Matthäus 6, 13 - 6. Bitte | Vater Unser Reihe

16.03.2008 | 22:20

Klaus-Georg Poehls

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

Jesus schweigt, liebe Gemeinde, als er unter dem Jubel der Menge und ihrem Palmengewedel in die Stadt Jerusalem einzieht.

Er lässt nur geschehen, reitet auf einem jungen Esel, noch kleiner als die Reittiere gewöhnlicher Leute, durch die jubelnde Menge.

Einsamer nie, als unter Menschen, die nicht dich sehen, sondern ihr Bild von dir, und deren hochgesteckte Erwartungen du nicht erfüllen kannst und schon bald enttäuschen wirst.

Es ist für mich eine bedrückende Szene; ich stelle mir vor der Ton sei abgeschaltet, nur die Bilder der Jubelnden zu sehen, aber nichts zu hören. Was Jesus bewegt haben mag bei dieser Begeisterung, bleibt immer im Bereich von Mutmaßungen. Aber Jubel und Begeisterung lassen nicht unberührt, sie haben Verführerisches. War da Versuchung?

Ich stelle mir vor, Jesus habe gebetet, und ich stelle mir vor, es sei das Vaterunser gewesen. Sicher nicht in der kirchlichen Form, wie wir sei kennen, aber wohl sicher mit der Bitte, nicht in Versuchung geführt zu werden, und vielleicht auch mit der nachfolgenden Bitte um Erlösung von dem Bösen.

"Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen."

Es darf nicht verwundern, dass auch bei der Frage der Versuchung die Bibel als eine Sammlung unterschiedlicher Glaubenszeugnisse verschiedener Meinung ist. Dezidiert heißt es im Jakobusbrief: "Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen und er selbst versucht niemand. Sondern ein jeder, der versucht wird, wird von seinen eigenen Begierden gereizt und gelockt"

Ausdrücklich dagegen im Vaterunser die Bitte an Gott, seine Menschen doch nicht in Versuchung zu führen.

Wenn wir diesen Streit heute nicht ausfechten wollen, dann lässt sich vielleicht festhalten und positiv formulieren: Die sechste Bitte des Vaterunsers zielt auf Stärkung und Klarheit in Situationen, die als Versuchung empfunden werden. Und dies sicher nicht in einem banalen Sinne a la "die zarteste Versuchung seit es Schokolade gibt".

Nein, wer so betet, der sieht sich vor seinem Gott als zerbrechliches, verführbares Geschöpf, schnell geneigt, sich selbst oder andere zum Gott zu machen, schnell geneigt auch, Gott als einen verborgenen Gott, als deus absconditus zu sehen, der Menschen verführt, auf Abwege bringt, ja ihnen Böses will und antut. Es geht in dieser Bitte also um eine radikale Infragestellung des Glaubens und damit um eine existentielle Bedrohung.

In dieser Bitte flieht der Beter vom deus absconditus zum deus revelatus, zum Vater Jesu Christi, und bittet ihn, sich als solcher liebender Vater zu erweisen. Als Gott, der nicht versucht, der Menschen nicht Spielbälle seiner Willkür betrachtet, sondern als seine geliebten Töchter und Söhne.

Und die fühlen sich oft genug bedroht. Denn da gibt es eine feindliche Kraft, die einen Menschen und eine Gemeinde, ja eine ganze Kirche, gefangen nehmen kann. Unsere Kirchengeschichte ist voll davon.

Die siebte Bitte des Vaterunsers nimmt die negativ formulierte sechste Bitte positiv auf und legt sie aus. Wieder sind wir also mit dieser Bitte im Bereich des Existentiellen. Ein böses Foul hat hier nichts zu suchen, aber der böse Onkel schon.

Was ist das Böse und wie unterscheidet es sich vom Übel, von dem einstmals im Vaterunser die Rede war?

Die Herkunft der beiden Wörter schon gibt einen Hinweis: "Übel" scheint sich zurückführen zu lassen auf die Wurzel des Wortes "über". Übel ist demnach, was über das Maß hinausgeht, was mehr als gut oder mehr als erträglich ist.

"Böse" ist in seiner Wortgeschichte verwandt mit "Bausch" und "pusten", bedeutete demnach ursprünglich "aufgeblasen", "geschwollen". So steckt eine Handlung und ein Wille hinter dem Bösen, während das Übel schlichtweg Maßlosigkeit kennzeichnet Das Übel gehört damit zu den kreatürlichen Bedingungen jeglichen Seins: Erdbeben, Orkane, Hochwasser, Krebs – sofern nicht selbstverschuldet - alles Übel. Die Bitte um die Erlösung von dem Übel würde daher ein Gottesbild voraussetzen, das den Lenker der Welt so denkt, dass er Naturgesetze außer Kraft setzt und die Bedingungen geschöpflichen Seins zugunsten eines einzelnen oder einer Gruppe von betroffenen Menschen ändert.

Das Böse gehört in den Bereich des Willens und Handelns; es setzt als solches ein gewisses Maß an Entscheidungsfreiheit und Verantwortung voraus. So ist es beim Menschen anzusiedeln. Daher ist die Bitte um Erlösung vom Bösen auch die konsequente Fortführung der Erkenntnis der Versuchbarkeit, die in der sechsten Bitte vorausgesetzt ist.

Welches Menschenbild steht hinter der Verortung des Bösen im Menschen? Zuerst möchte ich widersprechen, möchte den ersten Blick auf den Menschen einen guten, liebevollen sein lassen. Genauso wie es die Bibel mit ihren Schöpfungsgeschichten tut. Und so soll es auch bleiben: der Mensch ist zum Guten und Schönen begabt, ist liebens-würdig und liebe-voll. Und Menschsein kann in begeisterndem Maße glücken – das stimmt dankbar und optimistisch. Und letztlich ist es Gott, der uns so sieht.

Dabei übersieht er aber nicht die dunkle Seite. Diese dunkle Seite des Menschen wurde im klassischen theologischen Denken mit dem Begriff "Sünde" umschrieben. Sünde ist als eine Entfremdung zu verstehen und damit als Trennung. Sünde kommt von dem alten Wort "Sund" und beschreibt etwas aus der Sicht des Glaubens Natürliches.

Sie beschreibt den Menschen, wie er sich vor Gott sieht: als einen, der noch nicht da ist, wo er hingehört, immer noch hinter sich selbst zurück bleibt. Als einen, der es nicht schafft, Gott das Vertrauen entgegenzubringen, das er zu ihm haben möchte.

Als einen, der aus diesem Mangel an Vertrauen heraus an sich nimmt und an sich reißt, was er zu einem gelungenen Leben unbedingt zu brauchen meint, sich zum Zentrum seiner Welt macht und dabei sich selbst, seinen Mitmenschen und Gott gegenüber fremd wird.

Sünde ist Ausdruck von Hybris, von maßloser Selbstüberschätzung. Sie benutzt Menschen und Welt zum eigenen Lustgewinn, ohne jemals auf die Welt oder den anderen gerichtet zu sein. Sie ist lieblos und führt in Isolation, Beziehungslosigkeit.

Blicke ich zurück auf den Ursprung des Wortes "Böse" mit seiner Verwandtschaft zu Worten wie "Bausch"" und "pusten", mit seiner ursprünglichen Bedeutung von "aufgeblasen", "geschwollen", dann ist das Böse Ausdruck und Folge der Hybris, der Selbstüberschätzung.

Dem Menschen ist eine hochmütige Neigung inne, sein eigenes Dasein in den Bereich des Göttlichen zu erheben: "Wir werden sein wie Gott". Das Bewusstsein der Gottgleichheit aber, das die eigenen Grenzen, die eigene Unvollkommenheit einfach, aber nicht folgenlos überspringt, nimmt jede Verletzung, jede Schwäche oder Kränkung übel. Das damit verbundene Gewahrwerden nämlich, nicht identisch zu sein mit dem Bild, das man von sich hat, ist eine Krise: sie kann im besten Falle Beginn eines Prozesses der Befreiung des Menschen von sich selber, kann Buße sein. Paulus schreibt davon an die Römer: "Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. ... Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe?"

Sie kann aber auch zu Selbstaggression und Fremdaggression führen. Und das ist wohl bei einer Kränkung, bei dem Gewahrwerden von Schwäche, von Ausgeliefertsein der Normalfall. Viele unserer gewalttätigen Jugendlichen sind bedrängendes Beispiel dafür, aber auch viele Ehen in denen Gewalt herrscht.

Und in beiden Fällen setzt die aus der Hybris stammende Aggression eine Kettenreaktion frei: andere geraten unter die Macht des Bösen und Böses kann Eigenmächtigkeit gewinnen.

Wo bleibt die Verantwortung? Sie liegt allein schon in der Erkennbarkeit des Bösen. Das Gewissen ist der Ort, an dem das Böse als Böses erkannt und verurteilt wird. Dazu muss es geschult werden; dazu brauchen wir einen Grundkonsens "bezüglich bestehender verbindender Werte, unverrückbarer Maßstäbe und persönlicher Grundhaltungen" wie es Hans Küng in seinem Projekt Weltethos formuliert: "Grundlegend für das Weltethos sind zwei ganz elementare Prinzipien:

1. Jeder Mensch soll wahrhaft menschlich behandelt werden

2. Jeder Mensch soll anderen gegenüber im Geist der Solidarität handeln!"

Das klingt so einfach. Aber dazu muss ein Mensch erst einmal befreit werden und dazu wiederum braucht es, das glaube ich fest, das Gebet, genauer: das Gebet Jesu: "Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen".

Denn, so hat es Albert Schweizer einmal gesagt: "Gebete ändern nicht die Welt, aber Gebete ändern Menschen und Menschen ändern die Welt." Amen.

(Jak 1, 13.14). (Röm 7, 18,19.24).(H. Küng, A. Rinn-Maurer, Weltethos, christlich verstanden, Freiburg i.Br. 2005, 45).

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