruhigen lassen durch das Gegenüber der Liebe, kann Liebe dann nicht erst dann zur Entfaltung kommen, bis all ihre Gegner von Tode verschlungen sind? Ist der Tod nicht der letzte aller Orte, an dem Liebe erstarken, mächtig werden kann, ohne das sie als irgendetwas anderes verstanden werden kann als reine Liebe?

 

Hier das Nichts, das Ende aller Beziehung zu sich selbst, zu den Menschen, zu Gott und da – die Liebe. Die Liebe zum Menschen, zum Leben, die Ja sagt in der letzten großen Verneinung.

 

Gott nutzt viele Chancen, sich als Liebe zu erweisen, sein Segen ist spürbar als Lebenskraft, als Schönheit, als Mensch, der mein Leben erst reich macht – aber immer auch kann seine Liebe anders verstanden werden: als Zufall, als Glück, als Verdienst, als Selbstverständlichkeit. Aber unmissverständlich als Liebe, die keiner Begründung bedarf, die nichts anderes will, als Liebe zu sein, ist Liebe erst im Tod. Er ist die letzte und erste Chance Gottes, sich als Liebe und als Gott der Lebendigen zu erweisen.

 

Die Liebe beantwortet nicht all die Fragen, die mit Leid und Tod erwachen und laut werden.

 

Aber sie stellt mich ganz neu auf die Seite Jesu und auch an sein Kreuz, auf die Seite all derer, die dem Leiden und dem Tod ausgesetzt sind. Sie kann nicht neutral sein und kann sich nicht raushalten aus dem, was mitten unter uns geschieht.

 

Und sie lehrt mich, mit den Fragen nach dem Warum und Wozu zu leben, ja, diese Fragen selbst zu leben und sie in Liebe offen zu lassen, denn auch in ihnen begegnet mir Gott.

 

In seiner Liebe wird er dafür sorgen, dass wir uns hineinleben in seine Antwort und auch in seine Antwort hineinsterben.

 

"… Dich will ich preisen in der großen Gemeinde, ich will mein Gelübde erfüllen vor denen, die ihn fürchten. Die Elenden sollen essen, dass sie satt werden; und die nach dem HERRN fragen, werden ihn preisen; euer Herz soll ewiglich leben." Amen.

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