Neujahr: Hes 36, 26

01.01.2017 | 11:00

Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt. Amen

Liebe Gemeinde,

letztes Jahr, also gestern, las ich den für diesen Gottesdienst vorgesehenen Psalm und wollte einen Vers gleich streichen. Wollte dieses neue Jahr nicht beginnen lassen mit Worten religiöser Gewalt: "Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge hast du eine Macht zugerichtet um deiner Feinde willen, dass du vertilgest den Feind und den Rachgierigen." So heißt es im Psalm 8. Vor lauter Feindschaft und Vernichtung und Vertilgung übersah ich jene Macht aus dem Munde junger Kinder und Säuglinge. Und ich verstand: ihre Macht soll das Lebensfeindliche und den Kreis von Rache und Gewalt zerbrechen. Und dann erinnerte ich mich an folgende Geschichte von Selma Lagerlöf, die Sie vielleicht kennen:

Er war harte Arbeit gewohnt. Ja, er fühlte sich als Sklave seiner Arbeit. Er meinte überhaupt, dass das Leben hart gegen ihn war. Dass der HERR stark gegen ihn war.

So versenkten ihn seine Gedanken immer tiefer in die Finsternis. Sie zogen ihn immer tiefer in sich selbst. Und jetzt war es geschehen, dass Trine ihr Kind zur Welt bringen sollte. Die Aussicht, dass da noch einer zu ernähren war und dass man Zeit haben musste, für ein Kind zu sorgen - Zeit, die auf Kosten der Arbeit ging -, diese Aussicht machte, dass er sich noch mehr Leid tat.

Jan Andersson saß draußen im Schuppen, und Regen tropfte auf ihn herab. Auch nebenan, im Geburtszimmer, war er unerwünscht. Er fühlte sich verachtet und übergangen. Einen Moment dachte er, wenn bei der Geburt irgendwas passiert - ja, so tief war er gesunken -, wenn etwas passieren sollte, dann würde ihm das nichts ausmachen. Aber er hatte nicht es ausgesprochen. Denn jetzt klang der Schrei von drinnen, und er konnte sich denken, was das zu bedeuten hatte. Hinein ging er. Jetzt war der Raum gefegt und geschmückt, eine weiße Tischdecke lag auf dem Kaffeetisch, und der Tisch war mit dem feinen Porzellan gedeckt. Er konnte den Gedanken nicht unterdrücken, dass es diesmal so aussah, als wäre er die wichtigste Person bei dem Ganzen. Und dort lag Trine im Bett mit einem verklärten Licht in ihren Augen.

Die alten Weiber reichen ihm das Bündel mit dem Kind, das in Windeln gewickelt ist. Unbeholfen steht er da mit dem Kind im Arm. Und siehe da, es gab einen Ruck in ihm! Sein Herz begann zu klopfen wie nie zuvor. Er war in seinem Innern nicht mehr wie steif gefroren. Wärme erfüllte ihn. Er war nicht mehr sauer und mürrisch und besorgt. Alles war gut.

Er verstand es nicht. Er bat die Hebamme, ihm den Puls zu fühlen. Etwas musste nicht in Ordnung sein. Nein, er hatte keine Schmerzen. Die Hebamme wollte ihm das Kind abnehmen - aber er wollte es nicht weggeben. "Lass mich das kleine Ding behalten", sagte er. Da begann sie zu lächeln, die Hebamme, und sagte: "Habt Ihr nie jemanden so gern gemocht, Jan, dass Ihr ihretwegen Herzklopfen hattet?" "Neee", sagte er. Aber im selben Augenblick begriff er, was sein Herz klopfen ließ. Und damit nicht genug, ihm wurde langsam klar, was ihm sein Leben lang im Wege gestanden hatte.

So spricht Gott der Herr: Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben. Ich will meinen Geist in euch geben und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten und danach tun. Und ihr sollt … mein Volk sein, und ich will euer Gott sein.

Stelle ich mir die pfingstliche Frage, was denn nun Gottes Geist sei, dann folge ich der Definition von Hans Küng, der schreibt: Der Geist Gottes, der Heilige Geist, ist "niemand anderer als... Gott selbst, sofern er der Welt und dem Menschen nahe ist, ja, innerlich wird als die ergreifende, aber nicht greifbare Macht, als die lebensschaffende, aber auch richtende Kraft, als die schenkende, aber nicht verfügbare Gnade" (H. Küng: Der Anfang aller Dinge, S. 176). Das hat Jan mit seinem Kind im Arm in Lagerlöfs Geschichte erfahren.

Gott will seinen Menschen unsagbar nahe sein, will uns ergreifen, ausrichten, uns kein übernatürliches, kein künstliches Herz, sondern ein fleischernes geben.

Gott macht uns wesentlich, macht uns neu zu seinen Geschöpfen. Steinern ist das Herz, das den Menschen und dann auch eine Gemeinschaft von Menschen definiert als die Summe aller Stärken und Schwächen, allen Verstehens, Fühlens oder Glaubens. Steinern ist ein Herz, das sich an Richtigkeiten ausrichtet. Steinern ist ein Herz, das Gott zum Gefangenen der eigenen Auserwähltseinsansprüche macht.

Da ist noch mehr, da ist die Würde, Gottes Geschöpf zu sein, Gefäß seiner Gnade, da ist die Gabe und Aufgabe, Gottes Gemeinschaft zu sein, sein Volk, von ihm her begabt, seinen Willen zu tun. Und dies immer nur so, dass wir werden, was wir von Gott her schon sind. Da gibt es ein großes Plus von Gott her, wir sind uns selbst voraus von Gott her und nur so offen für all das, was uns von Gott her an Geist erfüllen und bereichern will.

Die Heiligen Schriften des jüdischen Volkes, die auch uns heilig geworden sind, wie auch die Schriften des Neuen Testaments weisen uns, wenn es um den Geist Gottes geht, nicht auf Formeln oder Richtigkeiten, nicht auf Riten oder Strukturen, sondern auf den Willen Gottes, sprich: Gottes- und Nächstenliebe, auf Menschlichkeit, auf Freiheit, Freude, Kraft, Liebe und Besonnenheit, Güte und Sanftmut als Früchte des Geistes.

Darum zu beten und darin Gott zu loben scheint mir der erste Auftrag dieses neuen Jahres.

So viel Neues will kommen mit dem neuen Jahr. Und wie die Menschen, zu denen Ezechiel in der babylonischen Gefangenschaft spricht vor zweitausendfünfhundert Jahren, so mag es auch bei uns sein: wir fühlen uns klein, ausgeliefert, überfordert. Allein schaffen wir es nicht.

Ein neuer Präsident in den USA, eine neue Türkei, die schon im Werden Schlimmes mit sich brachte, eine neue Politik, die unter dem Modewort "postfaktisch" auf Gefühle und niedere Instinkte setzt – wir alle wissen, diese Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Und dabei haben wir noch nicht einmal auf all das geblickt, was uns persönlich erreichen mag.

2017 wird das Jahr des großen Reformationsjubiläums. Luther wird groß geschrieben. Manche meinen, dass sei ein kirchlicher Rechtschreibfehler. Ein halber ist es bestimmt. Den hätte Luther selbst sich wohl angeschrieben. Sein Diktum "Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott." lässt mich kritisch fragen, woran mein Herz denn hängt, wovon ich denn mein Denken und Fühlen und Handeln bestimmt sein lasse. Wovon lebe ich? Wofür atme ich? Was trägt mich? Wofür brenne ich? Fragen, die mit darüber entscheiden, was wird in diesem neuen Jahr – sowohl mit mir als auch mit unserer Gemeinde, unserer Gesellschaft.

So spricht Gott der Herr: Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben. Gottes Wille als Losung des Jahres 2017. "Dein Wille geschehe" beten wir.

Ayatollah Dr. Reza Ramezani, Leiter des Islamischen Zentrum Hamburg und Vorsitzender der SCHURA Hamburg, schrieb in seiner Botschaft zum Fest der Liebe und zum neuen Jahr: "Ich hoffe, dass die Menschheit im neuen Jahr mehr als alles andere von Ethik und Spiritualität profitiert, damit wir alle gemeinsam in den Genuss des göttlichen Segens kommen.
Wir müssen heute mehr zu dem Wesen der Religion, zu Vernunft, Ethik und Anstand, zurückkehren. Die Lehren der göttlichen Propheten müssen wir uns heute mehr denn zuvor rekapitulieren: Die Zehn Gebote von Moses, die Predigten von Jesus und die Lehren Mohammads, der Frieden und Segen Gottes sei mit ihnen (!), können uns als Quelle für die wichtigsten Botschaften und Lehren dienen und wie notwendig und bereichernd wäre es, wenn die Planer und Gestalter der Gesellschaft und Politik sich dieser Lehren annehmen würden."

Und wenn sie es nicht tun, dann tun wir es trotzdem. Die Stadt Hamburg muss mit dieser Gemeinde rechnen – treu und solidarisch, kritisch und wiederständig; ich hoffe, der neue Kirchengemeinderat wird dem zustimmen. Hamburg ist das einzige nördliche Bundesland, das nach Afghanistan abschiebt. Abschiebung mag inzwischen positiv klingen, nach Lösung der Flüchtlingsprobleme. Sie ist aber oft Politik des steinernen Herzens.

Zwischen den Jahren saß eine kleine afghanische Familie bei mir im Pastorat, um mit unserer Flüchtlingsberaterin Helga Rodenbeck zu sprechen. Der Vater hat gute Arbeit, die kleine Tochter geht zur Schule, spricht sehr gut Deutsch. Die Familie ist das, was wir fordern: gut integriert. Sie soll nach Afghanistan zurück. Dort war der Vater Dolmetscher für die US-Streitkräfte. Er wird seines Lebens nicht sicher sein. Sikhs und Hindus sollen ebenfall nach Afghanistan zurück, dahin, wo sie wegen ihres Glaubens verfolgt wurden. Wenn wir unsere Stimme nicht erheben für diese Menschen, werden sie weg sein – weg.

So spricht Gott der Herr: Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben. Ich will meinen Geist in euch geben und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten und danach tun.

Welch einen Gott wir nahe haben! Er gibt nicht auf. Wir verstoßen gegen seine Gebote, verletzen andere, verletzen die Schöpfung, er gibt uns nicht auf; will Neues in uns hineinlegen – auf dass wir leben können, auf dass an uns und unserem Handeln die Schönheit und Heiligkeit Gottes abzuspüren und abzulesen sind. Wir fangen an mit einem großen Zuspruch. Hoffnung wird wieder groß, verliebt sich wieder ins Gelingen und auf geht’s – in ein neues Jahr mit neuem Herz und neuem Geist. Amen.

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