Weltethos Arbeitsgruppe
In einer Welt, die immer enger zusammenrückt, finden wir uns in einer wachsenden gegenseitigen Abhängigkeit. In einer solchen Welt ist die Suche nach gemeinsamen Werten etwas Natürliches, sie ist Ausdruck der Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Frieden. Zudem machen die aktuellen Ereignisse einen Dialog geradezu dringlich. Dieses bildet den Mittelpunkt des Projektes Weltethos, das über die Grenzen der Religionen hinweg das uns Verbindende sucht. Auch in unserer Gemeinde gibt es Bemühungen dazu. Sie sollen intensiviert werden im Rahme der "Arbeitsgruppe" Weltethos.
Kontakt: Pastor Klaus-Georg Poehls, 86 62 50 - 25 Mail
Themen
Überlegungen zu dem Dokument „DAS CHRISTLICHE ZEUGNIS IN EINER MULTIRELIGIÖSEN WELT“ vom Ökumenischen Rat der Kirchen, des Päpstlichen Rates für interreligiösen Dialog und der Weltweiten Evangelischen Allianz von 2011
VON GUDRUN GERSDORF
Nur wenigen Christen und Christinnen bekannt, mehren sich die Anzeichen, dass die EKD, aber schon davor im Jahr 2011 ein Gremium aus dem Verbund aller christlichen Kirchen den Umgang im interreligiösen Dialog reflektierte – in dem aufgeführten Dokument sind auch die katholische Kirche und evangelikale Verbände im Konsens eingebunden, was beachtlich erscheint.
Es herrscht offensichtlich allgemeine Sorge, dass die Bereitschaft zu einem interreligiösen Dialog an Grenzen stößt ,die nicht nur mit gutem Willen überwindbar scheinen. Dass dieser Dialog angesichts der politischen Ereignisse, insbesondere der letzten Jahre in Europa, unausweichlich notwendig ist, wenn ein friedliches Zusammenleben und die Bereitschaft zur gemeinschaftlich getragenen Lösung anstehender Probleme, bisher unbekannten Ausmaßes, gelingen soll, bedarf keiner weiteren Begründung.
Jedoch mag ein Vergleich die eigentliche Schwierigkeit beleuchten:
Wenn zwei Menschen einander gestehen, einander zu lieben, scheinen sie über allen Wolken zu schweben; jedes Problem scheint mit Leichtigkeit lösbar, - ja, es gibt keine Probleme! Jedoch der Alltag mit seinem Dissens, wie man die bisher unerkannten Eigenarten ,weniger erfreulicher Natur, des Partners ertragen soll, lässt Desillusionierung einkehren, die nicht selten in Streit oder Trennung endet.
Die Idee des Weltethos, von Hans Küng zu Anfang der 90er Jahre formuliert, schien die unfehlbare Lösung für einen gelingenden interreligiösen Dialog zu bieten, und unverändert ist ihm zuzustimmen, dass es keinen Frieden in der Welt geben kann ohne einen Frieden unter den Religionen.
Probleme der Verständigung liegen nicht in dem mangelnden guten Willen, sondern darin, dass neben Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus - und nicht zuletzt Interkulturalismus den bislang unerkannten Eigenarten des geliebten Partners zu gleichen scheinen.
Ein Dialog scheitert, wenn ein Partner exklusiv nur seiner Religion heilshafte Transzendenzerkenntnis zuschreibt, sie für die allein wahre Religion hält und auch diese Anerkennung von Anderen einfordert.
Er scheitert ebenfalls, wenn ein Partner zwar anerkennt, dass mehrere Religionen heilshafte Erkenntnis ermitteln, jedoch die eigene für die Beste mit qualitativer Überlegenheit geltend gemacht wird.
Nicht weniger problematisch ist die pluralistische Position: Wenn im Dialog Religionen als gleichrangig betrachtet werden, die verschiedenen Religionen unterschiedliche menschliche und relative Antworten auf den Ruf des Absoluten geben.
Was bedeutet diese Position für einen Christen, der im interreligiösen Dialog seine Position vertritt? Selbstaufgabe? Gleichgültigkeit gegenüber eindeutigen Unterschieden?
In dem oben angeführten Dokument heißt es: „Für Christen/innen ist es ein Vorrecht und eine Freude, Rechenschaft über die Hoffnung abzulegen, die in ihnen ist, und dies mit Sanftmut und Respekt zu tun.“
Sie sollen besonders in interreligiösen Begegnungen
„Jesus Christus nachahmen, in allen Lebensbereichen und besonders in ihrem Zeugnis dem Vorbild und der Lehre Jesu Christi folgen, seine Liebe weitergeben.....
Ein sehr hoher Anspruch! Es gehört eine fundierte Kenntnis der eigenen wie auch der anderen Religionen dazu, als Christ sich einem Partner im interreligiösen Dialog verständlich machen zu können. Paulus könnte ein Vorbild sein, der über die Gabe verfügte, „in ihrer Sprache“ von der Lehre Jesu zu sprechen.
Sind wir wirklich auf diese Aufgabe vorbereitet?
Noch wichtiger scheint die Empfehlung , durch das eigene Vorbild, „Jesus Christus nachahmen“, christliche Lehre zu verdeutlichen, denn Geduld und Respekt schließen aus, Unduldsamkeit oder intellektuelle Überlegenheit auszuspielen.
Zudem muss jeder Dialogpartner respektieren, dass jeder Mensch in seinem Glauben nicht verhandelbare Werte kennt, die keiner Überzeugung zugänglich sind, und auch der Christ kennt solche. Diese darf er sehr wohl für sich festhalten, denn „Zeugnis“ heißt auch Verteidigung; und er muss es aushalten, dass auch sein Partner im interreligiösen Dialog solche kennt.
Nicht zuletzt jedoch erscheint es wichtig, den Interkulturalismus als die entscheidende Hürde eines gelingenden Dialogs wahrzunehmen.
Der Gedanke eines Dialogs, hervorgegangen aus der europäischen philosophischen Tradition, beruht auf dem Konsens, dass Gesprächspartner sich der „Ratio“ bedienen: Beide hören auf die vernünftigen Argumente des Anderen, die besseren Argumente überzeugen.
Dem Lebenserfahrenen ist bekannt, dass die Vernunft auch unter rational geschulten Menschen oft genug ihre Herrschaft verliert, wenn Gier, Zorn, Machtstreben das Diktat übernehmen.
Darüber hinaus jedoch fehlt oft die Einsicht, dass Menschen nicht überall auf der Welt der Ratio die Vorzug geben, sondern ihr Verhalten der Tradition oder einem vorgeblich „gottgewollten“ Kodex unterwerfen, mögen diese auch noch so unpassende Anweisungen in veränderter Zeit und Umwelt vorgeben. Darum ist es dem interreligiösen Dialog hinderlich, macht ihn sogar unmöglich, wenn derart gesteuerte Menschen sich vernünftigen Argumenten verschließen und ihr Verhalten als „gottgewollt“ reklamieren und sogar Anderen als zwingende Norm aufdrängen.
Interreligiöser Dialog - eine aussichtslose Sache?
Keineswegs, jedoch ein dorniger Weg. Auf alle Fälle ist es unerlässlich, dass unermüdlich daran gearbeitet wird, die Dialogpartner durch vertiefte Kenntnis immer besser zu verstehen. Ohne das feste Vertrauen, dass auch in anderen Religionen Menschen daran arbeiten, brüderlich einsichtig die Begegnung suchen, dass gerade Christen diesen Weg trotz unvermeidbarer Misserfolge in ihrer Bitte „Dein Reich komme“ nicht allein gehen, wird dieser Weg nicht zu beschreiten sein. Naive Hoffnung auf rasche Erfolge wird im Weltethos nicht erfüllt werden.
Fragen an Karl-Josef Kuschel :“ Juden Christen Muslime, Herkunft und Zukunft“ (Patmos 2008)
Wer sich durch fast 700 Seiten dieses eindrucksvollen Werks hindurcharbeitet, schreitet an kundiger Hand den gesamten Horizont der abrahamischen Religionen ab; hergeleitet von den prägenden Bildern und Geschichten, welche in ihren Schriften ein Schlüsselrolle einnehmen: gipfelnd in der gemeinsamen Herkunft aller 3 Religionen von Abraham, Vorbild unbedingten Vertrauens auf Gott. Selbst ein kundiger Bibelleser wird aufmerksam auf ganz neue Aspekte der Auslegung vertrauter Texte; ganz zu schweigen von ihren Parallelen und auch Unterschieden zu Koran und hebräischer Bibel.
Kuschel führt zur Zukunft aller, nicht nur der abrahamischen Religionen, den Begriff der Vernetzung ein: Aus tiefer Einsicht, gewonnen aus intensivem Textstudium, Aufgabe des exklusiven Wahrheitsanspruchs und der Einstufung anderer Religionen als defizitär; hin zu einem fruchtbaren Gespräch , das den andersartigen Zugang nicht nur respektiert, sondern als bereichernd begreift. Vernetzung wie in der Computerwelt, welche nur einen Sinn macht, wenn Absender und Adressaten im Dialog stehen.
Welch ein schönes Ideal! Kuschel zeigt, dass bescheidene Ansätze in Schriften und Entschließungen hier und da Theologen gemacht haben.
Doch wie sieht unsere Realität aus? Hier sind einige Anfragen angebracht, die der Beantwortung harren:
Da der Dialog voraussetzt, dass jeder zumindest in seiner eigenen Religion sein Bekenntnis nach außen verdeutlichen kann, denn Dialog meint nicht Gleichmacherei: Wo nehmen sich christliche Gemeinden und sonstige Institutionen dieser Frage an - angesichts rudimentärer Kenntnis der Mehrheit? Steht nicht in der evangelischen Kirche gegenwärtig mehr das soziale Engagement im Sinne der Bewahrung von Schöpfung im Vordergrund ? Gibt es nicht zudem zu denken, dass in der restaurierten Hamburger Hauptkirche St. Katharinen das Kruzifix nicht mehr über dem Altar platziert ist? Und hat kürzlich die Synode der Kirche Nordelbiens keine wichtigere Entschließung zu verkünden, als dass zukünftig auf kirchlichen Großveranstaltungen kein Fastfood mehr angeboten werden soll?
Dialog meint auch: Alle Gesprächspartner müssen bereit sein, ihren Exklusivitätsanspruch aufzugeben, ohne auf Dominanz zu zielen.
Wie gehen wir mit den Fragen um, welche sich unüberhörbar auch in Deutschland he stellen: Wo wird einmal in der Öffentlichkeit, auch in der evangelischen Kirche, ihren Gemeinden diskutiert, wie mit der Forderung nach Legalisierung muslimischer Feiertage, insbesondere dem Ramadan, zu verfahren wäre? Der Forderung nach Geltung der Scharia in Europa? Wie könnte die Basis für einen Frieden unter den Beteiligten aussehen, ohne den – schon Küng hat dieses betont – auch kein Weltfrieden möglich ist?
Es wird Zeit, diesen Fragen sich zu stellen.
Gudrun Gersdorf
Heute herrscht innerhalb der Kirchen, auch unter Menschen anderer Religionen oder weltanschaulicher Orientierungen nur ein Konsens: Wie der Mensch seine Lebensführung auszurichten habe, ist nicht mehr an den traditionell vorgegebenen Normen ohne weiteres auszurichten.
Wie einfach hatte es noch Martin Luther, der den christlichen Glauben unhinterfragt in einem Großen Katechismus an den 10 Geboten kommentierte; er lebte in einem christlichen Europa und musste sich nicht der globalen Konfrontation von Menschen anderen Glaubens oder Unglaubens stellen!
Der heute zunehmend gesuchte interreligiöse Dialog steht vor dem Problem, welche Position Christen einnehmen können und zugleich Brücken bauen zu Anderen, in einem Diskurs „auf gleicher Augenhöhe“, weder missionierend noch unter Aufgabe nicht verhandelbarer Glaubensmitte.
Der Theologe Trutz Rendtorff bietet dazu eine wertvolle Anregung: Die Ethik der Folgen.
Ihm ist - wie vor ihm schon den Philosophen und Theologen seit der Aufklärung - bewusst, dass festgeschriebene Normen in unserer wandelbaren und unübersichtlichen Lebenswirklichkeit wenig Orientierung bieten. Die Mitte christlichen Glaubens beschreibt er als die Berufung des Menschen, in Freiheit das eigene Leben als Gabe des Schöpfers zu akzeptieren und zugleich als Auftrag zu verstehen, diese Gabe an Andere in Liebe weiterzugeben; Liebe von ihm bezeichnet als „Steigerung der Freiheit“. Doch wie? Darin besteht in der konkreten Situation der Familie, der Gesellschaft, der Welt das Problem!
Richtschnur ist: Welche Folgen hat mein Handeln oder Unterlassen in meiner Lebensführung für Andere; es geht nicht um Gesinnungsethik, sondern um VERANTWORTUNGS-Ethik, Verantwortung vor dem Schöpfer, und diese ist untrennbar verbunden mit der Verantwortung für Andere. Nicht die eigene Vollkommenheit im Gutsein ist das Ziel, sondern die Umsetzung jenes Gutseins, wie es Christus in der Metapher „Reich Gottes“ beschrieben hat, sei es noch so unvollkommen realisiert, betrachtet unter dem Gesichtspunkt des Erfolgs. Nicht der Erfolg ermutigt, sondern der Glaube in das eschatologische Wirken Gottes, welches noch so kümmerliches menschliches Wirken zu einem guten Ende führt. Recht verstandene Freiheit im Glauben bewahrt ohnehin vor der Überheblichkeit, einzig richtige und ewig gültige Lösungen zu finden; Rendtorff spricht davon, dass das Christentum nicht etwa die Lösung aller Weltprobleme unter dem Liebesgebot bieten könne, wohl aber eine Sensibilität für diese.
Wer Gott als die Fülle von Leben versteht, begreift auch jede Religion nur als einen Teilaspekt der Beziehung auf diese Fülle ; die Reflexion im Dialog aller Religionen und Weltanschauungen könnte ein gemeinsames Band in dieser Ethik der Folgen finden, als eine neue Auslegung der Goldenen Regel .
Zur eigenen Literatur empfohlen: Trutz Rendtorff: „Ethik – Grundelemente einer ethischen Theologie“ Band 1
GUDRUN GERSDORF
(Zitat von Michel Wolffson, zu finden in: )
Martin Bauschke: „Der Freund Gottes – Abraham im Islam“
In seinem jüngsten Buch verfolgt Martin Bauschke einen Weg, den auch andere Autoren gegangen sind: die Muhammad zugeschriebenen Suren werden als Spiegelung seiner biografischen Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Polytheismus, von dem er sich löst, bis hin zu seiner Anerkennung als Prophet, im einzelnen interpretiert. In imponierender Anzahl werden neben Tora und Koran vorislamische und vorjüdische Texte sowie solche aus der islamischen, christlichen und jüdischen Texttradition späterer Jahrhunderte einander gegenübergestellt, die es zur Trennung Abrahams vom Glauben seines Vaters, vornehmlich aber auch zur Opferung seiner Söhne in der Vielfalt der Überlieferungen und in immer neuer Umschreibung der Erzählungen gibt. Das Buch erweist sich als eine Fundgrube gerade für den christlichen Leser, der kaum mit diesen Quellen vertraut ist.
Doch falls er den angeführten Korantexten nachlesend in einer deutschen Ausgabe folgen möchte, entdeckt er , dass die vom Verfasser benutzten, zweifellos schönen Übersetzungen gelegentlich bis zur Unkenntlichkeit veränderte Aussagen bieten, was nicht zuletzt der Ambiguität der arabischen Sprache geschuldet ist. Dieses Faktum erschwert dem Leser ein eigenes Urteil, und es erscheint nicht unbedingt plausibel, wie Bauschke Sure 3,68 kurzerhand auf sämtliche „Gläubige“ der 3 monotheistischen Religionen zu beziehen, wenn in der deutschen Ausgabe ausdrücklich „Muslime“ steht.
Wie ein roter Faden zieht sich durch die Kapitel des Buches ein Gedanke:
Ob Abraham historische Gestalt war, ist nicht zu beweisen; dass jedoch alle 3 Religionen, die den Erzvater als Vorbild ihres Glaubens für sich in Anspruch nehmen, eine Projektionsfigur ihres eigenen Verständnisses vom Glauben, gewandelt im Laufe der Jahrhunderte bis in die Gegenwart, ,in Abraham finden, ist unverkennbar. In großer Freiheit lasen die Textautoren ihre Version hinein in die bekannten Geschichten. So kennt z.B. die Tora keinen Bericht von einer gemeinsamen Reise Abrahams und seines Sohnes Ismael nach Mekka, wo sie die Kaaba erbaut haben sollen; ferner keine Erzählung von der Grabstätte für Mutter Hagar und ihren Sohn Ismael in unmittelbarer Nähe der Kaaba.
Vor allem jedoch belegt der Verfasser eindrucksvoll, dass der Koran die Gestalt Abrahams idealisiert, ja ihn als „Freund Gottes“ bezeichnet, zu dem ihn Gott erhoben hat, und peinlich vermied, beschämende Vorkommnisse in Abrahams Leben zu erwähnen, die in der Tora gleich zweimal erzählt werden, so z.B. Abrahams Versagen in dem Streit zwischen Sara und Hagar und seine Nachgiebigkeit gegenüber Saras Forderung, Hagar mit dem Kind Ismael in die Wüste zu jagen. Abraham bleibt in jedem Bericht des Koran das makellose Vorbild tätigen Glaubens; bis auf die erschreckende Wendung in einer Überlieferung eines seiner Gefährten, dass Abraham ungerührt der Verwandlung seines Vaters im ewigen Gericht in ein unreines Tier mit ansieht, das in das Höllenfeuer geschleudert wird. Abraham - ein Freund Gottes – mildtätig, für andere bittend?.
Der Verfasser berichtet am Schluss des Buches unter anderem von den Bemühungen der Konferenz von Juden, Christen und Muslime in Europa , die eine Art abrahamitische Ökumene versucht, wenngleich sich dieser Trialog schwierig gestalten dürfte, da jede Religion einen anderen Abraham verehrt: Muhammad als den idealisierte Abraham im Islam; Christen als spirituelle Kinder Abrahams im Glauben; Juden als Vertreter des auserwählten Volkes, in Abstammung von dem Erzvater Abraham.
Heute hinterfragen Theologen erneut die Toleranz als das einende Band unter den verschiedenen monotheistischen Religionen. Die radikalen Konfrontationen der Gegenwart, in denen „Mord als Gottesdienst“ eine solche Verständigung untergraben, lassen die Notwendigkeit erkennen, gemeinsam eine erneute Deutung Abrahams als dem gemeinsamen Vater zu finden; jedoch ist eine derartige „relecture“ keinesfalls von einer Religion allein zu leisten. Damit steht auch die Verteidigung der Wertevorstellungen von Weltethos vor einer ganz neuen Aufgabe.
Gudrun Gersdorf
Tatsächlich – auf der Abbildung oben ist der „Engel der Kulturen“ verborgen unter einer körnigen Schneedecke, und das mit der Absicht, das Auge auf die drei Symbole zu lenken, die am Rande des Kreisrunds sichtbar geblieben sind: Mondsichel, Stern und Kreuz. Deutlich fällt eine gewisse Unvollständigkeit am Kreuz und am Stern auf, und der Mondsichel fehlt, wie auf Flaggen islamischer Staaten üblich, der kleine Stern im Rund ; und, hier nicht einmal zu erahnen, alle Drei integriert in eine Engelsfigur, die eigentümlich einem Piktogramm ähnelt.
In allen drei abrahamitischen Religionen kennt man Engel als Boten Gottes; ihr Erscheinen wird sowohl im Alten wie im neuen Testament immer dann berichtet, wenn Gott einem Menschen eine besondere, nach irdischen Maßstäben nicht faßbare Botschaft übermitteln läßt. So erhält der immer noch kinderlose Abraham in Mamre, (Genesis 18, f), von sogar 3 „Männern“ die Botschaft, daß er der Vater eines riesigen Volkes werden soll, zahlreicher als die Sterne am Himmel; und Maria erhält von einem Engel namens Gabriel (Lukas 1, 28 f) die Botschaft von ihrer Mutterschaft für ein ganz besonderes Kind, der „Sohn des Höchsten“ genannt werden würde.
Mythologie? Glaubensbotschaft?
Diese Frage stellt sich auch in der Deutung der 3 Symbole:
Der Stern gilt im Judentum als die Prophetie an das Volk Israel:
Der blinde Prophet Bileam, begabt mit der Fähigkeit zu Visionen, weissagt: (Numeri 24, 17 ): „Ich sehe ihn, aber nicht jetzt, ich erblicke ihn, aber nicht in der Nähe: Ein Stern geht in Jakob auf, ein Zepter erhebt sich in Israel.“
Diese Textstelle wird zur Hoffnung auf den Messias, zunächst gedacht als politischer, erfolgreicher Fürst, später als Heiland aller Völker im eschatologischen Sinn.
Das Kreuz steht für den Fluchtod des unschuldig verurteilten Jesus; das Kreuz galt als die schandbarste Form einer Hinrichtung, der Hingerichtete als aus jeder Gemeinschaft ausgestoßen. Und doch gilt der Glaube an die Bedeutung seines Todes und seine Auferweckung als der erlösende Durchbruch Gottes zu den „Gottlosen“, die aus eigenem Vermögen nicht zu ihm finden; verbunden mit der Zusage des Reiches Gottes im fragmentarisch verstandenen Jetzt und der eschatologischen Erfüllung.
Die Mondsichel, oft dargestellt mit einem kleinen Stern in dem offenen Rund, könnte auf den ägyptischen Mond Jah zurückgehen, sein Zeichen bedeutet Herrschaft über die gesamte Welt, Himmel und Erde. Mohammed nutzte es nicht, er führte eine schlicht grüne Flagge, erst Osman I. griff dieses Symbol auf, und seither kennen die Sunniten es als Kennzeichnung ihres Glaubens. Für islamische Staaten ist es heute im Genfer Abkommen als Gegenstück zum Roten Kreuz international anerkannt als Roter Halbmond.
Die 3 Symbole beinhalten eine Botschaft, der der Alleinanspruch auf Wahrheit innewohnt, der bis heute die Konflikte bis in den hautnah erfahrbaren Alltag durchzieht, die Angst um Identität als Triebfeder .
Die Vereinigung in einem Engel nur ein schöner Traum? Oder alle zusammen erst ein Ganzes ?
Möge der Engel derer Kulturen, Anfang Mai nicht schneebedeckt, während des Kirchentages in Hamburg für diese Frage zum „Stolperstein“ werden!
Die Buttons und die Postkarten, die nach ihm bereits gefertigt wurden, warten im Zelt Abrahams auf jene Besucher, die diese Frage als Denkanstoß mitnehmen möchten .
Zu: Thomas Bauer: “ “Die Kultur der Ambiguität, eine andere Geschichte des Islam”
Dieser bislang kaum bekannte Begriff meint: MEHRDEUTIGKEIT; im Wort, in einer Handlung, in den Elementen einer Kultur, in einer Religion; verbunden mit der Akzeptanz der Gleichwertigkeit.
Bauer nimmt den Leser mit auf eine sehr ungewöhnliche Reise durch die Geschichte Europas und des Orients, und er macht bewusst: Die Verständigungsprobleme zwischen Christen und Muslims sind tief verwurzelt in dem Werdegang der Denksysteme, die sowohl im Christentum als auch im Islam einen wechselhaften Prozeß durchlaufen haben und dem wir immer noch verhaftet sind, ohne uns dessen bewusst zu sein.
Wer hätte schon bedacht, dass zum Beispiel die Machtpolitik der Kolonialmächte im vorderen Orient Entscheidendes dazu beigetragen hat, dass - mit Zeitverzögerung - nun insbesondere fundamentalistische Muslims in der Gegenwart jene eindeutigen und radikalen Vorstellungen vertreten, welche keine Alternativen zulassen? Wer hat schon bedacht, dass die rigide Sexualmoral der Kirche nicht nur im Mittelalter, welche bis in das eheliche Schlafgemach eindeutige Vorschriften vorgab, die an Engherzigkeit kaum überbietbar sind, die christliche Welt in Zwänge geführt hat, die erst in der Gegenwart auf ihre Mehrdeutigkeit und Gleichwertigkeit von alternativen Lebensvorstellungen überdacht werden?
Bauer zitiert den Nobelpreisträger Max Born, der für diesen Aufbruch in der christlichen Welt steht.
“Ich glaube, dass Ideen wie absolute Richtigkeit, absolute Genauigkeit, endgültige Wahrheit usw. Hirngespinste sind, die in keiner Wissenschaft zugelassen werden sollten… Ist doch der Glaube an eine einzige Wahrheit und in deren Besitz zu sein, die tiefste Wurzel allen Übels auf der Welt”.
Bauer deckt jedoch ein Faktum vor allem auf, das an Bedeutung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann: Während der Westen die Ambiguität als Wertevorstellung neu entdeckt, verharrt der Islam immer noch in der übernommenen Eindeutigkeit des Denksystems, einst abgeschaut vom Westen.
Lohnt es nicht, diese Bestandsaufnahme zu reflektieren und weiterzudenken?
Gudrun Gersdorf
„Du lädst mich ein und deckst mir den Tisch selbst vor den Augen meiner Feinde“
neue Genfer Übersetzung
Wer ist der Hirte in diesem Gebet, das dem legendären König David zugeschrieben wird?
In Assur und Babylon trugen Könige diesen Titel, der ihnen die Pflicht auferlegte, wie ein sorgsamer Hirte für sein Volk zu sorgen.
Ebenfalls waren sie letzte Instanz der Justiz. Diese kannte rigide Regeln:
Ein Beklagter drang auf rasche Klärung, denn die Anklage grenzte ihn aus der sozialen Gemeinschaft mit allen Konsequenzen aus; er gehörte nun einfach nicht mehr dazu.
Die Kläger jedoch hüteten sich vor Klagen ohne belastbare Argumente, denn ihnen drohte bei grundloser Anklage die Todesstrafe.
Der richtende König fällte einen Urteilsspruch. Wurde dieser von beiden Seiten akzeptiert, besiegelte und beendete eine gemeinsame Mahlzeit unter seinem Vorsitz an einem Tisch das Verfahren. In diesem Moment war der Beklagte rehabilitiert, die Gemeinschaft nahm auch mit ihm wieder soziale Beziehungen auf, das Leben konnte für alle ungestört weitergehen.
Dieses Verfahren hat der Psalm zur Vorlage, jedoch mit einer entscheidenden Änderung:
Der Psalmist preist seinen Richter als seinen Beschützer, weil er ihm sogar vor „den Augen meiner Feinde“, (die Feinde sitzen nicht mit ihm an einem Tisch), also angesichts eines nicht beigelegten Konflikts, die Geborgenheit bietet, wieder in die Gemeinschaft mit ihm aufgenommen zu sein.
David findet also Geborgenheit, obwohl die augenblickliche Lage ihm noch keine Hoffnung bietet. Und diese scheint die zwingende Voraussetzung für seinen unerschütterlichen Willen zu sein, seinem Todfeind Saul zu vergeben, indem er die ihm sich bietende Möglichkeit zur Rache bewußt nicht ausnutzt, statt dessen Saul seinen Verzicht deutlich signalisiert. Von diesem Moment an ist zwischen beiden die Gewalt des Hasses gebrochen, wie das 1.Buch Samuel eindrucksvoll schildert; und wie nicht nur an dieser Stelle des Alten Testaments, erzählt Samuel gleich zweimal von einer Verschonung Sauls durch David, um möglichst einprägsam diese Handlung in ihrer Bedeutung zu unterstreichen.
Es klingt so einfach:
Versöhnung setzt voraus, daß beide Parteien aufeinander zugehen: die eine mit ernst gemeinter Einsicht in die Verfehlung und darum Bitte um Verzeihung; die andere mit der ernsthaft und endgültig gemeinten Bereitschaft, Verzeihung zu gewähren und eine Wiedergutmachung, sofern möglich, zu akzeptieren; und vor allem den Konflikt von nun an der Vergangenheit zu überlassen.
Die Notwendigkeit, diesen anspruchsvollen Weg zu gehen, beleuchtet Joachim Bauer ( in:“Geheimnis der Vergangenheit“; Hg. Jürgen Moltmann 2012):
Der Neurobiologe schildert die fatale Wirkung halbherzig oder gar nicht bewältigter Konflikte für beide Parteien; Gene als Kommunikatoren nehmen einen biologischen Fingerabdruck von jeder Handlung; fehlende soziale Akzeptanz kann bis zum biologischen Tod führen, Wertschätzung und Liebe dagegen stärkt die Motivationssysteme des Hirns, eine wesentliche Voraussetzung von Leben.
Jedoch diese Einsicht führt nicht zu einem selbstverständlichen Gelingen von Versöhnung; oft genug kann nur eine Partei vergeben, die andere erkennt nicht einmal die Notwendigkeit, Versöhnungsversuche können auch brüsk zurückgewiesen werden. So paradox es sein mag: Dennoch gibt es zu ihr keine Alternative.
Beispiel 1
Eine Ehefrau liegt im Streit mit dem Ehemann um nach ihrer Meinung falsch verwendete Geldmittel. Es liegt nach mehrfachen „Versöhnungen“ in der Vergangenheit nahe, daß sie auf sämtliche Fehlentscheidungen in der Vergangenheit zurückgreift, alles wird noch einmal „aufgewärmt“. Der Beklagte bleibt ihr wahrscheinlich keinen Gegenvorwurf auf anderer Ebene schuldig oder – vielleicht noch schlimmer – geht einer Auseinandersetzung aus dem Wege, schweigt.
Wie soll hier Vergebung, wie soll Versöhnung aussehen? Wäre eine Trennung einer nur noch durch Gewohnheit oder ökonomische Überlegungen gekittete Gemeinschaft nicht eine von mehreren Möglichkeiten, beiden ein Weiterleben zu eröffnen? Werden sie die Möglichkeit finden, auch in einer verfahrenen Situation einen für beide weiterhin gemeinsamen Weg zu finden?
Eine allgemein gültige Antwort gibt es nicht.
Beispiel 2
Die zu den Friedenskirchen zählenden Mennoniten leiden nach eigenem Bekunden bis heute darunter, daß im 16. Jh. Luther, Bugenhagen und Melanchthon im Jahr 1536 den Gebrauch von Zwangsmitteln und den Vollzug der Todesstrafe gegen die sog. „Täufer“ verteidigt haben als notwendige Konsequenz des Augsburger Bekenntnisses. Luthers Haltung gegenüber den Juden an anderer Stelle ist hinreichend bekannt.
Erst im Jahr 2010 hat eine mennonitisch-lutherische Studienkommission ihre Arbeit aufgenommen und die theologische Überprüfung ihrer Positionen im Lichte der Gegenwart begonnen. Dieses Beispiel zeigt deutlich, wie lange es dauern kann, bis größere Gemeinschaften endlich die Notwendigkeit von Versöhnung erfassen und um ihre Verwirklichung ringen. Welche Bereicherung für alle evangelischen Kirchen könnte sich aus einem Austausch des Erfahrungsschatzes ergeben!
Abschließend sei erwähnt, daß David im Vers 5 b seine Hoffnung auf den Weg Gottes mit ihm nach der Versöhnung mit Saul in die poetische Metapher faßt, ihm werde der Becher bis zum Überfließen gefüllt werden. Die glanzvolle Zeit des Volkes Israel unter seiner Herrschaft bildet noch bei dem Propheten Jesaja die Folie für die Beschreibung des erwarteten Retters, des Kyrios, und wir Christen lesen diesen Text noch heute in der Epiphanias-Zeit in christologischer Deutung.
Gudrun Gersdorf
Reflexion über F. Schleimachers Verständnis von Frömmigkeit
(Literatur: Friedrich Schleiermacher: „Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der ev. Kirche im
Zusammenhange dargestellt, 2. Auflage Berlin 1830, 1. Bd, siehe § 62)
Befragte man einen beliebigen Zeitgenossen, bekäme auf die Bitte um Definition von Toleranz Antworten, die entweder eine Gleichsetzung mit Gleichgültigkeit oder Desinteresse, aber auch Missachtung von anerkannten Wertehaltungen enthielten, wie letztere z.B der Text gewisser Kontaktanzeigen vermuten lässt.
Gebildete Leute würden sich auf Lessings Ringparabel in „Nathan der Weise" beziehen und wie selbstverständlich die Intention auch als die ihre ausgeben, dass jede abrahamitische Religion mit gleichem Recht die Wahrheit für sich beanspruche.
Wäre diese Einsicht in Europa wirklich so allgemein anerkannt, sähe mit Sicherheit heute das Zusammenleben der Völker friedlicher aus.
Hans Küngs Verdienst ist es, die Goldene Regel für alle Religionen als Bindeglied gegenseitigen Verstehens herausgearbeitet zu haben, und ganz gewiss ist diese Basis einer entscheidenden Hoffnung auf Verständigung durch gemeinsam ethisch bestimmtes Handeln. Doch woran liegt es, dass dennoch nicht nur Christen, - jedoch auch diese - ‚ große Schwierigkeiten haben mit der Akzeptanz von Angehörigen einer anderen Religion, zumal letztlich auch das Christentum als Erlösungsreligion für sich beansprucht, „DEN Weg, DIE Wahrheit, DAS Leben" in Jesus Christus zu verkünden?
Friedrich Schleiermacher (1768 1834), der bedeutendste evangelische Theologe nicht nur des 19. Jahrhunderts, hat, angefeindet von streng pietistisch geprägten Amtsbrüdern, dennoch genau dieses Problem gesehen und befreiende Einsichten erarbeitet, welche ihm in ihrer Neuartigkeit sein Amt als Universitätsprofessor an 2 Universitäten zeitweise gekostet hat; er wurde gar als „Pantheist" beschimpft.
Er vermeidet es ‚ von Dogmatik zu sprechen, welche die Grundlage auch der lutherischen Kirche bestimmt, sondern spricht von der Intention hinter den Aussagen der Bekenntnisschriften der evangelischen Kirche, und diese Intention nennt er in der heute befremdlichen Sprache des 19. Jahrhunderts „Grundsätze" . Und er kommt zu der Erkenntnis, dass das Gottesbewußtsein eines Menschen eben nicht an die Erlösungsreligion Christentum allein gebunden ist, sondern einem jedem Menschen, gleich welcher Herkunft und Religion, mitgegeben ist. Da Gott ohnehin sich einer wissenschaftlichen Bestimmung entziehe, sei die Benennung nicht entscheidend. Zentral wichtig jedoch, das betont Schleiermacher, sei die Erkenntnis des „schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls": selbst ein absolutistischer Herrscher ist von Gott in seinem Schicksal abhängig, und derjenige Mensch, der dieses akzeptiert und sich dem nicht verschließt oder gar bewusst abwendet (was Martin Luther als „Sünde" definiert), sei erfüllt vom frommen Bewusstsein.
Schleiermacher ist dennoch bewusst ein Christ, er halt fest an dein Glauben an die Erlösung von Sünde durch Jesus Christus, aber er relativiert den Anspruch auf die einzig mögliche Wahrheit, indem er in einem hochinteressanten Exkurs in die frühe Kirchengeschichte aufzeigt, wie sehr die junge Christenheit um einen einheitlichen Nenner in einem Glaubensbekenntnis gerungen hat; und wenn Schleiermacher offenbar annahm, dass dieser Streit um die Rolle Jesu Christi als Erlöser in der Theologie abgeschlossen sei, belehrt ein Blick auf die unterschiedlichen Interpretationsansätze bis in die Gegenwart uns eines besseren. Jeder Christ ist im Verlaufe seines Lebens ständig in einer Auseinandersetzung mit seinem Glauben; Schleiermacher sagt: Glaubensverständnis und Weltverständnis gehen Hand in Hand. Selbstbewußtseinsverhältnis, Gottesverhältnis und Weltverhältnis bedingen einander und sind nicht zu trennen.
Ständig muss sich der Christ auch mit den „Grenzpunkten", wie Schleiermacher sie nennt, auseinandersetzen; immer wieder muss er zwischen diesen Grenzpunkten sich neu in seinem Glauben verorten, ‚ also auch denjenigen Interpretationen, welche auf dem Konzil von Ephesos zu Häresien erklärt wurden:
Die Doketisten zum Beispiel, in ihrem Gefolge später die Vertreter der Gnosis, sahen in Jesus eine Gottgestalt und keinen Menschen, er litt nur scheinbar am Kreuz. Eine Identifikation mit diesem Gott war unmöglich, vielleicht auserwählten wenigen Menschen, aber kein „Heil für die Welt". Diese Lehre war unter hellenistisch geprägten Heidenchristen verbreitet, sie kannten den Titel „Gottessohn" für den Kaiser, ein Erbe der Antike seit Assur und Babylon. Manche Theologen heute vertreten die These, dass für sie das Johannesevangelium geschrieben worden sei, um ihnen zu entgegnen. Unter den Judenchristen der jungen Gemeinde dagegen waren viele zum Beispiel dem Gedanken aufgeschlossen, dass Jesus nur ein gewöhnlicher Mensch gewesen sein könnte, denn ein Messias, den Fluchtod am Kreuz leidend, war ihnen unerträglich; Jesus der vorbildhafte Mensch, kein Messias. Diese Konfrontation, ergänzt durch weitere Richtungen, hat bis in die Auseinandersetzung um die Lehre von der Trinität Auswirkungen gehabt und im Ringen um ein gemeinsames Glaubensbekenntnis, verfasst auf dem Konzil von Nicäa, (wir sprechen es heute noch im Gottesdienst). - Nur bis dahin?
So bekommt Begründung von Toleranz gegenüber anderen Religionen von Schleiermachers Reflexion her auch für einen überzeugten Christen eire neue Aufgeschlossenheit: Sollte ich nicht auch frommen Menschen anderen Glaubens ihr Recht zugestehen, ihren Weg zu Gott zu suchen? Denn im „schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl", da finden wir in jedem Fall zusammen!
Gudrun Gersdorf
zu Benjamin Idriz: "Grüß Gott, Herr Imam!"
Denken Sie bei dieser Zeile an die Französische Revolution? Richtig! Aber Benjamin Idriz erinnert daran, dass Muhaminad schon Ober 1.000 Jahre davor diesen Satz in seinem täglichen Gebet gesprochen hat.
Der Imam aus Penzberg, ein noch junger Mann mit ausgezeichneten Kenntnissen, deckt die zeitbedingten Verkrustungen und Pervertierungen im Verständnis des Koran auf die Stellung der Frau, das Gebot der Verschleierung, das muslimische Ehe- und Erbrecht, der Traum von einem muslimischen Staat nach byzantinischem Muster versunkener Osmanischer Reiche, von jedem dieser Themen hebt er den zeitbedingten Schleier, deckt Übersetzungsfehler auf, trennt vergangene Geschichte, Volksbrauch und Scharia von dem Maßstab Koran... Und setzt sich leidenschaftlich ein für ein friedliches Leben von Muslimen in Europa nach den Regeln des Grundgesetzes, welches er nach sorgfältiger Untersuchung auch für islamkonform erklärt. Dass er seinen Glaubensbrüdern ohne Umschweife zudem ins Gewissen redet, sich von überholten und nicht mehr zeitgemäßen Interpretationen des Koran zu verabschieden; aber auch alle Christen und Juden an die gemeinsamen Werte nachdrücklich erinnert, macht seine Aussagen glaubwürdig; und seine Gemeinde in dem kleinen bayrischen Penzberg steht für das Gelingen des Experiments einer friedlichen und konstruktiven Existenz von Islam, Judentum und Christentum in Europa; sogar der Freistaat Bayern zollt dieser Gemeinde alle Anerkennung und unterstützt Idriz in seinem Wunsch nach Imain-Ausbildung in Deutschland..
Wenn Sie diese spannenden Gedanken, zudem klar und mühelos verständlich formuliert, interessieren, macht die Gruppe Weltethos Sie aufmerksam auf.
Benjamin Idrlz:" Grüss Gott, Herr Imam!" Diederichs Verlag München 2010
Gudrun Gersdorf
Eine Erwiderung auf: Elham Manea: „Ich will nicht länger schweigen“
Das Thema Toleranz - für den Theologen des 19. Jh., F.Schleiermacher war dieses Thema fast nur Gegenstand theoretischer Untersuchung – ist alltägliche Herausforderung im Europa der Gegenwart. Es leben allein über 3 Mio muslimische Migranten in Deutschland, und diese Menschen brachten ihre Prägung aus patriarchalisch organisierten Gesellschaften und ihr keineswegs nur über den Koran legitimiertes Brauchtum mit.
Sie fanden in Europa eine neue Heimat in offenen Staatssystemen, welche sich ausdrücklich definieren über die Erklärung von Menschenrechten, von der UN-Generalversammlung im Jahr 1948 formuliert und von den meisten Staaten dieser Welt akzeptiert, und ausdrücklich auch für Deutschland im Grundgesetz verfassungsrechtlich verankert.
Dr.Manea, eine europäisch gebildete Muslimin und verheiratet mit einem Christen, geht auf die weniger bekannte Tatsache ein, dass Muslime nicht nur sehr unterschiedlichen Glaubensrichtungen angehören – sie erläutert beispielhaft die in Deutschland stark vertretenen türkischen und wiederum davon zu unterscheidenden Aleviten; die Ismailiten und die Anhänger des Ibadismus neben Schiiten und Sunniten - sondern jeweils ganz ausgeprägt unterschiedliche Auslegungen zum Thema Frauenrechte, Zwangsheirat, Verschleierung der Frau bis hin zur Teilnahme von Mädchen am Schwimmunterricht einer deutschen Schule mitbringen.
Sie als Muslimin will nicht länger schweigen zu dem Unrecht, das bis in die Gegenwart muslimischen Frauen in der Familie und in der Moschee auch in Deutschland angetan wird; dort sind sie entweder gar nicht oder nur im hinteren abgeteilten Betraum zugelassen.
Sie weist in einem Vergleich der erwähnten Menschenrechte der UN mit der „Kairoer Erklärung zu Menschenrechten im Islam“ von 1990 nach, dass muslimische Staaten ausdrücklich die Menschenrechte beschränken durch die übergeordnete Scharia ; von Religionsfreiheit z.B. kann keine Rede sein und Selbstjustiz ist unter Beachtung der Scharia erlaubt.
Immer wieder beruft sie sich auf das Naturrecht, das die Wurzel der UN-Menschenrechtserklärung darstellt und welches bereits in der Antike als das unteilbare Recht eines Menschen von Geburt an verstanden wurde.
Ohne sich auf Johannes Messner (gestorben 1984), einen österreichischen Theologen und Rechtswissenschaftler, zu berufen, wiederholt die Messners These, dass auch ein Moralkodex nicht ewige Gültigkeit beanspruchen kann, sondern wandelbar ist, wenn das Naturrecht eine Anpassung an die veränderten Zeitläuften erfordert.
Wie so manche Muslime mit und vor ihr fordert sie endlich die Gleichberechtigung der Frau in der Familie und in der Moschee ein und auch das Recht auf historisch kritische Interpretation des Koran, was heute noch als „Ketzerei“ von nicht wenigen Muslimen verstanden wird.
Doch nicht nur den Muslimen liest Manea die Leviten, sondern auch den Christen. Sie meint zu erkennen, dass Christen mehr tatenlos dem Brauch von Zwangsheirat zuschauen, das Kopftuch nicht als islamistisches Bekenntnis kritisieren.
Hier allerdings setzt die Reflexion für die Christen ein: Kann eine heterogene Gemeinschaft in Frieden miteinander leben, wenn sie verzopfte Gewohnheiten einer Gruppe kritisiert, vielleicht auch verbietet? Muss nicht der Wandel in erster Linie aus den Reihen der Muslime kommen? Die UN-Erklärung der Menschenrechte spricht jedem Menschen Vernunft zu: Wie sollte sonst auch eine Veränderung diskutiert werden? Manea spricht an einer Stelle von einem „kindlichen Islam“, der noch den Reifeprozess des Christentums vor sich habe. Vergessen wir nicht: Noch bis 1966 musste eine deutsche Ehefrau die Einwilligung ihres Ehemannes besitzen , wenn sie einen Beruf ausüben wollte! Spricht aus Maneas Anklage der deutschen Behörden anerkennenswerte Ungeduld, aber nicht auch Ungerechtigkeit? Toleranz – schliesst sie nicht auch Geduld ein mit denjenigen, die noch nicht zum Wandel bereit sind?
Zweifellos spricht die Verfasserin das Konfliktpotential nicht nur der Gegenwart an, der Muslimen und Christen einen Lernprozess abverlangen wird.
Gudrun Gersdorf
Wegweiser in ein glückliches Leben
Sprecherin:
In einem philosophischen Gesprächskreis forderte kürzlich der Moderator die Teilnehmer auf,
einen wichtigen Weisheitsspruch zu nennen, der ihnen Orientierung im Leben bietet. Vorher
hatte man ausführlich über Grundsätze der Ethik diskutiert: Wann ist unser Handeln gut? Wie
lässt sich das Böse überwinden? Anstelle abstrakter Spekulationen sollten nun unmittelbar
Probleme des Alltags besprochen werden. Tatsächlich waren mehrere Teilnehmer bereit, ihre
persönliche „Maxime“, ihre „Lebensregel“, mitzuteilen:
Sprecher:
„Es kommt immer anders, als man denkt“, sagte ein Student der Biologie. Eine Dame
mittleren Alters, Hausfrau und bereits Großmutter, meinte mit sanfter Stimme: „Lerne leiden
ohne zu klagen“. Nicht ohne Stolz verwies ein älterer Herr, ein pensionierter Beamter, auf
seinen Grundsatz: „Willst du gelten, mach dich selten“.
Sprecherin:
Die meisten Teilnehmer mussten schmunzeln: Sie hatten erlebt, wie unbescheiden der
Pensionär sich oft verhielt in seinem offenkundigen Bedürfnis viel „zu gelten“. Kein Wunder
also, dass sich das Gespräch auf die „Lebensregel“ konzentrierte:
Sprecher:
Willst du gelten, mach dich selten.
Sprecherin:
Aber mit welcher Berechtigung könnten wir eine Lebensweisheit hoch schätzen, die Ehre,
Ansehen und öffentlichen Respekt in den Mittelpunkt stellt, fragte der Leiter des
philosophischen Kreises:
Sprecher:
Welchen persönlichen Gewinn haben wir, wenn wir als etwas Besonderes „gelten“ oder gar
verehrt werden? Ist der Preis dafür nicht zu hoch? Um sich „selten“ zu machen, darf man
gerade nicht umgänglich und kommunikativ sein. Verträgt sich diese Lebensweisheit
überhaupt mit dem Grundsatz, dass jeder Mensch am besten „in gleicher Augenhöhe“ seinen
Mitmenschen begegnen sollte?
Sprecherin:
Dieser Erkenntnis konnten die meisten in der Runde nur zustimmen. Sie wussten: Maximen
und Weisheitssprüche müssen immer kritisch betrachtet werden. Wer Grundsätzen folgt, die
in sich nicht stimmig sind, macht sich das Leben nur schwer. Darauf haben schon die frühen
philosophischen Weisheitslehrer aufmerksam gemacht, zum Beispiel der chinesische Denker
Konfuzius. Er lebte in der Mitte des sechsten Jahrhunderts vor Christus. Als Erzieher und
Lehrer der Moral überprüfte er auch die gängigen Lebensregeln und Weisheitssprüche seiner
Zeit. So setzte er sich auch mit dem Meisterdenker Lao Tse auseinander; von ihm ist der
Grundsatz überliefert:
Sprecher:
Wer weiß, der spricht nicht.
Sprecherin:
Lao Tse bezog sich dabei auf das Wissen vom Ursprung der Welt und auf den Sinn des
menschlichen Lebens. Und darüber soll der Wissende nicht sprechen? Konfuzius jedenfalls
3
wollte dieser „weisen Empfehlung“ nicht folgen. Er hat gesprochen und gelehrt, seine
Weisheitsregeln sollten die Menschen verbreiten, weil sie das „gute, das gelungene Leben“
förderten:
Sprecher:
Der edle Mensch unterstützt in den anderen Menschen das Schöne. Der gemeine Mensch das
Unschöne.
Der edle Mensch vernachlässigt nicht seinen Nächsten.
Wer einen Wohnort wählt, achte auf den Geist der Humanität, der dort herrscht.
Sprecherin:
Aber diese „Maximen“ waren für Konfuzius noch zu anschaulich, zu konkret. Er wollte alle
Menschen in ganz unterschiedlichen Situationen zu gutem Handeln inspirieren. Deswegen, so
meinte er, könne nur eine allgemein formulierte, eine grundsätzliche Maxime wirklich helfen.
Schließlich entdeckte Konfuzius eine Formel, die bis heute weltweit bekannt ist:
Sprecher:
Was man mir nicht antun soll, das will auch ich anderen Menschen nicht zufügen.
Sprecherin:
Wie auch immer Konfuzius diese Formel drehte und wendete, er war überzeugt: Wenn sich
Menschen an diese Regel halten, kann das Zusammenleben respektvoller und friedlicher
aussehen, im privaten Umfeld der Familien wie auch in der gesetzlichen Ordnung eines
Staates. Diese Regel fordert den einzelnen auf, in seiner Situation genau zu überlegen:
Welche Konsequenzen hat mein Tun für die anderen? Verletze ich sie mit meinem Handeln?
Beraube ich sie ihrer menschlichen Würde?
Die Suche nach einer allgemeinen Richtschnur ethischen Handelns hat seitdem die
Menschen fasziniert. Davon begeistert war zum Beispiel der englische Arzt und Psychiater
Thomas Sydenham im 17. Jahrhundert, einer der berühmtesten Mediziner seiner Zeit. Seine
Maxime:
Sprecher:
Niemand ist von mir als Arzt anders behandelt worden, als ich behandelt sein möchte, wenn
ich dieselbe Krankheit bekäme.
Sprecherin:
Im 18. Jahrhundert wollten Schriftsteller und Philosophen mit Aphorismen oder klugen
Lebensregeln die Menschen aufklären, zu einem „guten, einem wahrhaft menschlichen Leben
ermuntern. In den Mittelpunkt stellten sie einen Spruch, der seitdem weltweit „Goldene
Regel“ genannt wird. In einer populären Formulierung fand sie weltweit Verbreitung:
Sprecher:
Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.
Sprecherin:
Dieser Reim mag ein wenig schlicht erscheinen, wie ein gut gemeinter pädagogischer
Ratschlag für Kinder und Jugendliche. Philosophen und Historiker aber haben diesen Spruch
ausdrücklich „golden“, also von höchstem Wert genannt, weil sie wussten: Diese
Lebensweisheit steht im Mittelpunkt der Ethik aller großen Religionen. In der indischen
4
Versdichtung Mahabharata, geschrieben im 4. oder 3. Jahrhundert vor Christus, wird die weite
spirituelle Welt des Hinduismus in diesem einzigen Spruch zusammengefasst:
Sprecher:
Man tue niemals einem anderen Menschen das an, was man selbst als verletzend erlebt.
Sprecherin:
Auch buddhistische Traditionen haben später die „Goldene Regel“ als Inspiration und
Wegweisung für alle Menschen hoch bewertet:
Sprecher:
Was für mich eine unangenehme Sache ist, das ist auch für den anderen eine unangenehme
Sache. Wie könnte ich das einem anderen aufladen?
Sprecherin:
Fast zur gleichen Zeit wurde im Alten Orient, vor allem im Gebiet des heutigen Irak und seiner
Nachbarschaft, ein ähnlicher Weisheitsspruch verbreitet:
Sprecher:
Was dir selbst übel erscheint, das tue auch deinen Mitmenschen nicht an. Tue keinem Böses
an, damit niemand einen Anlass sieht, auch dir Böses anzutun.
Sprecherin:
Historiker haben nachgewiesen, dass diese nahezu gleich lautenden ethischen Prinzipien
unabhängig von einander in verschiedenen Teilen der Welt entstanden sind. Eine erstaunliche
Tatsache. Denn offenbar ist die Goldene Regel tief in die Vernunft aller Menschen
„eingeschrieben“. Philosophen erinnern daran, dass ähnliche Weisungen auch von den
großen Denkern des klassischen Griechenland, etwa von Aristoteles, formuliert wurden.
Im Judentum gilt Rabbi Hillel, ein Zeitgenosse Jesu von Nazareth, als der bedeutendste
Verteidiger der Goldenen Regel, er hat sein Volk auf den Spruch verpflichten wollen:
Sprecher:
Was dir nicht lieb ist, das tue nicht auch deinem Nächsten. Das ist das ganze jüdische Gesetz.
Alles andere ist nur Erläuterung dieses Satzes.
Sprecherin:
Die Goldene Regel stellt das angeblich so selbstverständlich erscheinende Vergeltungsprinzip
in Frage. Sie hat das Ziel, den ewig wiederkehrenden Gedanken an Rache zu überwinden, sie
will den Zirkel von Gewalt und Gegengewalt unterbrechen. Der Spruch „Auge um Auge, Zahn
um Zahn“ sollte deswegen aus dem Gedächtnis der Menschheit gelöscht werden. An diesem
Thema arbeitet seit Jahren die Theologin und Religionswissenschaftlerin Karen Armstrong aus
London, sie hat die goldene Regel neu formuliert:
Sprecher:
Unter allen Umständen sollen die Menschen den Schmerz anderer Menschen verhindern.
Sprecherin:
In diesen Worten, meint Karen Armstrong, kämen auch die ethischen Weisungen des Neuen
Testaments zum Ausdruck. Jesus von Nazareth hat seine eigene Goldene Regel
5
bezeichnenderweise nicht in negativ abwehrenden oder warnenden Worten vorgetragen,
sondern in positiven, ermunternden Formulierungen:
Sprecher:
Ich sage euch: So wie ihr wollt, dass euch die Menschen tun, so tut auch ihr ihnen.
Sprecherin:
Diese Weisung gilt in der Bibel-Wissenschaft als unmittelbares Jesuswort. Die Evangelisten
Matthäus und Lukas berichten von fast gleich lautenden Formulierungen Jesu.
Später findet man ähnliche Formulierungen in der muslimischen Tradition. Auch wenn
Mohammed selbst keine „eigene“ Goldene Regel formuliert hat - nach dem Tod des
Propheten wurden weitere „Überlieferungen“ von ihm verbreitet, die sogenannten Haddithe.
In einer Sammlung dieser Verse aus dem 13. Jahrhundert steht:
Sprecher:
Keiner ist gläubiger Muslim, solange er nicht für seinen Bruder wünscht, was er sich selbst
wünscht.
Sprecherin:
Je populärer die Goldene Regel in aller Welt wurde, desto mehr ließen sich Menschen auch zu
zynischen oder polemischen Äußerungen hinreißen. Mit Beispielen aus dem Alltagsleben
wollen sich besonders kritisch wähnende Geister auch heutzutage über diesen universalen
ethischen Grundsatz lustig machen:
Sprecher:
Die Goldene Regel kann gar nicht universell gelten. Die viel geschmähten Politessen etwa
müssen Strafzettel wegen falschen Parkens ausstellen, obwohl sie selbst als Privatperson
einen Strafzettel ja niemals erhalten möchten. Fügen die Politessen da nicht anderen
Menschen etwas zu, was sie selbst nicht erleiden wollen? Widerspricht dieses Verhalten nicht
der Goldenen Regel?
Sprecherin:
Was dem ersten Eindruck nach plausibel klingen mag und noch manchen Lacher erzeugt, hat
jedoch keine Gültigkeit. Denn falsches Parken ist ein Verstoß gegen geltendes Recht, und dem
ist auch eine Politesse unterworfen, wenn sie selbst einmal falsch parken sollte. Mit dem
Ausstellen von Strafzetteln widerspricht sie nicht der Gültigkeit der Goldenen Regel.
Dieses Beispiel ist übrigens so lächerlich nicht, weil es daran erinnert: Grundsätzlich muss
jede individuelle Lebensregel, jede Maxime, einer kritischen Prüfung unterworfen werden.
Denn nicht jede persönliche Vorliebe kann ich unter Berufung auf die Goldene Regel anderen
„antun“ oder „aufdrücken“. Der Philosoph Immanuel Kant hat für solche Fälle einen
„Prüfstein“ formuliert:
Sprecher:
Überlege genau, ob deine individuelle Maxime wirklich auch allgemeines Gesetz für alle
werden kann.
6
Sprecherin:
Direkt auf die Goldene Regel bezogen, könnte die Einsicht des großen Denkers aus
Königsberg auch heißen:
Sprecher:
Behaupte niemals, dass deine persönliche Maxime oder Lebensweisheit automatisch der
Goldenen Regel entspricht. Die Übereinstimmung muss genau geprüft werden.
Sprecherin:
Die Goldene Regel hat heute ein gediegenes philosophisches Fundament und deshalb wird
sie zunehmend respektiert. So lässt sich beispielsweise das „Weltparlament der Religionen“
ausdrücklich vom Geist der Goldenen Regel leiten. 1893 in Chicago als Ort interreligiösen
Dialogs gegründet, hat dieses Gremium immer wieder Menschen unterschiedlicher Kulturen
und Religionen zusammengeführt; vor kurzem tagte dieses spirituelle „Weltparlament“ im
australischen Melbourne.
Der ökumenische Theologe Hans Küng hat sich von diesem Geist universaler Menschlichkeit
inspirieren lassen und vor 20 Jahren sein Programm für ein „Projekt Weltethos“ vorgelegt:
Sprecher:
Wir brauchen in dieser globalisierten Welt auch eine minimale Übereinstimmung in
grundlegenden Werten, Normen und Haltungen. Dieses Ethos soll lebensbejahend für alle
sein. Dabei spielt die Goldene Regel eine entscheidende Rolle. Aber sie soll nicht nur
zwischen Individuen, sondern auch zwischen gesellschaftlichen Gruppen, Nationen und
Religionen gelten.
Sprecherin:
Hans Küng versteht die Goldene Regel als einen elementaren Ausdruck für die universale
Menschlichkeit; sie stellt nicht den Wert der vielen verschiedenen Kulturen und Religionen
infrage. Aber sie bietet einen „ethischen Minimalkonsens“ für die ganze Menschheit. Aus
dieser universalen ethischen Basisregel hat Hans Küng vier weitere konkrete Imperative
abgeleitet:
Sprecher:
Die Goldene Regel schließt die Überzeugung ein: Jeder Mensch wünscht zu leben. Deswegen
dürfen wir nicht morden. Niemand will sein gerecht erworbenes Eigentum verlieren,
deswegen dürfen wir nicht stehlen. Niemand will betrügerisch behandelt und mit unwahren
Informationen bedient werden, deswegen dürfen wir nicht lügen. Niemand will nur wie eine
Sache in Erotik und Sexualität benutzt werden. Deswegen ist Sexualität menschlich zu
gestalten, z.B. durch die Gleichberechtigung von Männern und Frauen.
Sprecherin:
Aber auch diese „Lebensregeln“ sollten niemals wie eine Art mechanischer
Gebrauchsanweisung für den Umgang mit anderen Menschen angewandt werden. Die
Goldene Regel wird missverstanden, wenn sie nur als banale Aufforderung gilt, in äußerlicher
Korrektheit und ohne innere Anteilnahme mit anderen Menschen zusammenzuleben, also z. B.
nur zu fragen: Füge ich Schmerzen zu? Entscheidend ist vielmehr: Die Goldene Regel lenkt
mein Nachdenken auch auf mich selbst: Sie führt mich zu der Frage: Welches Leiden finde ich
selbst denn unerträglich, welche Umgangsformen will ich vonseiten anderer Menschen
niemals erleben? In welcher Weise möchte ich von anderen Leuten respektiert werden? Erst
7
wenn ich genau weiß, wie ich selbst nicht behandelt werden möchte und dann auch positiv
beschreiben kann, wie ich wahrhaft leben will, kann ich mich anderen zuwenden.
Die Goldene Regel ist also eine Aufforderung, in sich selbst zu schauen, „zu reflektieren“, wie
die Philosophen sagen. In diesem Zusammenhang werden alte Weisheitssprüche aus dem
Pali Kanon, den Lehrreden des Buddha, neu entdeckt:
Sprecher:
Wie ich bin, so sind auch diese;
Wie diese sind, so bin auch ich.
Wenn so dem anderen er sich gleichsetzt,
Mag er nicht töten oder töten lassen.
Sprecherin:
Für Buddha kommt es darauf an, die Goldene Regel als Ausdruck von Spiritualität
wahrzunehmen, als Impuls, Mitgefühl und Mitleid zu entwickeln. Buddhas tiefes Verstehen der
Goldenen Regel, in dieser gleichzeitigen Hochschätzung des anderen Menschen wie auch der
eigenen Person, gilt heute weltweit als ethischer Maßstab, und zwar nicht, weil Buddha, der
„Erleuchtete“ da gesprochen hat, sondern weil Buddha nur allgemein Vernünftiges und sehr
Menschliches gesagt hat. Diese Goldene Regel wird so zur universalen „Formel“ für eine
allgemeine, eine humanistische Ethik, betont die Religionswissenschaftlerin Karen Armstrong:
Sprecher:
Die Goldene Regel verlangt, dass wir uns als einzelne nicht für etwas Besonderes halten,
sondern uns stets zu anderen Menschen in Beziehung setzen.
Sprecherin:
Das Leben der Mitmenschen nicht nur an sich „heranlassen“, sondern versuchen, mit ihnen zu
fühlen, sich in ihre Welt hinein zu versetzen, zu verstehen, warum sie anders sind als ich:
Damit beginnt das Mitgefühl, die Empathie, der ethische Kern der Goldenen Regel. Geradezu
schlicht erscheint deswegen heute der viel zitierte Spruch des Preußenkönigs Friedrichs des
Großen, des „Alten Fritz“:
Sprecher:
Jeder soll nach seiner Facon selig werden.
Sprecherin:
In Zeiten konfessioneller Feindseligkeiten formuliert, hat dieser Spruch vielleicht dafür
gesorgt, dass die Menschen einander nicht töten, sondern „tolerieren“, also ertragen. Das
Schweigen der Waffen ist ja bekanntlich schon viel. Aber eine tiefere Lebensphilosophie, eine
Aufforderung zum Mitgefühl oder gar zur Versöhnung, ist diesem Spruch nicht zu entnehmen.
Inspirierend für eine neue Lebenskunst sind die Einsichten des Psychotherapeuten und
Philosophen Erich Fromm, der durch sein Buch „Die Kunst des Liebens“ weltweit bekannt
wurde. Fromm hat eine weitreichende Lebens-Philosophie der Goldenen Regel entwickelt:
Sprecher:
In unseren Beziehungen mit anderen Menschen tun wir ihnen immer etwas an, Gutes oder
Böses. Entscheidend ist die Erkenntnis: In beiden Fällen wirkt sich unser Handeln auch auf
uns selbst aus. Was wir anderen tun, das tun wir uns selbst an. Wenn wir z.B. voller Aggression
8
die lebendigen geistigen Kräfte in einem anderen Menschen zerstören, wenn wir ihm etwa
aufgrund seelischer Verletzungen Hoffnung und Zuversicht rauben, dann schlägt solches Tun
auf uns selbst zurück. Wir meinen dann schließlich selbst, dass geistige und seelische Kräfte,
Hoffnung und Zuversicht, keine Bedeutung haben. Niemand bleibt unverletzt, wenn er andere
verletzt.
Sprecherin:
Die Goldene Regel, in ihrer tiefen Bedeutung ausgeleuchtet, wird so zu einem Plädoyer für
eine bessere Gesellschaft. Darin dürfen die anderen Menschen niemals bloß als Objekte oder
Mittel für meine eigenen Interessen eingesetzt werden. Auch darauf hat Erich Fromm
hingewiesen:
Sprecher:
Man folgt einem Missverständnis, wenn man die Goldene Regel nur als Aufforderung zu einem
fairen Verhalten in Wirtschaftsbeziehungen versteht. Fairness bedeutet nur, auf Betrug und
Tricks beim Austausch von Gebrauchsgütern zu verzichten. Fairness heißt in der heutigen
Gesellschaft: „Ich gebe dir nur so viel, wie du mir auch gibst“, dies ist die Grundlage
kapitalistischer Ökonomie. Die Goldene Regel hingegen verlangt mehr als die gesetzlich
vorgeschriebene Korrektheit. Sie verlangt Mitgefühl, ja, durchaus Liebe, und zwar Liebe den
anderen gegenüber wie auch mir selbst gegenüber.
Sprecherin:
Die Goldene Regel lehrt das Lieben, das Wertvollste, zu dem Menschen in der Lage sind.
Deswegen wird sie zu einer Art Wegweisung ins menschliche Glück. Erfüllung und
Zufriedenheit stellen sich nicht automatisch mit materiellem Erfolg oder ökonomischem
Wohlstand ein. Aber auf dieses Ziel hin orientieren sich viele ihr Leben lang. Wer Glück nur als
zukünftigen Zustand, als Utopie des „Irgendwann - Einmal“ begreift und wie einen
unwahrscheinlichen Millionen Gewinn im Lotto erwartet, verliert die Lebensfreude. Er lebt
nicht mehr im Jetzt, in der Gegenwart, ist einfach nicht mehr „da“, sondern mental in die
Ferne gerückt. Aber Leben ist einem breiten Strom philosophischen Denkens entsprechend
einfach Freude am Dasein, am geistvollen Lebendigsein mit anderen zusammen und auch im
liebenden Umgang mit sich selbst, betont der Philosoph Otfried Höffe:
Sprecher:
Wer voller Sehnsucht das Glück in ferner Zukunft erwartet, ist vor immer neuen
Enttäuschungen nicht gefeit. Er verfällt in Resignation und denkt: Der glückliche Mensch sei
im Plan der Schöpfung nicht enthalten. Hingegen liegt das Glück im gelungenen
Lebensvollzug, es verwirklicht sich in jedem Augenblick des Lebens.
Sprecherin:
„In jedem Augenblick“ des alltäglichen Lebens werde ich vor die Frage gestellt: Wie
entscheide ich mich? Was will ich mit anderen Menschen erleben? Worin sehe ich meinen
Lebenssinn? Die Goldene Regel bietet dann in ihrer elementaren Einfachheit die notwendige
Orientierung und Hilfe. Vielleicht sollte man sie gelegentlich wie ein Mantra laut vor sich her
sagen.
Wenn sie sich im Geist eingeprägt hat, meldet sie sich sanft, aber im Gewissen durchaus
hörbar mit den verführerischen Worten: Folge meiner Weisung. Denn sie ist vernünftig.
Warum ist Abrahams Geschichte eine „Hoffnung gegen alle Hoffnung“?
Der uralte, kinderlose Viehhirte zieht auf Geheiß Gottes, ohne Rückfrage, zusammen mit seiner Frau Sara die Pflöcke seines Zeltes im fruchtbaren Mesopotamien und verlässt seine Heimat in eine ungewisse Zukunft; nicht einmal das Land, in dem er siedeln soll, hat ihm Gott genannt.
Zudem sagt ihm Gott eine Nachkommenschaft zu, zahlreicher als die Sterne am Himmel. Abraham ist ein Mensch wie wir: zweifelnd und trickreich in der Ungeduld seines Herzens, das Erfüllung ersehnt. Er hilft dieser Prophezeiung nach durch die Zeugung von Ismael (übersetzt:„Gott hilft“), mit der ägyptischen Sklavin seiner Frau, Hagar, und legt damit den Beginn der furchtbaren Blutspur, die seine Kinder im Judentum, Christentum und Islam bis in die Gegenwart im Ringen um Dominanz weiter ziehen:
Da Hagar sich als Mutter des legitimen, einzigen Erben Abrahams versteht, fordert sie auch den ihr gebührenden Rang im Stamm auf Kosten der kinderlosen Sara; und Sara ruht nicht, bis sie den zögernden Abraham dazu bringt, Hagar und Ismael dem Tod durch Verdursten in der Wüste auszusetzen. Dass die Todgeweihten dennoch überleben, verdanken sie weder Saras Verzicht auf Rache noch dem Vater dieses Kindes, der den Konflikt zwischen den Frauen nicht lösen kann. Hagar verdankt ihr Leben trotz verzweifelter Lage und Ismael die Fortentwicklung zum Stammvater des Islam Gottes Eingreifen; der dennoch auch Sara und Abraham gegen alle Hoffnung Isaak schenkt und die Geschichte des Volkes Israels trotz vielfältigem menschlichen Versagen fortführt.
Der Jude Paulus hat Abraham im Römerbrief als Vorbild im Gehorsam den Christen vorgestellt., denn in Abrahams Zelt haben die 3 abrahamischen Religionen ihren Ursprung. Immer wieder haben diese sich gegenseitig mit Unverständnis, Hass und Gewalt, verbündet oft genug mit wirtschaftlichen und politischen Interessen , verfolgt; bekriegt. Trotzdem mahnen einige ihrer Vertreter auch in der Gegenwart zu Frieden, Toleranz, gemeinsamer Besinnung auf das, was uns verbindet: Der eine Gott, der gegen alle menschliche Hoffnung die Kinder Abrahams bewahrt.
Juden feiern bis heute Pessach in Erinnerung an den Exodus aus Ägypten; entstanden ist das Fest in einer Zeit völliger Ohnmacht der babylonischen Gefangenschaft und ist Zeichen für die unverbrüchliche Hoffnung, dass Gott sein Volk in die Freiheit geführt hat und führen wird; Christen haben aus der furchtbaren Katastrophe durch Jesu Hinrichtung ihre Kraft aus dem Glauben an die Auferstehung , Ostern.
Juden und Christen sollten gemeinsam mit den Muslimen unbeirrt aus dieser Kraft den gemeinsamen Frieden immer wieder suchen.