Der Chor der Kantorei Blankenese
(Betrachtungen eines dienstjüngeren Mitglieds)


Ein Mensch, was sag´ ich - sechzig, siebzig,
die treffen sich, denn das ergibt sich,
am Montag Abend, acht bis zehn,
um sich zu hören und zu sehn.

Man kreist die ersten paar Minuten,
läßt Geist und Seele schön durchfluten,
horcht in sich rein vom Kopf zur Erde,
bis dort der Fuß zum Saugnapf werde.

Steht man dann fest, wird konzentriert
der Arm ein Mal im Kreis geführt;
man ist erleichtert, fühlt sich frei,
traf man am Hintermann doch knapp vorbei.

Doch weiter nun, nach sportlich Trimmen
geht´s dran, daß auch die Stimmen stimmen.
So steigen wir, die ach so Braven,
im Halbtonschritt durch die Oktaven.

Wir lernen beim Erwärmen schon:
am Anfang sei der reine Ton,
der - nicht industriell genormt -
erst klingt, wenn individuell geformt,

der einen Körper hat und eine Seele,
und dem auch nicht das Herzblut fehle.
Gesang wird so zum Aufbereiten
akustischer Persönlichkeiten.

Wir singen ni-e, no-e, ja ja ja
und spüren plötzlich: er ist da ! -
der Ton mit Tiefe und viel Grund,
mit Breite, Höhe und ganz rund,

zwar flüchtig, doch nachhaltig schön,
und dicht - fast könnte man ihn sehn.
Das ist der Punkt nach diesen Mühen,
jetzt soll´n die Partituren glühen:

Die Noten raus aus ihren Hüllen !
Es gilt, das Repertoire zu füllen -
mit Mozart, Brahms und Mendelssohn,
mal laut und mal mit wenig Phon.

Wir feilen ständig - hundertfach -
an Werken unsres Meisters Bach;
wir hängen eifrig wie die Kletten
an den berühmt-berüchtigten Motetten

und drehn uns schier im Kreis herum
beim Weihnachtsoratorium.
Wir kriegen Jester Hairston klein,
und üben Johann Hermann Schein,

ersingen uns mit Hochgenuß
Kaminsky und Praetorius.
Und schließlich zieht in seinen Bann
uns Georg Philipp Telemann.

Ich denk´, es macht in diesem Chor
sich keiner unter uns was vor.
Die Proben zeigen immer wieder,
am Anfang klingen schief die Lieder.

Es trennen Welten Soll und Ist;
was eingangs tönt, ist oft erst Mist:
Fast alles klingt da unerhört,
der Ton, die Noten, auch die Stimme stört.

Ein Neuling ist in dieser Lage
total verschreckt - ganz ohne Frage.
Er schaut sich um und kann´s nicht fassen:
„die bleiben alle ganz gelassen !“

Er sieht auch nicht den Kantor toben,
ihn weder tadeln, noch auch loben;
der vielmehr knapp und ohne Rage
erklärt die schwierige Passage;

Denn er weiß gut: „Erst was begriffen,
ist leicht gesungen und gepfiffen“.
So wird der Neue hoffnungsvoll,
lenkt jetzt den Blick vom Ist zum Soll;

wie auch die andern schon zuvor.
Man spitzt den Mund, stellt auf das Ohr;
der Einsatz kommt, und ganz verwundert
sieht man sich flugs von Null auf Hundert.

Der Ehrgeiz wächst, die Sache muß
jetzt einmal durch bis ganz zum Schluß.
Der zwölfte Gang ist eingelegt;
das Tempo stimmt, das alle trägt;

da gibt´s kein Halten mehr und dann
ist allen klar: „wir kommen an !“
Wie herrlich wir durch Phrasen rasen,
die wir doch erst in Phasen lasen.

Wir gehn durch Kurven mit Elan
auf der Kantatenautobahn,
und nehmen jedes Hindernis,
ob dur, ob moll, ob c, ob fis;

jetzt frisch ein forte, ach wie schade,
wir ziehn schon in die Zielgerade,
und etwas atemlos gehn wir von Bord
mit einem eindrucksvollen Schlußakkord.

Der eine schaut den andern an,
erstaunt, wie man sich steigern kann.
Und auch der Kantor weiß dies hoch zu schätzen,
spricht lobend : “Ja, Sie könn´n sich setzen“.

So weit, so gut, dies ist nur Probe;
der Ernst kommt erst in roter Robe... -
hier halt ich ein; mit Hochgesängen
würd´ ich jetzt jeden Rahmen sprengen.

Doch wen hierzu die Neugier plagt
wer nach Details zum Ernstfall fragt,
dem sagen wir: „komm, fahr nach Rom,
wir singen auch im Petersdom“.

Ich möchte hier noch etwas hören
von den Personen, den Akteuren,
zum Beispiel von den Damen, die
mit Fleiß und toller Energie

und die mit ihren Stimmlichkeiten
den Chor auf seinem Weg begleiten, -
    die Damen also
muß man gar nicht erst in Stimmung bringen,
die sind´s ja schon, und wie sie singen,
mit Engelszungen, götterhaft
Sopran mit heller, Alt mit dunkler Kraft.

Sie singen lupenrein und himmlisch sauber,
verleih´n dem Klang besondren Zauber;
für jeden, der sie hört und kennt,
wird jede Probe zum Event.

Die Damen sind´s, wie oft im Leben,
die liebenswert den Ton angeben
und quasi wie als erste Geigen
den anderen die Wege zeigen.

Sie haben meist zuerst die Themen,
die dann die Herren übernehmen.
So zieh´n die Damen Mann für Mann
den Rest des Chores steil hinan.

Nur keinen Neid jetzt, meine Herrn !
Ich denk´, man hat uns auch ganz gern.
Die Damen sind, das macht uns Mut,
zwar himmlisch, wir dafür sind höllisch gut.

Ziehn sie uns wirklich, könnt´ man fragen,
es könnt´ auch sein, daß wir sie tragen.
Tenor und Bass, wie man sie kennt,
sind ganz gewiß ein Fundament,

auf dem man prächtig trällern kann -
wenn wir nicht wär´n, was wäre dann ?
Wer könnt´ wie wir in freiem Fluge
die Lücken füllen einer Fuge,
so genial improvisieren
und ungeahnte Töne produzieren ?
Wer träf´ denn wie Tenor und Bass
grad zwischen c und h das cas ?

Wer mühte sich wie wir beim Singen,
daß auch mal Haltungsnoten klingen ?
Dies alles müßte hier auf Erden
doch auch einmal gewürdigt werden.

Ob Herrn, ob Damen, zwischen beiden
woll´n wir wie Salomon entscheiden:
Die Besten sind in diesem Chor -
die Damen  (- selbstverständlich -)
           - vereint mit Bass
             und dem Tenor.

Ich möchte mich zum Kantor wenden,
denn vorher darf das Lied nicht enden.
Ich denk´, daß ich´s für alle darf,
ein Dankeschön an Sie, Herr Scharff:

wie montags Sie mit uns beim Werken
die Schwächen schwächen und die Stärken stärken;
der bei uns allen profihaft
den Ehrgeiz weckt und Sangeskraft;
der fest im Blick das nächste Fest,
dem Mittelmaß kaum Chancen läßt;
der hierbei auch Momente kennt,
wo er sich wünscht´ vom Firmament

ganz anderes zur Erde nieder
als anfangs schräg gesungne Lieder;
der cool bleibt, und vor allen Dingen
läßt er nichts unbeherrscht nach außen dringen.
Da fragt man sich schon: „Bitte sehr:
wo nimmt der Mensch die Nerven her ?“
Der nicht nur vor uns dirigiert,
vielmehr auch viel organisiert,

der uns nicht nur mit Kunst beglückt,
nein, Künstler auch ins Haus uns schickt;
man denk Armeniens Serenade,
wenn die nicht wiederkäme, wäre schade.

Ich schließe jetzt und lenk den Blick
einmal nach vorn, zugleich zurück:
Ein Mensch, was sag´ ich - sechzig, siebzig,
die treffen sich, denn das ergibt sich
bestimmt nicht nur von ungefähr,
wir schuften doch bisweilen schwer !

Wozu der Einsatz, was der Lohn ?
Gewiß nicht bloß der reine Ton !
Das Ziel ist´s, das Gemeinschaft schafft,
das Energien weckt und soviel Kraft.

Doch Ziele jetzt zu definieren,
würd´ sicherlich zu weit hier führen:
allein, sich gegenseitig einzubringen,
sich in die Menschenherzen reinzusingen,

mit jungen Leuten und den Lieben,
die schon ein wenig länger jung geblieben,
ein Stück mit Eifer zu studieren
und stolz und kraftvoll aufzuführen;

den Kirchgang mit Gesang zu speisen,
ob hier zu Hause, ob auf Reisen,...
daß dies und so viel mehr gelingen kann,
wünsch´ ich dem Chor ganz herzlich -

ich bin dabei -
    Ihr Gerhard Zimmermann.

 

Hamburg-Blankenese, 15. August 1997