Römer 12, 14-21

09.11.2008 | 22:32

Klaus-Georg Poehls

„Liebe Gemeinde!
Wer soll denn heute noch predigen? Wer soll denn heute noch Buße predigen? Ist uns nicht allen der Mund gestopft an diesem Tage? Können wir heute noch etwas anderes, als nur schweigen? Was hat nun uns und unserem Volk und unserer Kirche all das Predigen und Predigthören genützt, die ganzen Jahre und Jahrhunderte lang, als dass wir nun da angelangt sind, wo wir heute stehen, als dass wir heute haben so hereinkommen müssen, wie wir hereingekommen sind? Was hat es genützt, dass Gott unserem Volk so viel hat gelingen lassen? …
Was muten wir Gott zu, wenn wir jetzt zu ihm kommen und singen und die Bibel lesen, beten, predigen, unsere Sünden bekennen, so, als sei damit zu rechnen, dass Er noch da ist und nicht nur ein leerer Religionsbetrieb abläuft! Ekeln muss es ihn doch vor unserer Dreistigkeit und Vermessenheit. …
Das Wort Buße macht die Tür zur engen Pforte, das verachtetste und das wichtigste Wort in dieser unserer Zeit. Denn es ist eine unbußfertige Zeit und ihre Unbußfertigkeit ist das Geheimnis ihres Elends. Weil sie dies Wort nicht hören kann, darum zerbricht ihr immer mehr auch das, was zwischen den einzelnen Menschen das Nötigste ist: dass einer dem anderen sein Recht geben kann, dass jeder seinen eigenen Irrtum und seine eigene Schuld eingestehen kann, dass er die Schuld nicht beim anderen, sondern bei sich selbst sucht, gegen den anderen milde und gegen sich selbst streng ist. … Wer Gott gegenüber seine Schuld nicht mehr eingestehen kann, der kann sie bald auch den Menschen gegenüber nicht mehr eingestehen. Da beginnt dann der Wahnsinn, der Verfolgungswahn, der den anderen verteufeln muss, um sich selbst zu vergöttern. Wo die Buße aufhört, ist es auch mit der Humanität zu Ende, da muss die Gemeinschaft zerbrechen…“ (Helmut Gollwitzer Predigt am Bußtag, 16. November 1938 in Berlin-Dahlem, Lukas 3,3-14, Quelle: Zuspruch und Anspruch. Predigten. Chr. Kaiser Verlag: München, 1954, S. 36ff.)

So, liebe Gemeinde, predigte Helmut Gollwitzer am 16. November 1938, dem Buß- und Bettag, seiner Gemeinde in Berlin-Dahlem. Die Erschütterung über die Ereignisse jener Reichspogromnacht ist noch heute spürbar; die Erschütterung darüber, die Sinnhaftigkeit und den Wert von Predigt und Predigthören radikal in Frage stellen zu müssen, teilt sich heute noch mit. Und dies nicht wegen möglicher Langweiligikeit oder Langatmigkeit von Predigten, sondern wegen ihrer anscheinenden Nutzlosigkeit. Gollwitzer musste erkennen, wie wenig wirklich gehört wird, wie wenig Worte ausrichten können, wenn sie von Frieden sprechen, von Respekt und Toleranz, wenn sie von Gott kommen. Und wie viel mächtiger die Worte von Hass und Gewalt, wie viel begehrter Schäh- und Schimpfworte doch sind, gerade wenn sie von vermeintlich göttlichen oder Übermenschen kommen.

Es fällt mir heute noch schwer, mich dem Sog dieser radikalen Erschütterung zu entziehen. Stehe ich hier umsonst? Läuft hier und jetzt ein leerer Religionsbetrieb ab?
Kann Paulus mit seinen Worten noch bei uns, bei mir ankommen?  

„Segnet, die euch verfolgen; segnet, und flucht nicht. Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden. Seid eines Sinnes untereinander. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den geringen. Haltet euch nicht selbst für klug. Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5.Mose 32,35): »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.« Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln« (Sprüche 25,21-22). Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“

Nehmen Sie Paulus ab, was er da glaubt? Ist das Böse überwindbar durch das radikal andere? Soll auf Gewalt, die aus Hass entspringt, aus Frustration oder krimineller, menschenverachtender Energie, nicht sich wehrende Gegengewalt antworten? Soll auf Schmähung und Entwürdigung nicht Verfluchung erfolgen?
Bei diesen Fragen geht es nicht um rückblickende Betrachtungen. Was damals hätte geschehen müssen, was jüdische Gemeinden hätten machen müssen, das sind Fragen, die mir nicht anstehen. Nachträglich ist immer alles leicht, nachträglich lässt sich gut schwadronieren. Aber damals hätten die Opfer Schutz gebraucht, damals hätte eine Antwort auf die Gewalt erfolgen müssen. Diese Antwort blieb fast vollständig aus – auch von christlicher Seite.

Das Böse lässt sich vom Guten überwinden? Glaube ich diesen Satz? Und will ich diesen Satz glauben? Will ich es mir antun, mich daraufhin selbst zu überprüfen, mich daraufhin in Verantwortung stellen zu lassen?
„Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.“

Kann ich vielleicht prinzipiell Paulus zustimmen und über den Satz „soviel an euch liegt“ eine kleine Fluchttür aufstoßen? Denn meine Kräfte sind ja begrenzt, und manches kann man wirklich nicht von mir verlangen und manchmal muss man doch zurückschlagen. Das ist wohl so. Aber darf ich von vornherein so reden? Muss nicht am Anfang der Wille stehen, meine Kräfte zum Guten zu stärken und davor: meinen Willen in den Willen Gottes zu zwingen?
„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott“ (Micha 6, 8).
Noch einmal: sind das unsere, sind das meine Antworten auf das Böse – Gottes Wort halten, Liebe üben, demütig vor Gott sein?

Ja, das Böse lässt sich mit Gutem überwinden. Nehmen Sie diesen Satz, schmecken sie ihm nach, merken sie auf das, was sich regt in Ihnen. Und stellen Sie Ihr ganz eigenes Ausrufezeichen oder Fragezeichen dahinter.

Wenn wir nun an die historische Dimension des heutigen Tages und an die Herausforderung der Friedenswochen denken, dann sehe ich folgende Aufgaben vor uns als Gemeinde.
Vorweg ein Zitat von Helmut Schmidt, der in seiner Weltethosrede in Tübingen sagte: „Es ist eine Tragödie, dass auf allen Seiten die Rabbiner, die Priester, Pastoren und Bischöfe, die Mullahs und Ayatollahs uns Laien jede Kenntnis der anderen Religionen weitgehend vorenthalten haben. Sie haben uns im Gegenteil häufig gelehrt, über die anderen Religionen ablehnend oder sogar abfällig zu denken. Wer aber Frieden zwischen den Religionen will, der sollte religiöse Toleranz und Respekt predigen. Respekt gegenüber dem Anderen setzt ein Minimum an Kenntnis des Anderen voraus“ (H. Schmidt, Weltethos-Rede in Tübingen, 08.05.07, zitiert in K.-J. Kuschel, Juden Christen Muslime, 24).

Ein Minimum an Kenntnis des Anderen ist gefordert.
Absagen müssen wir der oft noch unter uns verbreiteten Lehre, Gott, wie er uns im Alten Testament begegnet, sei ein Gott der Rache und Vergeltung, der Gott der Juden. Erst im Neuen Testament begegne uns durch Jesus Christus der barmherzige Gott der Liebe.
Diese Lehre ist falsch und Böses ist in ihr angelegt. Vielmehr gilt es zu bekennen: Der Gott der jüdischen und der christlichen Bibel und der Gott des Koran ist ein Gott. Der Gott Israels ist kein anderer Gott als der Vater Jesu Christi, ist kein anderer Gott als Allah. Er gerecht und barmherzig.
Wir trennen nicht zwischen der Würde Andersgläubiger und ihrem gleichwohl defizitären Glauben. Vielmehr erkennen wir in der Vielfalt der Religionen den Willen Gottes, sein Ja zu ihrem Dasein, sein Ja zu ihrer eigenen Würde. Daher bemühen wir uns um Kenntnis der Anderen, wollen von ihrem Reichtum lernen, wollen uns mit ihnen freuen und mit ihnen weinen.

Mein Traum ist, dass wir gemeinsam, gemeinsam als Gemeinde und gemeinsam mit den anderen Religionen, dem zustimmen, was Dietrich Bonhoeffer schrieb:

„Die Antwort des Gerechten auf die Leiden, die ihm die Welt zufügt, heißt: segnen. Das war die Antwort Gottes auf die Welt, die Christus ans Kreuz schlug. Gott vergilt nicht gleiches mit Gleichem, und so soll es auch der Gerechte nicht tun. Nicht verurteilen, nicht schelten, sondern segnen. Die Welt hätte keine Hoffnung, wenn dies nicht wäre. Vom Segen Gottes und der Gerechten lebt die Welt und hat sie eine Zukunft. Segnen, das heißt, die Hand auf etwas legen und sagen: Du gehörst trotz allem zu Gott. So tun wir es mit der Welt. Wir verlassen sie nicht, wir verwerfen, verachten, verdammen sie nicht, sondern wir rufen sie zu Gott“(Dietrich Bonhoeffer (O. Dudzus (Hg.), Bonhoeffer, Brevier, ?).

Und der Friede Gottes, welcher tiefer geht als all unser Denken und Verstehen, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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