Matthäus 5, 13 ff. | Fastenpredigtreihe

01.04.2012 | 02:00

Dr. Barbara Schurig

Ihr seid das Salz der Erde. Wenn aber das Salz kraftlos geworden ist, womit soll es gesalzen werden? Es taugt zu nichts mehr, als hinausgeworfen und von den Menschen zertreten zu werden. Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die oben auf einem Berge liegt, kann nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht eine Lampe an und setzt sie unter den Scheffel sondern auf das Lampengestell, und sie leuchtet allen, die im Hause sind. Also lasset euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater, der in den Himmeln ist, verherrlichen.

Salz, das nicht salzt. Ein Licht unter einem Eimer: Es erscheint töricht, wenn ein Ding sich nicht mehr durch seine Hauptfunktion auszeichnet.

„Die Stadt, die auf dem Berg liegt“ - dieses Lichtermeer - „kann nicht verborgen bleiben“: Vor uns haben wir eine der Spitzenaussagen des Matthäusevangeliums, mit seinem Drang, uns mit unserer frohen Botschaft in alle Welt zu senden.

Ich sehe eine einsame, südfranzösische Landschaft am frühen Morgen, knapp bevor die Sonne aufgeht. Ein Haupthaus und seine Nebenhäuser liegen in der Ebene.

Es wird heller. Ein paar Ordensbrüder gucken aus der Tür, kommen heraus, gehen zur nahgelegenen, romanischen Kirche und wollen beten. Was ist das? Die Kirche ist bis auf den letzten Platz mit Jugendlichen gefüllt. 

Was wollen die Jugendlichen? Nur Beten, in der Stille Gott finden.

Nur. Es gibt nicht mehr. Das haben sie begriffen. Das hat ihnen das Licht gezeigt, das ihnen aus dieser kleinen Gemeinschaft in der Einsamkeit Südfrankreichs, eine Autostunde nördlich von Lyon, entgegenstrahlt.

Was ist das für ein Licht? Es ist das Produkt eines Seelenzustands, der so wertvoll wie unverfügbar, also geschenkt ist. Es handelt sich um Vertrauen.

Frère Roger, der Gründer der Kommunität von Taizé, von der ich im Bild spreche, unterstrich sein Leben lang, wie zentral dieser Begriff für ein Menschsein mit Gott sei. Er war überzeugt, dass allein aus Vertrauen selbst in größter Enge Licht entstehen wird. In seinem „Brief aus der Wüste“ sagt er:

 „Gerade in deiner Dunkelheit entzündet sich ein Feuer, das nie verlöscht. Du möchtest Träger eines Feuers bis in die Nächte der Menschheit sein? Wirst Du in Dir denn ein inneres Leben wachsen lassen? Es ist für den Menschen das unerhörteste Abenteuer, dass sich ein solches Leben im Inneren fortwährend ausweitet, ein Leben, das weder Anfang noch Ende kennt.“

Wer wäre nicht gerne derart belebt, wer nicht gerne so durchleuchtet? Wer wäre nicht gerne Lichtgeber für die Menschheit, da, wo das Dunkel am tiefsten wird?

Den Brüdern von Taizé passierte es, Licht zu werden, Stadt auf dem Berg. Immer wieder musste in den letzten Jahrzehnten die Kirche von Taizé erweitert werden, um Hunderttausende von Jugendlichen aufzunehmen, die jedes Jahr zu diesem Ort pilgern, wo schlicht gebetet wird. Zu schweigen von den Riesenjugendtreffen unter der Flagge Taizés, die in aller Welt stattfinden.

Frère Roger fing allein an. Er hatte schon früh entschieden, Gemeinschaft bilden zu wollen. Doch zunächst ließ er sich mitten im Zweiten Weltkrieg im kleinen Dorf Taizé nahe der Demarkationslinie nieder und begann, Menschen auf der Flucht vor den deutschen Besatzern aufzunehmen, darunter viele Juden. Freunde in Lyon gaben seine Adresse an Hilfesuchende weiter. Er hatte nichts und bekochte die Flüchtlinge mit Maismehl- oder Brennnesselsuppen. Er schützte das Leben vieler Menschen. Mit dieser Form der Solidarität geriet er selber in Gefahr und rettete sich 1942 vor seiner drohenden Verhaftung nach Genf. Mit den ersten Brüdern, mit denen er sich schon dort zusammentat, kehrte er 1944 zurück nach Taizé. Während der gesamten Zeit war das Gebet Frère Rogers Selbstverständlichkeit, wenn er sie auch keinem als später den gleichgesonnenen Brüdern antrug und sogar versteckt ausführte, um seine Gäste nicht beschämen. 

Und doch: Genau um diese selbstverständliche Haltung geht es den vielen Jugendlichen, die Taizé hinterherpilgern. Hier wurde ihnen das Gebet zur glaubwürdigen, vielleicht zur glaubwürdigsten aller Lebensgrundhaltungen.

Beten als Lebensgrundhaltung.

Allmählich schlossen sich weitere junge Männer den ersten Brüdern an. An Ostern 1949 legten sie ihr endgültiges Lebensengagement ab: sie versprachen Ehelosigkeit, materielle und geistige Gütergemeinschaft und einfaches Leben.

Frère Roger und die Brüder blieben nur kurz allein. Ihr Zusammensein entfaltete bald die bereits geschilderte Macht des Strahlens. Dieses Strahlen hat Roger selber immer wieder erschrecken lassen, wann immer er darauf angesprochen wurde, so sagen Menschen, die mit ihm darüber ins Gespräch kamen.

Zurück zum heutigen Palmsonntag, hier im Norden: Wo sind unsere Lichter? Wie können wir unser Salz salzig machen, unsere inneren Lichter entzünden lassen und strahlen?

Ich meine, es klappt nur mit dem Geheimnis: Wir müssen nichts. Und Gott muss alles. Denn er muss unsere guten Werke machen. Er muss uns entzünden. Er muss uns schenken, was wir dann anschließend, möglicherweise in Hochpotenz, möglicherweise im Kleinen, weiterreichen. 

Doch was können wir immerhin, um uns überhaupt dieser Möglichkeit unserer inneren Erleuchtung gewahr zu werden, die Gott uns ja schenken will? Dringend schenken will?

Was können wir tun, damit diese Tatsache nicht an uns vorbeigeht, damit wir sehende Augen haben?:

Wir können uns immerhin auf den Berg stellen und nach Christus Ausschau halten. Wir können uns, wie es für Jesus selber ganz übliche Gebetspraxis war, „allein auf einen Berg zurückziehen“. 

Das heißt, in die Stille gehen. Bewusst nur vor Gott treten, so, wie es etliche Umkehrer taten, die uns Vorbild sind. Wir können „im stillen Kämmerlein“ vor Gott treten, wie Matthäus es fasst. Wir können und wir sollen es in der schweigenden Gemeinschaft, hier in der Kirche tun. Auch das ist ein intimer Vorgang: die Gebetsgemeinschaft, die Summe der Einzelnen vor Gott.

Jedenfalls: Genau dort in der Stille wird das innere Licht angezündet. Wir brauchen die  Stille, um Gott mit dem Streichholz herumgehen zu sehen. Lautstärke ist nicht seine Art. Gott ist nicht im Wind, nicht im Sausen, wie wir seit Elia wissen, sondern in der Stille.

In der Stille zündet Gott etwas in uns an. Was geschieht da?: eine Kettenreaktion der Erkenntnisse.

Zuerst schmilzt in uns drin etwas. Es ist die dicke Mauer, die zwischen unserem aufgebauten, um nicht zu sagen aufgebauschten Ich und unserem Schatten  steht, diesem Sack voller von uns als minderwertig betrachteter Eigenheiten, die wir von uns abzuspalten trachteten. Aber Gott wollte es anders.

Die Mauer schmilzt, wir erkennen nach Jahren und Jahrzehnten unsere Schatten - und sind erschrocken oder beschämt über unsere vergessenen Seiten. Dann macht Gott es noch heller. Im Licht sehen wir erstaunt: Dieses unser ganzes Sein, aus Licht und aus Schatten, das liebt Gott? Ganz?

Aber ja, genau das ist der Fall. Geliebt zu sein und deshalb nichts mehr zu müssen, jedoch viel zu können, das  offenbart sich uns, je mehr es still in uns wird und je heller Gott in uns leuchtet.

Erstmals fühlen wir uns nicht mehr aufgespalten in einen guten, aufgebauten Teil

und einen unartigen Teil, der verdrängt werden musste (- Welch' Anstrengung, brach er doch bis zuletzt immer und immer wieder durch, voller Hoffnung, doch noch einmal als Teil unseres Selbst anerkannt zu werden!). Sondern wir fühlen uns und sind: ganz.

Und als ganzes sind wir geliebt. Das leuchtet uns ein.

Darauf wächst uns die zweite Erkenntnis oder Fertigkeit zu: nämlich die, uns selbst zu lieben, was erst im Anschluss an das staunenswerte Erlebnis möglich wurde, dass wir doch zuvor schon von Gott geliebt waren.

Was ist die letzte Erkenntnis, das größte Leuchten aus der Stille? Es ist Leidenschaft, nichts weniger. Und wo geht die hin? Zu den anderen. Wir wollen diese Liebe weitergeben. Was wir erkannt, was wir gesehen und gehört haben, sagen wir weiter. So geliebt, wie wir uns fühlen, wollen wir andere sich geliebt wissen. Selbst- und Fremdliebe werden eins.

In Ihrem Buch „Lieben und Arbeiten“ verficht Dorothee Sölle, dass der Mensch auch in seinen Facetten der Liebesfähigkeit ganz werden muss. Agape und Eros sollen sich die Hand geben, damit es im Gesamtradius menschlicher Liebesfertigkeit keine Schattenbereiche gibt.

Den aus solcher Ganzheit resultierenden Vorgang beschreibt sie als Politisierung des Menschen. Der Mensch, der sich erlauben kann, ganz zu lieben, der kann nicht mehr die Ungerechtigkeit der Welt aushalten. Der wird solidarisch, nicht nur mit dem Geliebten, sondern mit allen.

Gemeinschaftsbildung ist ein solcher Akt der Solidarität.  Den Brüdern von Taizé ist es um diese Solidarität zu tun. Frère Roger sagt: „Die Liebe zu den Armen wächst nur im Gebet.“

So dürfte es sich mit der Liebe überhaupt verhalten. Wenn aber die arme menschliche Seele ihr kleines Liebesvermögen Gott in der Stille hinhält, dann zündet er. Wenn sich Gottes Energie zu menschlicher dazu addiert, dann sind die Auswirkungen so groß, die Werke so gut -  wie es ihm gefällt! Es kann sein, dass ein alter verlassener Hof (Taize) leuchtet wie eine Megacity mit 20 Millionen Einwohnern. Oder mein Licht und Ihres, liebe Gemeinde, leuchtet so hell wie eine Kerze: das ist genug.

Und was die guten Werke anbelangt, die wir laut Predigttext zeigen sollen: Sie sind nichts anderes als dieses Licht, denn wir Menschen haben keine anderen guten Werke als die besten, die Menschen nur haben können, nämlich den Schatz, den Gott selber in uns legt.

Wann werden wir in die Stille gehen? Gibt es für uns konkrete Wege, die Stille aufzusuchen? Welche könnten das sein? Möchten wir denn Lichter für die Menschen in der tiefen Dunkelheit der Nacht werden? Gott  kann sich für uns nichts Schöneres vorstellen. Er lässt uns durch Jesus ausrichten: Geht nach innen, in die Stille, und kommt erleuchtet hervor und stellt Euer Licht dann weit aus!

 

Liebe Gemeinde!

Im Eifer des Gefechts, mich im Predigen zu versuchen, merkte ich erst spät, dass die Predigtreihe gar nicht so viel mit der Passionszeit zu tun hat. Obwohl: Es steht ja derjenige im Mittelpunkt unserer Reihe, um den wir Karfreitag trauern und der uns früh am Ostermorgen befreit und glücklich macht.

Heute ist Palmsonntag. Die Menge empfängt Jesus vor den Toren Jerusalems und begegnet ihm als dem ungekrönten Herrscher. Sein edles Ross ist ein Esel. Der rote Teppich ist spontan ausgelegt und besteht aus zu Boden gelegten Kleidungsstücken und von den Bäumen am Straßenrand abgeschnittenen Ästen. Menschen verleihen ihrer Sehnsucht  Ausdruck, ihren Retter würdig empfangen zu wollen.

Die Frage: Wie, in welcher Form soll ich Dich empfangen? stellt sich uns Heutigen jeweils mit der Leidenschaft, mit der wir uns der Größe unseres menschgewordenen Gottes gerade bewusst sind.

Das Schweigen ist die Form der Empfängnis.Sie ist das Kleidungsstück auf dem Boden und der Palmwedel. So schließt sich der Kreis zwischen lebendiger Bergpredigt und Passion und Wiedersehen. 

Amen.

 

Im Anschluss: Kirchengesangsbuchlied 11, Strophen 1, 2 und 7: Wie soll ich Dich empfangen?

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