Matthäus 5, 13-16
Klaus-Georg Poehls
Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt! Amen!
Am Freitag wurde mir eine Nachricht zugeschickt, die mich doch wieder sprachlos machte – natürlich nur kurz. Im österreichischen Wirtschaftsblatt stand, dass ein russischer Unternehmer Touren an der somalischen Küste anböte, auf denen man sich von Piraten überfallen lassen könnte.
Ich zitiere diese Nachricht vom 22. Juni: „Seine Geschäftsidee ist einfach: Sein Kreuzfahrtschiff ist der Köder für die Piraten. Versuchen die echten Piraten das scheinbar harmlose Schiff zu entern, erleben die Afrikaner ihr blaues Wunder. Statt wehrlose Handelsmatrosen stehen ihnen bis an die Zähne bewaffnete russische Touristen gegenüber. Ein makabrer Touristenspaß. Ein Tag an Bord des gecharterten Kreuzfahrtschiffes kostet 5.790 Dollar. Es wird solange geschippert, bis die echten Piraten auch wirklich angreifen. Mindestens ein Piratenüberfall mit Kaperungsversuch wird vom Reiseunternehmer garantiert. …Das Schiff fährt … möglichst nahe der somalischen Küste mit einer Geschwindigkeit von nur fünf nautischen Meilen entlang. Die Touristen können sich nach Belieben und Geldbeutel mit Waffen eindecken.
Eine Maschinenpistole des Typs AK-47 kann von den russischen Kreuzfahrtpassagieren an Bord für 9 Dollar am Tag gemietet werden. 100 Schuss Munition kosten 12 Dollar. Ein Granatwerfer kostet 175 Dollar am Tag. Dazu gehören drei Granaten, die im Mietpreis enthalten sind. Die Benutzung eines an der Reeling fest installierten Maschinengewehres soll 475 Dollar kosten.“
Beim weiteren Nachforschen entdeckte ich dann den Hinweis, dass es sich bei dieser Nachricht um Satire handeln könnte. Darauf wurde vorsichtshalber im Wirtschaftsblatt hingewiesen.
Das Erschütternde ist an dieser Nachricht, dass selbst wenn sie Satire wäre, sie doch zweifelsohne jederzeit zur Wirklichkeit werden könnte. Auch so etwas wäre von Menschen zu erwarten.
Liebe Gemeinde,
als was steht der Mensch vor Gott? Würde Ihnen auch zuerst das Wort „Sünder“ einfallen, selbst wenn ich von dieser Nachricht nicht gesprochen hätte? Der Mensch als Sünder, als einer, der nicht ist, was er sein soll, der Anlagen in sich hat zu Bösem, zu Unrecht, ja zu allen Scheußlichkeiten.
Und weil ich mein Denken immer wieder von Erfahrungen geprägt sehe und dann auch noch meist schlechten Erfahrungen, mag man schnell einstimmen: Ja, so ist der Mensch, wie die Bibel es schon sagt: in seinem Denken Böse von Anfang an, schlecht eben. Und wenn wir es netter ausdrücken, was der Mensch in seinem Sosein so anstellen kann, dann heißt es: das ist eben menschlich – und gemeint ist immer noch nichts Gutes.
Die Bibel ist sich nicht einig in ihrem Menschenbild. Es schillert. Die grundsätzlichen Reflexionen vom Menschen als Ebenbild Gottes oder als Sünder vor Gott, als Kind Gottes wie als Kind der Verdammnis finden ihre Konkretionen in Adam und Eva, Kain und Abel, Noah, Abraham und Sarah, Joseph und seinen Brüdern, in David dem Psalmendichter und David dem betrügerischen Kriegsherrn, Maria und Martha, in Petrus und Paulus – und mitten in diesem Reigen Jesus, für mich, für uns das Licht der Welt, der Christus. Auch er wird unterschiedlich gesehen von den neutestamentlichen Schriftstellern. Einig hingegen sind sich alle biblischen Schriftsteller in ihrem Menschenbild in diesen zwei Punkten:
Der Mensch ist gottgewollt und gottesbewußt, ja „gottausgestattet“ – so beschreibt ihn der Theologe Karl-Joseph Kuschel (K.-J. Kuschel, Juden Christen Muslime, 134 f.). Und als solcher ist er zugleich der große Risikofaktor der Schöpfung.
Ein Risiko für Gott selbst, der durch den Menschen in Verruf gebracht, dessen Namen durch den Schmutz gezogen werden kann.
Martin Buber hat über das Wort „Gott“ geschrieben und damit zugleich über das Risiko, das Gott mit seinem Menschen einging:
»Ja, es ist das beladenste aller Menschenworte. Keines ist so besudelt, so zerfetzt worden. Gerade deshalb darf ich darauf nicht verzichten. Die Geschlechter der Menschen haben die Last ihres geängstigten Lebens auf dieses Wort gewälzt und es zu Boden gedrückt; es liegt im Staub und trägt ihrer aller Last. Die Geschlechter der Menschen mit ihren Religionsparteiungen haben das Wort zerrissen; sie haben dafür getötet und sind dafür gestorben; es trägt ihrer aller Fingerspur und ihrer aller Blut. Wo fände ich ein Wort, das ihm gliche, um das Höchste zu bezeichnen! Nähme ich den reinsten, funkelnsten Begriff aus der innersten Schatzkammer der Philosophen, ich könnte darin doch nur ein unverbindliches Gedankenbild einfangen, nicht aber die Gegenwart dessen, den ich meine, dessen, den die Geschlechter der Menschen mit ihrem ungeheuren Leben und Sterben verehrt und erniedrigt haben ...« (M. Buber, Gottesfinsternis, zitiert bei H. Küng, Der Anfang aller Dinge, 121)
Gott wollte dieses Risiko Mensch – das ist der Grundtenor der Bibel.
Wie soll solch ein Wesen umgehen mit sich selbst und mit seinen Mitwesen?
Richtungsweisendes findet sich darin, wie der Evangelist Matthäus Jesus und sein Menschenbild verstanden hat:
Als Wort Jesu heißt es heute: „Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind. So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“
Wen sieht Jesus denn, wenn er so von Menschen spricht?
Offensichtlich sieht er nicht den durchbilanzierten Menschen in der Summe seiner Stärken und Schwächen. Der Blick Jesu auf einen Menschen ist hellsichtiger. Jesus sieht im Menschen immer den, der sich selber voraus liegt, der immer mehr ist als die Summe seiner Stärken und Schwächen.
Jesus sieht glaubend auf den Menschen; hätte Jesus ein Glaubensbekenntnis verfasst, dann wäre der Mensch als ein geliebtes Geschöpf Gottes darin vorgekommen. In unserem Bekenntnis kommt der Mensch nicht vor, auch der Mensch Jesus nicht. Der Mensch aber ist vom Glauben her Kind Gottes, Licht der Welt. Das ist ein hoher Anspruch.
Gläubige, Suchende, Zyniker, Skeptiker, Rechtschaffene und Randexistenzen, Schuldige und Schuldlose, Ausgegrenzte und Eingebildete, noch nicht Fertige und Fix und Fertige – sie alle werden von Jesus angesprochen: „Ihr seid das Licht der Welt“.
Bedingungslose, uneingegrenzte Zusage – und doch wohl hoffnungslose Naivität. Besser kann man von Menschen nicht denken, aber: wir wissen es doch besser, oder?
Wir wissen doch von der Gemeinheit, der Niedertracht, der Resignation, der Dunkelheit von Menschen. Wir wissen sogar, dass manche ihr Schicksal zu Recht erleiden, dass sie selber Schuld sind. Wir wissen, dass ein Mensch sein Wesen verleugnen, sogar sein Wesen neu definieren kann, zu einem Übermenschen werden will, wissen, wie anderen ihr menschliches Wesen abgesprochen werden kann.
Und hier:
Wertvoll, unverwechselbar der Mensch von Gott her mit einem Recht auf Einzigartigkeit und auf Zukunft, sich selbst immer voraus als ein Kind Gottes, eine Schwester, ein Bruder der Menschen, bestimmt dazu, Licht der Welt zu sein, begnadet mit Eigenschaften, die es hell werden lassen, wo Dunkelheit herrscht, die dem Leben Geschmack geben, wo es fade und breiig geworden ist.
„So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“
Jesus ermuntert: Gib dein Wesen nicht preis, werde nicht unwesentlich, sondern wesentlich. Werde, was du von Gott her schon bist: Salz der Erde, Licht der Welt.
Sieh im anderen, was er von Gott her ist: einer, der es hell machen kann in dieser Welt, eine, die dem Leben Geschmack gibt. Nicht, weil er oder sie tolle Leistungen vollbringt, besonders gut aussieht, einem Schönheitsideal entspricht, vor Selbstbewusstsein kaum noch gehen kann, nicht einmal weil er oder sie ein so besonders frommer Christ ist - sonder weil er oder sie Gottes Tochter und Gottes Sohn ist, ein Risiko zwar, das sich aber lohnt einzugehen. Nur deshalb. Das sei dein Glaube und das sei dein Tun.
Gott hat jeden Menschen gedacht und gewollt als sein Gegenüber, als Licht der Welt und Salz der Erde. Das macht die Würde des Menschen aus - jenseits all dessen was er leistet oder darstellt oder anstellt. Deshalb fordert der Schreiber des Epheserbriefes, diesem Menschenbild folgend: „Lebt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit“ (Eph 5, 8b.9).
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.